junge Welt 16.12.2000 Interview Droht Akubuo trotz Hungerstreik Abschiebung? jW sprach mit Annette Köppinger (Die Vorsitzende des Flüchtlingsrates Mecklenburg-Vorpommern ist mit dem Fall des Nigerianers Chukwudi Akubuo vertraut, dessen Haft am Freitag nach einem Beschluß des Rostocker Landgerichts aufgehoben worden ist. Das Interview wurde bereits am Donnerstag geführt) F: Im Fall des im Bützower Abschiebegefängnis im Hungerstreik befindlichen nigerianischen Flüchtlings Chukwudi Akubuo gibt es nach wie vor keine klare Entscheidung seitens des Innenministeriums. Wie ist der genaue Stand? Herr Akubuo ist durch den inzwischen dreiwöchigen Hungerstreik extrem geschwächt. Täglich kann ein lebensbedrohlicher Zustand eintreten, etwa durch ein Kreislauf- oder Nierenversagen. Seit über einer Woche liegt nun die Empfehlung der Härtefallkommission vor, den beabsichtigten Vollzug der Abschiebung des gebürtigen Nigerianers auszusetzen, die Abschiebehaft zu beenden und ihm eine Duldung auszusprechen, damit alle Möglichkeiten zur körperlichen und seelischen Genesung von Herrn Akubuo ausgeschöpft werden. Die Härtefallkommission sieht auch in der Tatsache, daß er der drohenden Abschiebung mit dem Weg in den Freitod durch Hungerstreik begegnet, eine besondere Härte, die ein neues Abschiebehindernis darstellt. F: Warum folgt SPD-Innenminister Gottfried Timm, der sonst soviel Wert auf die Härtefallkommission legt, deren Empfehlung gerade in einem Fall nicht, der so breite öffentliche Unterstützung erfährt? Das muß man ihn am besten selbst fragen. Zwar begrüßte Timm in einer Erklärung schon einen Tag später die Empfehlung der Härtefallkommission. Praktisch jedoch hat er nun, eine gute Woche später, noch nicht reagiert, weder hinsichtlich der Beendigung der Abschiebehaft noch durch das Aussprechen einer Duldung. Wenn der Innenminister aber selbst nicht entscheidet, wird es in dieser aufgeladenen öffentlichen und politisch brisanten Situation keinen Fortgang geben. F: Aber die Ausländerbehörde des Landkreises Parchim könnte doch auch reagieren? Schon, aber auch nur in Absprache mit dem Innenministerium. Die Ausländerbehörde sah sich durch die Empfehlung der Härtefallkommission nur veranlaßt, eine ärztliche Begutachtung des Gesundheitszustandes von Herrn Akubuo anzuweisen. Doch selbst die hat bis heute nicht stattgefunden. Zudem ist diese Begutachtung aus meiner Sicht nicht unbedingt nötig, da er unter täglicher ärztlicher Kontrolle steht. F: Trotz der Unterstützererklärungen für den Nigerianer von den Landtagsfraktionen der SPD und der PDS gab es nach der letzten Koalitionssitzung seitens der dortigen PDS- Vertreter nur halbherzige Erklärungen, und in der Landtagssitzung vom Mittwoch standen auch keine Anträge auf der Tagesordnung, die Druck auf die Regierung machen könnten ... Das hängt zum einen sicherlich damit zusammen, daß es eine derart aufgeheizte öffentliche Situation diesen Ausmaßes in einem Abschiebefall in Mecklenburg das erste Mal gibt. Zum anderen scheint die Kompliziertheit und Spezifik des Falls Akubuo offensichtlich keine einheitlichen Partei- und Fraktionsmeinungen mehr zuzulassen, so daß die unterschiedlichen Meinungen quer durch alle politischen Lager gehen. F: Was ist denn die Spezifik des Falls Akubuo? Die Kampagnen etwa, er sei ein schlechter Ausländer, ein Straftäter und Randalierer? Diese Art der »Auseinandersetzung« scheint beliebt in Deutschland. Es wird immer nur geguckt, ob derjenige mal irgendwie straffällig wurde, ohne zu differenzieren oder zu fragen, warum und weshalb. Herr Akubuo selbst war bis zum Sommer meiner Kenntnis nach nicht vorbestraft. Er beging nur kleinere Delikte, die zum Teil mit Geldstrafen geahndet wurden. Wichtig ist doch momentan, daß Chukwudi Akubuo durch den Versuch, mit Hungerstreik in den Freitod zu gehen, in eine Sackgasse geraten ist. Und unsere Aufgabe ist es, ihn da herauszubekommen und zwar lebend! F: Gab es inzwischen eine Entscheidung zur vorliegenden Haftbeschwerde? Eine Entscheidung sollte bereits am Mittwoch gefällt werden. Nun wurde jedoch bekannt, daß vor dem Landgericht Rostock über den Fall in Kürze entschieden werden soll. F: Wie sollte es aus Ihrer Sicht nun weitergehen? Natürlich ist die sofortige Beendigung der Abschiebehaft und die Erteilung einer Duldung dringend notwendig. Dann sollte man abwarten, ob die von seinen Anwälten am 24. November beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Beschwerde angenommen wird. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle, in denen nach einer gründlichen Untersuchung der Fluchtgründe am Ende eine Anerkennung als politisch Verfolgter stand, der Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention festgestellt wurde oder zumindest eine Duldung aus humanitären Gründen erteilt werden konnte. Dokumentiert sind solche Fälle beispielsweise durch den Förderverein »Pro Asyl«. Interview: Annett Bartl
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