Hamburger Morgenpost, 15.12.2000 Polizisten stürmten Justizbehörde - Kurden hatten Gebäude besetzt - Protest gegen türkische Haftbedingungen Die Verzweiflung einer Mutter Parolen rufend, mit wehenden Spruchbändern, Verzweiflung in den Gesichtern - so stürmten gestern gegen 14.10 Uhr 40 Kurden die Justizbehörde. Eine Aktion aus Solidarität zu ihren Angehörigen, die in der Türkei in Isolationshaft sitzen. Drei Stunden dauerte das Drama. Dann wurden die Demonstranten von der Polizei gewaltsam aus dem Gebäude geholt. "Mein Sohn ist seit 1992 in Haft und spurlos verschwunden", berichtet die 56-jährige Hatize Toraman atemlos. Sie sitzt auf dem Fußboden. Ihre Stimme zittert, doch die Frau ist entschlossen: Wenn es sein muss, will sie sich hier anzünden, im Großen Sitzungssaal im zweiten Obergeschoss der Justizbehörde. Die Männer um sie herum rufen weiter Parolen. Überall liegen umgeworfene Möbel. Einige der Demonstranten geben ihre Message auf deutsch weiter. Sie rufen: "Isohaft ist Folter, Isohaft ist Mord!" Aus den Fenstern hängen Spruchbänder. Die Verwandten dieser Menschen sitzen in der Türkei in Isolationshaft. Vor 57 Tagen sind dort in 18 Gefängnissen 200 Häftlinge in den Hungerstreik getreten. Die Besetzer fordern, dass Deutschland "die finanzielle und militärische Unterstützung der Türkei einfriert". Außerdem verlangen sie, dass die Türkei den Weiterbau der "Todeszellen" stoppt. Der Bundestag soll sich mit "der Situation in den Haftanstalten befassen und Druck auf die Regierung von Ankara ausüben". Anti-Terror-Gesetze sollen aufgehoben werden. Pastor Christian Arndt und der Verwaltungschef der Behörde, Johannes Düwel, versuchen zu vermitteln. Die Männer und Frauen fordern hingegen ein Gespräch mit Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit. Mittlerweile sind Polizisten und Journalisten im Raum. Die Feuerwehr hat einen Schlauch quer durch das Gebäude gelegt. Vor der Behörde haben sich zwei Hundertschaften von Polizei und Feuerwehr aufgebaut. Die Gegend rund um die Straße Drehbahn in der Innenstadt ist weiträumig abgesperrt. Stephansplatz, Gänsemarkt, Caffamacherreihe - nichts geht mehr. Unter den Fenstern des Sitzungssaals ist ein Sprungtuch aufgespannt. Einer der Männer sitzt auf der Fensterbank und lehnt sich weit hinaus. Er droht, hinunterzuspringen. Die Kurden fordern nun den freien Abgang ohne Feststellung ihrer Personalien. Die Polizei lehnt ab. Um 17.15 Uhr beendet das Mobile Einsatzkommando (MEK) die Besetzung. Der Mann auf der Fensterbank stürzt beinahe hinab, kann per Drehleiter gerettet werden. Mit HVV-Bussen mit der Aufschrift "Sonderfahrt" werden die Protestler abtransportiert. Renate Hartmann, eine Anwältin der Besetzer, schimpft: "Die Polizei hat alles eskalieren lassen. Diese Leute wollten nur auf ihr Problem aufmerksam machen. Man hätte sie gehen lassen sollen." Ersten Erkenntnissen zufolge werden die Besetzer verschiedenen linksextremistischen türkischen Organisationen zugeordnet. Ihnen drohen Strafanzeigen wegen Land- und Hausfriedensbruchs. Eine Reportage von Miriam Krekel, Christian Brinkmann und Rüdiger Gärtner
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