Die Welt, 16.12.2000 Sturm auf Justizbehörde beschäftigt Parlament Innenausschuss will Besetzung und Flucht der Senatorin untersuchen - CDU-Kritik an mangelnder Fürsorge Von Jörn Lauterbach, Ira von Mellenthin und André Zand-Vakili Die stundenlange Besetzung der Hamburger Justizbehörde durch 45 Familienangehörige türkischer Strafgefangener in ihrer Heimat sowie türkischer Extremisten (die WELT berichtete) bekommt ein parlamentarisches Nachspiel. Auf Antrag der CDU und der Grünen werden das Eindringen in den Gebäudekomplex an der Drehbahn in Hamburgs Innenstadt, die Besetzung des Sitzungsraumes und das Verhalten der Behördenspitze am kommenden Dienstag im parlamentarischen Innenausschuss im Rahmen einer Selbstbefassung thematisiert. Im Vorwege ersuchte der innenpolitische Sprecher der CDU und Ausschussvorsitzende, Heino Vahldieck, Innensenator Hartmuth Wrocklage, für die Sitzung des Ausschusses und die Befragung durch Mitglieder "kompetente Ansprechpartner" zu entsenden. Gleichzeitig übte Vahldieck scharfe Kritik an dem Vorgehen der Besetzer. "Wir sind nicht der Kampfplatz für die Konflikte dieser Welt", sagte er. Gewalttätigkeiten bei Demonstrationen und Hausbesetzungen seien strafbar, dies gelte für Ausländer und Deutsche gleichermaßen. "Es war daher richtig, die Besetzung so schnell wie möglich zu beenden", erklärte er. "Zu wünschen ist, dass der Innensenator in Zukunft auf rechtswidrige und gewalttätige Aktionen ebenso reagiert." Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit indes habe sich am Donnerstag nicht durch "besonderen Mut" ausgezeichnet. Es möge opportun sein, wenn in einer solchen Situation nicht der Erste Mann oder die Erste Frau die Verhandlung mit Extremisten führe. Wie fatal dies sein könne, habe die Verhandlung von Innensenator Hartmuth Wrocklage mit vermummten Demonstranten gezeigt. Aber: "Dass die Behördenleitung in einer solchen Situation nicht vor Ort bleibt und Abteilungsleiter sowie Mitarbeiter allein lässt, ist nicht in Ordnung", so Vahldieck gegenüber der WELT. Vielmehr stehe ein solches Verhalten für mangelnde Fürsorge. Weiterhin unklar ist unterdessen, auf welche Weise die Besetzer in die Behörde eindringen konnten. Das Passieren der ersten Tür begründete Behördensprecherin Simone Käfer mit der Öffnung durch einen "Ersatz"-Pförtner. "Dieser kam von einem privaten Unternehmen, weil unser Pförtner erkrankt war", sagte sie. Wie die Sicherheitstür im zweiten Stock geöffnet worden sei, sei noch nicht endgültig geklärt. Nach Erkenntnissen der Polizei gehören Teilnehmer der Besetzung der türkischen Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei (MLKP) an, die auch vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Erst am vergangenen Sonnabend hatten MLKP-Mitglieder gegen türkische Haftbedingungen demonstriert - geschützt von Hamburgs Polizisten, nahezu unbeachtet von der Öffentlichkeit. Daher wird nicht ausgeschlossen, dass der Sturm auf die Justizbehörde ein Ausfluss des Misserfolges war. Indes sollen die Besetzer auch von deutschen Sympathisanten beraten worden sein. "Offenbar ist dabei die Lage völlig falsch eingeschätzt worden", sagt ein Beamter. So sollen die Demonstranten nach den "Beratungen" im Glauben gewesen sein, aus der Justizbehörde ungehindert abziehen zu können, wenn sie keine größeren Verwüstungen anrichteten. Gegen die Besetzer, unter denen auch vier der linksautonomen Szene zugehörige Deutsche waren, wurden wegen Hausfriedensbruchs und Nötigung Ermittlungen aufgenommen. Auch andere Behörden haben derweil in den vergangenen Monaten Erfahrungen mit unliebsamen und vor allem unangemeldeten Besuchern gemacht. So kamen Anfang des Jahres Drogenabhängige in die Sozialbehörde, um für ein Anliegen zu demonstrieren. Sie konnten dann mit Vertretern der Behörde sprechen und zogen anschließend friedlich wieder ab. "Wir haben viele Eingänge, der größte davon ist mit einem Pförtner besetzt. Extra abgesichert wurde nur noch einmal der Flur, an dem die Senatorin ihr Büro hat", erklärte ein Sprecher. Diese Sicherheitsvorkehrungen gab es allerdings noch nicht, als der heutige Bürgermeister Ortwin Runde noch in der BAGS als Senator tätig war. Damals war es einer Frau gelungen, mit einer Waffe bis in das Amtszimmer vorzudringen. Auf die Sicherheit im unmittelbaren Führungsbereich hat sich auch die Schulbehörde beschränkt. Prinzipiell ist es jeder Gruppe möglich, in die anderen Flure des Hochhauses an der Hamburger Straße zu gelangen. "Wenn wir allerdings von einer Demonstration vorher wissen, haben wir die Möglichkeit, den Haupteingang abzuriegeln", so Sprecher Uwe Grieger. Dann wird eine Delegation aus dem Haus geschickt, um mit den Demonstranten zu sprechen. Für die Behörde sei es aber wichtiger, als "offenes Haus" zu gelten, als sich mit möglichst großer Sicherheit abzuschotten. Gleiches gilt auch für das Rathaus, das zwei getrennte Sicherheitsbereiche aufweist. Die vom Haupteingang aus gesehen linke Seite ist der Bürgerschaft vorbehalten. "Hier soll der Bürger möglichst einfach hineinkommen, die Bürgerschaft soll transparent bleiben", so Rathausarchitekt Felix von Kalben. Auf der anderen Seite, bei der Exekutive, sieht es ganz anders aus. Hier gelten verschiedene Sicherheitsbereiche, die nur mit Spezialschlüsseln zu erreichen sind. Außerdem patroullieren regelmäßig Feuerwehrbeamte, die in der aktiven Brandbekämpfung nicht mehr eingesetzt werden können. Wer zum Bürgermeister will, muss zudem noch die "Gesichtskontrolle" seines Sekretariats bestehen.
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