Süddeutsche Zeitung, 20.12.2000 Scharon tritt gegen Barak an UN-Sicherheitsrat lehnt Entsendung von Schutztruppe ab / Israel bereit zu Zugeständnissen in der Jerusalem-Frage / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Der frühere israelische Premierminister Benjamin Netanjahu wird bei der für 6. Februar anberaumten vorgezogenen Wahl für das Amt des Regierungschefs doch nicht antreten. Dies gab Netanjahu am Dienstagmorgen bekannt, nachdem das Parlament, die Knesset, in den frühen Morgenstunden mit 69 zu 49 Stimmen gegen die von ihm geforderte neue Parlamentswahl votiert hatte. Durch Netanjahus Rückzug steht der Vorsitzende der rechts-orientierten Likud-Partei, Ariel Scharon, als Herausforderer des Premierministers Ehud Barak fest. Den ursprünglich geplanten Sonderparteitag, auf dem der Likud-Kandidat nominiert werden sollte, sagte die Partei daher ab. Netanjahu hatte seine Kandidatur an die Bedingung gekoppelt, gleichzeitig mit der Direktwahl zum Premierminister auch eine neue Knesset zu wählen. Netanjahu hatte erst vor acht Tagen angekündigt, gegen Barak antreten zu wollen. Umfragen zufolge hätte Netanjahu sehr gute Chancen gehabt, die Wahl zum Regierungschef zu gewinnen. Auf einer Pressekonferenz erklärte der sichtlich überraschte Netanjahu, er werde nun doch nicht kandidieren, da er als Premier nicht mit der derzeitigen Knesset hätte zusammenarbeiten können. Durch den Rückzug Netanjahus sind nach Einschätzungen israelischer Medien die Chancen Baraks "deutlich" gestiegen, bei der Direktwahl zum Regierungschef zu gewinnen. Scharon gilt als unversöhnlicher Likud-Politiker, der kein Hehl aus seiner Abneigung gegenüber Palästinenserpräsident Jassir Arafat macht. Schimon Peres, einstiger Regierungschef und Kabinettsmitglied, wiederholte am Dienstag in mehreren Interviews, er erwäge eine Gegenkandidatur gegen Barak. Da die Arbeitspartei bereits Barak als ihren Kandidaten gewählt hat, müsste Peres als Kandidat einer neuen Partei antreten. Er überlege, zusammen mit der linken "Meretz sich für die "Friedenspartei" aufstellen zu lassen. Bis Donnerstagnacht muss er sich entschieden haben. Peres hat allerdings bislang noch nie eine Wahl gewonnen, zuletzt hatte er erfolglos für das Amt des Staatspräsidenten kandidiert. Die Bemühungen Arafats um eine internationale UN-Truppe, die zur Eindämmung der Gewalt in den Palästinensergebieten beitragen soll, sind unterdessen gescheitert. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York lehnte in der Nacht zu Dienstag mit den Stimmen der USA, mehrerer westlicher Staaten und Russlands die Entsendung sowohl einer Beobachter- als auch einer Schutztruppe ab. Die gesamte arabische Welt hatte die Entsendung von Schutztruppen gefordert, Israel hatte dies stets strikt abgelehnt. Nach israelischen Rundfunkangaben haben Diplomaten in New York erklärt, die Annahme der Resolution zur Entsendung von UN-Truppen wäre ein "falsches Signal" vor der Wiederaufnahme der Friedensgespräche in Washington gewesen. Am Dienstagmorgen trafen die palästinensischen und die israelischen Chefunterhändler in Washington zu getrennten Gesprächen mit US-Vertretern zusammen. Nach israelischen Medienangaben könnten sich Arafat und Barak kommende Woche zu einem Gipfelgespräch treffen. Israel sei bereit, 95 Prozent des Westjordanlandes sowie die Souveränität über den Tempelberg in Jerusalem einzuschränken. Auch Außenminister Schlomo Ben-Ami sprach sich vor seiner Abreise in die USA für die Beschränkung der israelischen Souveränität über den Tempelberg auf eine Art religiöse Hoheit aus. Einwanderungsministerin Juli Tamir betonte, um zu einer Einigung mit den Palästinensern zu kommen, müsse Israel "auf die eine oder andere Art" auf seine Hoheit über die für Juden und Muslime gleichermaßen heilige Stätte verzichten. Die USA erhoffen sich von den Gesprächen einen entscheidenden Impuls zur Wiederaufnahme der vor drei Monaten abgebrochenen Friedensgespräche. Dabei drängt alle Beteiligten die Zeit. Barak will möglichst rasch ein Abkommen mit den Palästinensern schließen, um die Neuwahl des Regierungschefs zu einer Volksabstimmung über den Friedensprozess zu machen. Und die Palästinenser fürchten, dass sie mit dem neuen amerikanischen Präsidenten George W. Bush als Vermittler bei einem Friedensabkommen schlechter abschneiden als mit Bill Clinton. Sprecher des US-Außenministeriums betonten zwar, die Amtsübernahme durch Bush werde keinen Einfluss auf den Friedensprozess haben. Aber Bush will nach eigener Aussage künftig etwas mehr die Interessen Israels vertreten, als dies der demokratische Amtsinhaber Clinton bislang getan hat. |