Neue Zürcher Zeitung, 15. Dezember 2000 Sand im Getriebe zwischen EU und Nato Erstes Ministertreffen beider Organisationen in Brüssel Wenige Tage nach Nizza, wo die EU-Staats- und -Regierungschefs die Grundlagen der künftigen Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gutgeheissen haben, beschäftigten sich in Brüssel die Nato-Aussenminister mit den noch nicht gefestigten Beziehungen zwischen Union und Bündnis. lts. Brüssel, 14. Dezember Das wichtigste Ereignis für die Wintertagung der Nato-Aussenminister in Brüssel hat in den USA stattgefunden: Die Allianz weiss jetzt endlich, wer in den kommenden Jahren ihr Ansprechpartner in Washington sein wird. Nato- Generalsekretär Robertson gratulierte umgehend dem neuen amerikanischen Präsidenten Bush zu seiner Wahl, und er äusserte sich zuversichtlich, auch der Nachfolger Clintons werde sich, wie im Wahlkampf versprochen, engagiert für die weitere Entwicklung des nordatlantischen Bündnisses einsetzen. Der deutsche Aussenminister Fischer bekräftigte am Rande der Tagung, intensive Beziehungen zu den USA seien von überragender Bedeutung für die europäische Sicherheit. Der britische Aussenminister Cook dementierte die Existenz ernsthafter Differenzen mit den USA wegen der noch anstehenden Fragen über die definitive Gestaltung der Kooperation zwischen EU und Nato sowie EU und kooperationswilligen Drittstaaten, wie insbesondere der Türkei. Fischer gab sich überzeugt, viele der Anfangsschwierigkeiten würden durch den Vertrauensgewinn aus der täglichen Arbeit überwunden. Die Türkei wehrt sich Der Sand im Getriebe der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) und der Nato stammt vor allem von den Franzosen und den Türken. Die einen wollen möglichst lose Verbindungen zwischen Union und Bündnis und betonen immer wieder die Notwendigkeit einer vom militärischen Nato-Hauptquartier (Shape) unabhängigen Militär- und Sicherheitsplanung für die von der EUautonom beschlossenen und geführten Operationen. Die Türken wiederum möchten mit eigenen Offizieren im EU-Militärstab vertreten sein sowie früh und eng an der sicherheitspolitischen Planung und Beschlussfassung der Europäer beteiligt werden. Ankara rechtfertigt sein Begehren damit, die meisten der möglichen Interventionsfelder der ESVP in und um Europa berührten auch vitale Sicherheitsinteressen der Türkei. Die türkische Regierung wehrte sich deshalb bis jetzt gegen eine Blankozusage der Nato an die EU, sie könne jederzeit auf Einrichtungen und Kapazitäten des Bündnisses zurückgreifen. Ankara möchte diesen Zugriff nur von Fall zu Fall im Nato-Konsensverfahren bewilligen, um jederzeit mit einem Vetodazwischenfahren zu können, falls man sich übergangen fühlt. Im Vorfeld der Ministertagung wurde bekannt, dass der amerikanische Präsident Clinton den türkischen Ministerpräsidenten Ecevit in einem Briefum mehr Flexibilität und Kooperationsbereitschaft gebeten habe. Die Amerikaner und Briten sind besorgt, dass ein Festhalten der Türkei an ihrer rigiden Haltung den Franzosen in die Hand spielen und zu einer weit unabhängigeren ESVP als eigentlich vorgesehen führen könnte. Auch aus deutschen Delegationskreisen kam die Warnung, falls sich die vorgesehene Abstützung der EU auf die Nato als unsicher erweise, komme es nicht zu einem Stillstand der ESVP, sondern zum Aufbau paralleler EU-Planungsstrukturen. Robertson relativiert Probleme Robertson bestätigte die noch nicht ausgeräumten Schwierigkeiten mit der türkischen Delegation, liess aber durchblicken, dass man unter derschwedischen EU-Präsidentschaft zu einer Einigung kommen werde. Dass sich am Freitag erstmals in der Geschichte der beiden autonomenInstitutionen alle 23 Nato- und EU-Aussenminister um den gleichen Tisch setzen werden, sah Robertson als Beweis für den politischen Willen auf beiden Seiten, rasch zu für alle befriedigenden Modalitäten zu kommen. Die Bedrohlichkeit der Kontroverse relativierte der Generalsekretär mit dem Hinweis auf den von den 15 EU-Staats- und -Regierungschefs in Nizza einstimmig verabschiedeten Beschluss, sich bei ESVP-Operationen mit Nato-Mitteln immer auf den Planungsstab von Shape abstützen zu wollen. Die grosse Mehrheit der vorstellbaren EU- Krisenmissionen, fuhr Robertson weiter, werde ohnehin auf den Zugang zu Nato-Ressourcen angewiesen sein. Nur für sehr eingeschränkte Aktionen genügten die britischen und französischen Kapazitäten der beiden einzigen in begrenztem Umfang brauchbaren europäischen Planungsstäbe neben Shape. Als schlagendes Beispiel fürdie faktische Nato-Abhängigkeit der EU erwähnten militärische Praktiker des Bündnisses dieLuftraumüberwachung. Diese gebe es nur innerhalb der Nato, und die verfügbaren 18 Awacs-Maschinen seien voll in die Bündnisstruktur integriert und würden von national gemischten Crews geflogen.
|