junge Welt, 18.12.2000 Mit harter Hand geräumt Besetzung der Hamburger Justizbehörde endete für Istanbuler Samstagsmütter auf Polizeiwachen Mehr als 50 Personen, darunter vorwiegend Kurden und Türken, gelang es letzte Woche, das Hamburger Justizgebäude zu besetzen. Zu den Demonstranten gehörten auch Mütter aus der Türkei, deren Kinder sich derzeit in türkischen Gefängnissen im Hungerstreik befinden oder im Polizeigewahrsam verschwunden sind. Mit dabei letzten Donnerstag auch Hatice Toraman von den Istanbuler Samstagsmüttern, die als Asylberechtigte in der BRD lebt. Ihr Sohn wurde 1992 verhaftet. Seither hat sie nichts mehr von ihm gehört. Die Mütter waren gekommen, um ein Gespräch mit der Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit zu führen. Sie wollten die Sozialdemokratin über die Menschenrechtslage in der Türkei sowie die unhaltbare Situation in den Gefängnissen informieren. Außerdem wollten sie die Senatorin auffordern, dafür zu sorgen, daß das Thema »Türkei« im Bundestag behandelt wird. Die Senatorin sollte zudem im Hamburger Senat darauf hinwirken, daß dieser im Bundesrat initiativ werde, um Rüstungsexporte und Wirtschaftshilfe für die Türkei zu stoppen. Die Gruppe besetzte einen Raum und hängte Transparente aus dem Fenster. Handzettel flogen auf die Straße. Behörde und Polizei reagierten zunächst planlos. Alarmierte Mannschaftswagen blieben in den Nachmittagsstaus stecken. So dauerte es, bis die Uniformierten sich vor dem Gebäude postiert hatten und es ihnen gelang, 50 weitere Demonstranten vor dem Haus abzudrängen. Krankenwagen und Feuerwehrmänner wurden angefordert. Letztere verlegten für Brandfälle Wasserschläuche in das Gebäude. Ein Luftkissen wurde aufgeblasen, da einige der Besetzer sich auf der Fensterbank niedergelassen hatten. Die Besetzer hatten Pastor Christian Arndt, den ehemaligen grünen Bundestagsabgeordneten Thomas Ebermann, einen islamischen Mullah und eine Anwältin um Vermittlung mit der Behörde gebeten. Die vier wurden mit den Müttern in einen separaten Raum gebeten. Der Staatsrat der Justizbehörde, Hans-Peter Strenge, signalisierte Gesprächsbereitschaft, den Abzug der Besetzer vorausgesetzt. Die Mütter erklärten sich darauf bereit, ihre Personalien anzugeben, und somit die Verantwortung für die Aktion zu übernehmen. Gegen 16 Uhr erklärte Polizei-Pressesprecher Reinhard Fallak, daß keine Person zu Schaden gekommen sei, und es so auch für die Polizei keinen zwingenden Handlungsbedarf gebe. Doch während Staatsrat Strenge sich bemühte, den Rückzug der Besetzer zu organisieren und einen Gesprächstermin mit der Senatorin zu organisieren, befahl Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) die Räumung. Kurz nach 17 Uhr stürmte ein Mobiles Einsatzkommando (MEK) das Justizgebäude und nahm alle Beteiligten in Gewahrsam. Auch die Mütter, die mit den Vermittlern auf den Gesprächstermin mit der Senatorin warteten. Sie wurden zur Ermittlung ihrer Personalien auf die umliegenden Polizeiwachen verteilt. Von den vier Mitgliedern der Vermittlungsgruppe wurden die persönlichen Daten festgehalten. »Das ist mir zum ersten Mal passiert«, gab Christian Arndt gegenüber junge Welt an. »Ich habe solche Vermittlungen schon häufiger gemacht, nie aber wurden meine Personalien aufgenommen. Das scheint mir ein Zeichen dafür zu sein, daß die Innenbehörde auf Konfliktverschärfung setzt und mit dieser Drohgebärde Menschen einschüchtern will, die sich für solche Verhandlungen zur Verfügung stellen.« Insgesamt, so Christian Arndt weiter, sei festzustellen, daß die Innenbehörde der Justizbehörde die Entscheidungen völlig aus der Hand genommen habe. »Mein Eindruck aus den Gesprächen, die wir mit Staatsrat Strenge geführt haben, und den Fakten, die mit dem Polizeieinsatz geschaffen wurden, ist, daß der Innensenator den Befehl zur Räumung in einer einsamen Entscheidung erteilte. Dabei ging Wrocklage ein unkalkulierbares Risiko ein, bei dem Leib und Leben der Mütter gefährdet wurden.« Birgit Gärtner, Hamburg |