Berliner Zeitung, 19.12.2000 "Die EU trifft die letzte Entscheidung" Scharping will vor Einsätzen die Meinung der USA hören - mehr nicht Der Beschluss der Europäischen Union zum Aufbau einer Schnellen Eingreiftruppe hat zu Streit mit Nato-Partnern geführt. Die USA dringen auf enge Abstimmung mit der Allianz, Frankreich plädiert für eine unabhängige EU-Einsatzplanung. Zudem verlangt die Türkei ein Mitspracherecht über Kriseneinsätze der EU, an denen sie sich beteiligen will. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) besteht aber darauf, dass letztlich allein die EU-Staaten eine Militäraktion beschließen. Wie brisant sind die Differenzen über das Verhältnis zwischen der EU-Eingreiftruppe und der Nato? Ich bin sicher, dass wir bald im Jahr 2001 zu Ergebnissen kommen werden. Das ist auf Grundlage der Vereinbarungen zwischen Westeuropäischer Union und Nato über den gegenseitigen Zugang zu Einrichtungen und Kapazitäten sachlich kein großes Problem. Ich verstehe, dass die der EU nicht angehörenden Nato-Staaten ein Interesse daran haben, möglichst gut zu wissen, was in der EU geschieht. Übrigens haben wir als EU umgekehrt daran auch ein Interesse, handelt es sich doch zum großen Teil um Staaten, mit denen die Union über einen Beitritt verhandelt. Von daher sage ich mit Blick auf manche Aufgeregtheit: Lasst lieber die Kirche im Dorf. Frankreich ist für große Eigenständigkeit der EU bei Militäreinsätzen, Großbritannien und die USA sind dagegen. Wie unabhängig soll die Truppe aus deutscher Sicht sein? Die Nato ist das sicherheitspolitische Rückgrat für Deutschland und Europa. Deshalb haben die europäischen Staats- und Regierungschefs auch ausdrücklich beschlossen, dass sich Europa bei gemeinsamer Sicherheit und kollektiver Verteidigung zu 100 Prozent auf die Nato stützt. Insofern kann es keine Konkurrenz zwischen beiden Organisationen geben. Daraus ergibt sich auch, dass wir keine Doppelstrukturen aufbauen wollen. Warum sollte man zwei Planungsprozesse, zwei Aufklärungssysteme oder anderes doppelt haben, wenn es um eine gemeinsame Aufgabe geht? Das bringt nichts und kostet nur Geld. Sind Sie dafür, dass das Nato-Hauptquartier SHAPE auch dann EU-Einsätze plant, wenn USA und Nato formal nicht beteiligt sind? Das wird eine besondere Verantwortung des stellvertretenden Oberkommandierenden der Nato in Europa sein - der ist ein Europäer. Die Streitkräfteplanung und die Operationsplanung laufen im EU-Militärstab, den der deutsche General Rainer Schuwirth leitet. Allerdings geschieht das in enger Abstimmung mit der Nato, abgestützt auf deren bewährte Verfahren, Kenntnisse und zum Teil auch Personen. Teilen Sie die Befürchtungen der USA, dass die EU-Verteidigungspolitik den Zusammenhalt der Nato schwächen könnte? Nein, auch unsere amerikanischen Freunde wollen ein starkes Europa mit gemeinsamer Außen- und Sicherheitspolitik. Das ist keine Gefahr für den Zusammenhalt der Nato - im Gegenteil: Diese Entwicklung ist ausdrücklich Bestandteil des strategischen Nato-Konzepts vom April 1999. Das setzen wir jetzt in Europa um, zuletzt mit Beschlüssen des EU-Gipfels in Nizza. Wie kann und soll die EU auf Vorbehalte der Türkei gegen die Eingreiftruppe reagieren? Da sehe ich jedenfalls keine grundlegenden Konflikte. Wir haben ein europäisches Interesse daran, dass die Türkei ein laizistisches Land bleibt. Und sie ist von enormer strategischer Bedeutung wegen ihrer Brückenfunktion zwischen einem Teil Asiens, dem Nahen Osten und Europa. Strittig ist aber doch die Frage, wie weit die USA und die Türkei in die Planungen der EU für eigene Militäreinsätze einbezogen werden? Wir haben ein sehr weit reichendes Angebot gemacht, nämlich vollständige Transparenz und Beteiligung, etwa durch Verbindungsoffiziere. Das liegt auch im Interesse anderer europäischer Nato-Staaten. Man muss aber zwischen "decision shaping" und "decision making" unterscheiden. Wenn die EU sich zu einer militärischen Maßnahme entschließt, kann die letzte Entscheidung nur von den EU-Mitgliedstaaten getroffen werden. Dass man dabei berücksichtigt, was Partner und Teilnehmer einschließlich der Türkei sagen, das ist doch völlig klar. Das Gespräch führten Gerold Büchner und Werner Kolhoff. Umstrittene Truppe Frankreich will eine von der Nato unabhängige Militärplanung für EU-Einsätze. In Großbritannien löste das Ängste vor einem "Superstaat Europa" aus. US-Verteidigungsminister Cohen hat gemahnt, die Nato nicht zum "Relikt" verkommen zu lassen. Die Eingreiftruppe der Europäer soll 2003 stehen und 60 000 Soldaten umfassen, mit weiteren 40 000 in Bereitschaft. Auch EU-Kandidaten wie die Türkei, Polen und Ungarn haben Kontingente angeboten. Geplant sind Aktionen von humanitärer Hilfe bis hin zur Friedenserzwingung. |