Die Welt, 16.12.2000 Nur geringes Interesse am Doppelpass Ein wesentlicher Grund sind die Gebühren von 500 Mark - Münchner CSU: Aktion einstellen Von Florian Weigand München - Die doppelte Staatsbürgerschaft für Ausländer, ein Prestigeprojekt der rot-grünen Bundesregierung, stößt bei den dafür infrage kommenden Menschen in Bayern nur auf verhaltenen Zuspruch. In München beispielsweise könnten nach Behördenangaben etwa 15 000 Menschen von dem Angebot Gebrauch machen. "Eingereicht wurden aber nur 2068 Anträge", berichtet Barbara Okelmann, die stellvertretende Sachgebietsleiterin für Einbürgerung in der Landeshauptstadt. In den anderen bayerischen Großstädten Augsburg, Nürnberg und Regensburg liegen die Zahlen sogar noch deutlich darunter. Unter dem heiß umstrittenen Schlagwort "Doppelpass" hat die Bundesregierung Anfang des Jahres erhebliche Erleichterung bei der Einbürgerung geschaffen. Davon sollen vor allem Kinder unter zehn Jahren profitieren, deren Eltern mehr als acht Jahre in Deutschland leben. In einer ersten Übergangsregelung kann für diese Kinder noch bis zum Jahresende eine doppelte Staatsbürgerschaft beantragt werden. Zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr müssen sie sich dann entscheiden, ob sie den Pass ihres Herkunftslandes oder die deutsche Staatsbürgerschaft behalten wollen. Kinder, die nach dem 1. 1. 2000 zur Welt kamen, erhalten diese Optionsmöglichkeit automatisch mit der Geburt. Außerdem gilt der Doppelpass für Ausländer, deren Herkunftsländer, wie beispielsweise der Iran, es rechtlich unmöglich machen, die angestammte Staatsbürgerschaft aufzugeben. "Der Andrang ist aber bei weitem nicht so groß, wie wir vermutet haben", zeigt sich Gerald Krucky als stellvertretender Leiter des Einwohner- und Ordnungsamtes in Augsburg überrascht. Groben Schätzungen zufolge kämen in der Fuggerstadt rund 10 000 Personen für den Doppelpass infrage. Der Verwaltung liegen bisher aber nur 530 Anträge vor. "Das ist sehr mager", meint Krucky. Ähnliches vermeldet die Stadt Regensburg. Der zuständige Abteilungsleiter in der Stadtverwaltung, Harald Münsterer, zählt bis jetzt 81 Doppelpass-Anträge bei einem Kreis von über 700 berechtigten Kindern. Auch in Nürnberg liegen lediglich 750 Anträge bei potenziell 5000 Personen vor. Konkrete Zahlen für ganz Bayern existieren zwar noch nicht, das Statistische Landesamt errechnet die Bilanz für 2000 erst zu Beginn des nächsten Jahres. Allerdings sei eine landesweite Bestätigung des Trends in den großen Kommunen zu erwarten", heißt es dort. Denn auch die erwachsenen Doppelpass-Bewerber werden die Statistik vermutlich nicht wesentlich heben. Genaue Daten liegen zwar noch nicht vor. Die Schätzungen der Experten vor Ort bewegen sich aber je nach Kommune nur zwischen zusätzlichen fünf und 20 Prozent. Die Gründe für das geringe Interesse sind vielfältig. So lebten einige noch nicht die vorgeschriebenen acht Jahre in Deutschland und mussten daher abgewiesen werden. Als weitere Ursache nennt Gerhard Mittelbach, Abteilungsleiter bei der Einbürgerungsbehörde in Nürnberg, die Kosten. Die Gebühren betragen pro Kind 500 Mark. "Das wird bei großen Familien bald sehr teuer." Also warten viele ab, ob Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) Ernst macht mit seinem Vorhaben, die Fristen zu verlängern und dabei auch noch die Gebühren zu senken oder gar ganz abzuschaffen. "Eine nüchterne Bilanz", meint die Münchner CSU-Chef Johannes Singhammer und fordert bereits, die gesamte Aktion einzustellen. Eine doppelte Staatsbürgerschaft zum Nulltarif lehnt er ab. Thomas Goppel, Generalsekretär der CSU, ergänzt, er habe sich gezeigt, dass der Wunsch nach der deutschen Staatsangehörigkeit bei den Ausländern offenbar nicht so ausgeprägt sei wie von Teilen der Politik ursprünglich angenommen. Jerzy Montag, Chef der bayerischen Grünen, sieht das Angebot seiner Regierungskollegen in Berlin dennoch nicht als gescheitert an: "Das Gesetz besteht gerade mal ein Jahr, hat aber ein hundertjähriges Abstammungsrecht aus der Kaiserzeit abgelöst", begründet er den lauen Start. "Es braucht seine Zeit, bis sich die Neuregelung im Bewusstsein durchsetzt."
|