Frankfurter Rundschau, 16.12.2000 Straßburg lässt Klage Öcalans zu Europäischer Gerichtshof prüft Urteil gegen den PKK-Chef Der Fall des in der Türkei zum Tode verurteilten kurdischen Separatistenführers Abdullah Öcalan kommt vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Straßburger Gericht ließ am Freitag einen Einspruch des PKK-Chefs gegen seine Verurteilung zu. STRASSBURG, 15. Dezember (dpa/rtr/afp). Die sieben Richter der Kleinen Kammer erklärten zwölf von 13 Punkten der Beschwerde Öcalans für zulässig. Gleichzeitig verwiesen sie den Fall wegen seiner Tragweite und seiner politischen Brisanz an die aus 17 Richtern bestehende Große Kammer. Die Zulässigkeit der Klage sagt noch nichts über deren juristische Bewertung aus. Die Verhandlung bei der Großen Kammer könnte mehrere Monate dauern, gegen ihr Urteil können beide Parteien Berufung einlegen. Bei der Anhörung in Straßburg vor dreieinhalb Wochen hatten Öcalans Anwälte unter anderem geltend gemacht, das Todesurteil gegen ihren Mandanten verstoße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Außerdem habe die türkische Regierung mit der Verschleppung Öcalans aus Kenia und mit dem Prozess gegen ihn gegen das Recht auf Leben, auf Meinungsfreiheit, auf eine faire Gerichtsverhandlung sowie gegen das Verbot von Folter und Misshandlungen verstoßen. Nicht zugelassen wurde die Beschwerde Öcalans, er sei überhaupt nicht über den Grund seiner Verhaftung und über die Anklage gegen ihn informiert worden. Vertreter der türkischen Regierung hatten bei der Anhörung das Todesurteil als "legitim" im Kampf gegen den Terrorismus gerechtfertigt. Der Prozess gegen Öcalan sei fair gewesen, der PKK-Chef rechtmäßig verurteilt worden. Der 52 Jahre alte Öcalan war im Sommer 1999 wegen Hochverrats zum Tod verurteilt worden. Die Türkei macht ihn außerdem für den Tod von mehr als 30 000 Menschen verantwortlich, die während des 16 Jahre dauernden Kampfes der Kurdischen Arbeiterpartei PKK für einen unabhängigen Kurdenstaat im Südosten des Landes ums Leben kamen. Der EU-Kandidat Türkei hatte jedoch zugesichert, vor einer endgültigen Entscheidung über eine Hinrichtung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abzuwarten. Das Gericht kann zwar keine Urteile aus einzelnen Staaten aufheben. Die Unterzeichner der Menschenrechtskonvention sind aber verpflichtet, die Straßburger Urteile umzusetzen. Zu den Unterzeichnern gehört auch die Türkei. Ankara hat allerdings den Teil, der die Abschaffung der Todesstrafe vorschreibt, nicht ratifiziert. Sollte der Menschenrechtsgerichtshof entscheiden, dass das Vorgehen gegen Öcalan gegen die Konvention verstieß, wäre damit aus Sicht der Straßburger Juristen das Todesurteil hinfällig. Die Türkei reagierte zurückhaltend auf die Entscheidung. Der Schritt bedeute nur, dass das Gericht die Zulässigkeit der Klage anerkenne, sagte Justizminister Hikmet Sami Turk am Freitag in Ankara.
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