Süddeutsche Zeitung, 18.12.2000 Rechte Kundgebung in Dortmund Polizei nimmt bei Nazi-Marsch 600 Gegendemonstranten fest Grüne: Stundenlange Einkesselung der überwiegend Jugendlichen war völlig unverhältnismäßig Dortmund (AFP/dpa) - Die Polizei hat bei einem Neonazi-Aufmarsch am Samstag in Dortmund mehrere Hundert Gegendemonstranten stundenlang eingekesselt und insgesamt 595 Menschen vorläufig festgenommen. Nach Polizeiangaben wurden 573 Demonstranten zur "Gefahrenabwehr" in Gewahrsam genommen; den übrigen 22 legen die Beamten Straftaten zur Last. Zwei Grünen-Abgeordnete übten scharfe Kritik an der Polizei: Der Kessel sei "völlig unverhältnismäßig" gewesen, kritisierten die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach und die NRW-Landtagsabgeordnete Barbara Steffens. In der Dortmunder Innenstadt hatten laut Polizei vor der Einkesselung der Gegendemonstranten etwa 1500 Menschen friedlich gegen einen Aufzug von etwa 320 Rechtsextremen protestiert. Parallel zu den Gegendemonstrationen der Dortmunder Initiativen "Wir stellen uns quer" und "Aufstehen gegen Rechts machten Schüler in der City mit Straßentheater-Aufführungen auf die Gefahr von Rechts aufmerksam. Die von dem Hamburger Rechtsextremisten Christian Worch angemeldete Demonstration wurde von einem Großaufgebot der Polizei geschützt; der Aufmarsch-Ort war weiträumig abgesperrt. Nach Polizeiangaben versuchten Gegendemonstranten mehrmals vergeblich, die Absperrungen zu durchbrechen. Am Rande der Demonstrationen griffen laut Polizei vor dem Dortmunder Hauptbahnhof etwa 30 linke Demonstranten zwei mutmaßliche Mitglieder der rechten Szene an; beide trugen demnach Verletzungen davon. Unter den im Kessel in Gewahrsam genommenen Gegendemonstranten befanden sich laut Polizei 201 Jugendliche. Ausdrücklich erwähnte die Polizei, es seien "keine Kinder" abtransportiert worden. Buntenbach und Steffens kritisierten, das Vorgehen der Polizei trage zur "Kriminalisierung von friedlichen, meist jugendlichen Demonstranten" bei. Es sei "unverantwortlich, die Demonstranten bei Eiseskälte stundenlang im Regen stehen zu lassen". Im Kampf gegen Rechtsextremismus im Internet ist aus Sicht von Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) verstärkte internationale Zusammenarbeit nötig. Es bereite ihm besondere Sorge, was über moderne Kommunikationsmittel wie das Internet in die Köpfe der Menschen komme, sagte Schily auf einer SPD-Konferenz in Karlsruhe. Laut Schily gibt es derzeit 800 rechtsextremistische Websites, "die diesen Schmutz über Menschen ausgießen". Mehr als 90 Prozent dieser Seiten würden in den USA oder in Kanada eingespeist. Das Thema habe er auch schon mit dem Direktor der US-Bundeskriminalpolizei erörtert. Schily begrüßte, dass nach der Bundesregierung und dem Bundesrat auch der Bundestag einen Antrag auf Verbot der rechtsextremistischen NPD beschlossen hat. "Die NPD hat deutlich antisemitische Züge, und ein Land mit unserer Geschichte kann nicht organisierten Antisemitismus dulden und ihn womöglich noch mit parteipolitischen Privilegien ausstatten - sogar noch mit staatlichen Zuschüssen", sagte Schily. "Kulturelle Prävention nötig Ein Verbot sei aber kein Allheilmittel. Die geistige Auseinandersetzung müsse verstärkt beginnen. Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus komme dem Bundesgrenzschutz eine verstärkte Aufgabe zu. Neben der technischen, organisierten und sozialen Prävention sei eine "kulturelle Prävention nötig. Wer Musikschulen schließe, schade der inneren Sicherheit. Auch Sport sei ein wesentlicher Faktor kultureller Prävention. Schily will ein schärferes Profil über das Kriminalgeschehen in der Gesellschaft erhalten. Dazu plant er einen periodischen Sicherheitsbericht, der wissenschaftliche Erkenntnisse einbeziehen soll, sowie die Gründung eines deutschen Forums für Kriminalprävention. |