Frankfurter Rundschau, 15.12.2000

Asyl

Günter Grass kritisiert Berliner Flüchtlingspolitik

HANNOVER, 14. Dezember (ap). Literaturnobelpreisträger Günter Grass hat die Asylpolitik der rot-grünen Bundesregierung scharf kritisiert. Die Politik von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) gegenüber Verfolgten unterscheide sich nicht von der seines Vorgängers Manfred Kan-ther, sagte Grass am Donnerstag in Göttingen. Er habe von der Bundesregierung zumindest ein Ende der unmenschlichen Abschiebehaft erwartet. Dennoch säßen weiterhin 4000 Abschiebehäftlinge ein, obwohl sie nichts getan hätten.

Verfolgte Menschen, deren Anerkennungsverfahren laufe, müssten human behandelt und dürften nicht in Abschiebelagern gehalten werden. Sie sollten zudem die Möglichkeit haben, in der Bundesrepublik zu arbeiten, verlangte Grass. Festnahmen von Flüchtlingen seien oft "Nacht-und-Nebel-Aktionen mit einer unseligen Tradition in Deutschland". Zum Teil würden dabei auch Familien auseinander gerissen. Mit der Diskriminierung von Flüchtlingen begünstigten demokratische Politiker den Rassismus in Deutschland.

Grass präsentierte in Göttingen auch sein Buch "Ohne Stimme" mit Reden zu Gunsten der Roma und Sinti. Ihren Kindern müsse es ermöglicht werden, weiterführende Schulen und Universitäten zu besuchen. Nach Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker beteiligten sich in 80 deutschen Städten mehrere tausend Menschen an Mahnwachen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit.