Berliner Zeitung, 20.12.2000 Mysteriöse Todesfälle nach Kontakt mit Uran-Munition Italien besorgt über Verstrahlung von Soldaten im Kosovo Thomas Götz ROM, 19. Dezember. Sind Nato-Soldaten im Krieg gegen Jugoslawien 1999 durch ihre eigene, mit Uran gehärtete Munition verstrahlt worden? Diese Frage beschäftigt Italien, seit bekannt wurde, dass sich unter den zeitweilig auf dem Balkan stationierten Soldaten Fälle von Tumorerkrankungen und Leukämie häufen. Drei Todesfälle hat das Verteidigungsministerium bisher offiziell eingeräumt, die Eltern von zwei der Toten vermuten einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Sterben ihrer Söhne und der Verwendung der Uran-Munition im Kriegsgebiet. Am Donnerstag will sich das Parlament in Rom mit der Angelegenheit befassen. Verteidigungsminister Sergio Mattarella bemüht sich, die Gemüter zu beruhigen. "Wir dürfen keine Panik erzeugen, ehe Beweise vorliegen", sagt er. Tatsächlich lässt sich derzeit noch nicht sagen, dass die drei Toten - zwei Soldaten und ein Rot-Kreuz-Offizier - tatsächlich infolge der Verseuchung durch radioaktive Munition erkrankten. Der Privatverein "Osservatorio delle Forze Armate", eine Art Ombudsmann für Militärs, geht allerdings davon aus. Nach seinen Erkenntnissen sind sogar schon sieben Soldaten an der Verstrahlung gestorben, zwölf sollen erkrankt sein. Die Namen hält der Verein entgegen einer Bitte des Verteidigungsministeriums bisher unter Verschluss. Neun Tonnen Der Bericht einer Kommission, die im Auftrag der UN die Risiken der Verstrahlung auf dem Balkan untersucht hat, wird erst im Januar fertig sein. "Die ersten Aussagen des Chefs der Mission, eines finnischen Wissenschaftlers, sind absolut beruhigend", sagte Mattarella. Während der Kriegswochen wurden nach Nato-Angaben rund 31 500 Uran-gehärtete Projektile auf Jugoslawien abgefeuert. Da jedes Projektil ungefähr 300 Gramm Uran enthielt, ergibt das eine Gesamtmenge von neun Tonnen strahlenden Materials. Fast die Hälfte dieser Munition liegt in jenem Gebiet des Kosovo, das später den Italienern zur Verwaltung zugeteilt wurde. Die Zeitung "Il Messaggero" erinnerte am Dienstag an die Warnung des walisischen Biologen Roger Coghill, der 1999 vorhersagte, 10 000 Menschen im Kosovo könnten als Folge der Verstrahlung erkranken und sterben. Nach Angaben des Blattes hatte die britische Atombehörde 1991, also unmittelbar nach dem Golfkrieg, von "potenziell 500 000 Toten" in Kuwait gesprochen. Im damaligen Krieg gegen Irak war allerdings weit mehr Uran verschossen worden als im Kosovo - rund 300 Tonnen. Führung kannte das Risiko Dass sich die Heeresleitung in Rom der Risiken auf dem Balkan bewusst war, geht aus den Handlungsanleitungen für Soldaten im Kosovo hervor, aus denen die "Repubblica" zitiert. Das Material bedeute "ein besonderes Risiko", schreiben die Militärs. "Die Gefahr dieser Munition kommt aus der Giftigkeit des Urans, die sich in seiner chemischen Wirkung ebenso zeigt wie in Strahlungen." Daniele Pisani, dessen Kompanie im Auftrag der italienischen Armeeführung die Auswirkungen des Einsatzes nuklearer, chemischer und bakteriologischer Waffen untersucht, hat mit hoch empfindlichem Gerät im Kosovo bisher lediglich 800 Gramm Uran finden können. Das geborgene Material wurde in eine Blei- und Plastikhülle eingeschweißt und harrt der Endlagerung. Pisani bemüht sich zwar, die Risiken herunterzuspielen. Er verweist aber auf die Gefahren besonders beim Inhalieren von verstrahltem Staub, der durch die Explosion des Projektils entsteht. Wird dieser Staub eingeatmet, greift er sowohl die Lunge als auch die Nieren an, erläutert Pisani. Eine Bedrohung gehe auch von nicht explodierter Munition aus. Sofern sie nicht geborgen werde, vergifte sie langfristig das Trinkwasser in der Region.
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