DER STANDARD (A), 18. Dezember 2000, Seite 16 RUDI DORNBUSCH Türkei: Zweifaches Hurra für den IWF Plötzlich stürzte die Türkei in eine Finanzkrise. Bei dem Versuch, das türkische Pfund zu verteidigen, gingen in wenigen Tagen sechs Milliarden Dollar an Devisen verloren. Nur 18 Milliarden blieben übrig, was kaum für eine Woche reicht, wenn man mit allen Mitteln gegen einen Kursverfall an den Börsen kämpft. Im Gegensatz zu anderen Krisen hat der Internationale Währungsfonds (IWF) diesmal keine Zeit verloren und rechtzeitig Gelder zur Verfügung gestellt. Er hat erfolgreich mit der türkischen Regierung verhandelt, um das Bereitschaftskreditprogramm zu rechtfertigen. Ein zweifaches Hurra dem IWF, der eine überflüssige Krise abwehren konnte, Glückwünsche an die türkische Regierung, die sich an die IWF-Spielregeln hält. Seit der Asien-Krise von 1997 steht der IWF unter Beschuss. Angesichts der Entwicklungen in der Türkei ist die Frage berechtigt: Gibt es zum IWF eine Alternative? Ich glaube, die Schmerzen, die vom IWF verordnete, kurzfristig hohe Zinsen verursachen, sind leichter zu ertragen als staatlich kontrolliertes Kapital und der Zusammenbruch des Banken- und Währungssystems. Am Rande der Krise Die Türkei bewegt sich seit Jahren am Rande einer Krise. Das Budget- und Außenhandelsdefizit ist hoch, die Staatsverschuldung ist hoch, die Banken sind schlecht, und die kurzfristige Auslandsverschuldung ist in Relation zu den Fremdwährungsreserven hoch. Die innenpolitische Situation - angefangen von Menschenrechtsverletzungen über den islamischen Fundamentalismus bis zur tief verwurzelten Korruption - macht alles noch komplizierter. Bei so viel Pulver grenzt es an ein Wunder, dass das Fass nicht längst explodiert ist. Der eigentliche Funke war relativ klein. In Rumänien ging die Filiale einer türkischen Bank in Konkurs. Ein Sturm auf die türkische Bank setzte ein. Andere Banken mit dubiosen Portfolios und/oder Problemen mit dem Gesetz gerieten unter Druck. Eine Kapitalflucht ins Ausland war die Folge. Eine typisches Emerging-Market-Story: Das Vertrauen in die Banken ist viel geringer, als es den Anschein hat. Devisenschmelze Zunächst sprang in letzter Minute die türkische Zentralbank als "lender of last resort" (Kreditgeber letzter Instanz) ein, um illiquide Banken über Wasser zu halten. Doch beschleunigte sich nur die Fluchtbewegung der Investoren, und die Devisen schmolzen dahin. Nach wenigen Tagen erkannten die türkischen Behörden, dass sie im Begriff waren, denselben Fehler zu machen wie Indonesien im Jahr 1997: Um unseriöse Banken zu retten, vergeudete die damalige Regierung Auslandswährungen und hatte schließlich die Banken mitsamt den Devisen verloren. Hier trat der IWF auf den Plan. Die Türkei verpflichtet sich, das IWF-Programm mit einem Spar- und Anti-Inflationsprogramm durchzuziehen und die Bankenreform konsequent fortzusetzen. Allerdings steht der IWF hinter der Entscheidung, die Zinssätze drastisch zu erhöhen und Banken mit zweifelhafter Geschäftsgebarung unter Staatsaufsicht zu stellen. Die Leitzinsen stiegen zwar um Tausende Prozentpunkte, aber innerhalb weniger Tage flossen zwei Milliarden Dollar an Devisen ins Land zurück. Mehr ist zu erwarten, falls die Regierung ihre Kreditpolitik fortsetzt. Hohe Zinsen und zusätzliche Sparmaßnahmen werden das Wachstum zwar verlangsamen, aber gleichzeitig die Inflation eindämmen. Mithilfe des IWF-Programms wird es möglich sein, die heftig umstrittene Privatisierung der türkischen Telekom zügig umzusetzen. Und der üble Geruch von Instabilität an den Börsen könnte Europa veranlassen, die EU-Mitgliedschaft der Türkei voranzutreiben. Nichtsdestotrotz ist der Kampf noch nicht ausgefochten. Ausländische Investmentbanken mit Engagements in der Türkei könnten es vorziehen, auf Nummer sicher zu gehen, was einen Kapitalschwund zur Folge hätte, der die IWF-Kredite bei weitem übersteigt. Unverändert hohe Zinsen - und sie sind noch immer auf einem Notstandsniveau - steigern Defizite und Schulden und schwächen das Bankensystem. Man ist versucht, die Frage zu stellen, ob nicht die Freigabe der Wechselkurse die bessere Antwort wäre. Doch in einer hochinflationären Wirtschaft wie der Türkei mit hohem Wirtschaftswachstum würde eine drastische Abwertung die Inflation neu entfachen und das Land in die Krise zurückwerfen. Kein Allheilmittel Es gibt einen weiteren Grund, warum die Freigabe des Wechselkurses nicht in Betracht gezogen wurde: Die Türkei war mit einem Liquiditätsproblem der Banken, nicht mit einem Währungsproblem konfrontiert. Dank sei hier dem IWF, der erkannt hat, dass der Wechselkurs nicht das Allheilmittel für alle Probleme ist. Ohne den Währungsfonds hätte sich die Türkei für eine strenge Kontrolle des Kapitals entschlossen. Viele Länder in derselben Lage würden diesen Weg in Zukunft gehen. Die Krise der Türkei war somit von globaler Tragweite. Diese Überlegungen hat der IWF in sein Hilfsprogramm mit Sicherheit einbezogen. Ebenso sicher kann man davon ausgehen, dass sich die Türkei nur wenig darum gekümmert hätte. Es ist noch einmal gut gegangen. Rudi Dornbusch ist Ford-Professor für Wirtschaftswissenschaft und Internationales Management am Massachusetts Institute of Technology (MIT). |