Frankfurter Rundschau, 21.12.2000

Türkei

Polizei setzt Einsatz in Gefängnissen fort

öhl ATHEN, 20. Dezember. Schwer bewaffnete Polizei hat am Mittwoch erneut versucht, in zwei türkische Gefängnisse einzudringen, in denen sich Häftlinge verbarrikadiert halten. Bei den Einsätzen in weiteren 18 Haftanstalten, die am Dienstag unter Einsatz von Bulldozern und gepanzerten Fahrzeugen gestürmt worden waren, sind nach offiziellen Angaben 16 Häftlinge und zwei Polizisten getötet worden. Medienberichten zufolge erlag am Mittwoch ein weiterer Gefangener im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Anwälte der Inhaftierten berichteten jedoch von 50 bis 60 Toten und weit über 100 Verletzten. Sie widersprachen auch der Darstellung des Justizministeriums, Häftlinge hätten sich selbst in Brand gesteckt. Ministerpräsident Bülent Ecevit lobte am Mittwoch "die Geduld und die Umsicht" der Einsatzkräfte. Er bezeichnete die Erstürmung als "großen Erfolg". Es sei gelungen, "die Terroristen-Nester in den Haftanstalten auszuräuchern".

Mit der Erstürmung der Gefängnisse, die den Codenamen "Operation zurück zum Leben" trug, wollte die Regierung nach eigener Darstellung die Hungerstreiks beenden, mit denen über 1000 vor allem linksgerichtete Gefangene seit rund zwei Monaten gegen neue Hochsicherheitsgefängnisse protestieren. Die neuen Anstalten haben Einzel- und Dreierzellen statt der bisher üblichen Schlafsäle für bis zu 100 Gefangene. Die Häftlinge fürchten daher Isolation und Misshandlungen. Sie wollten mit ihrem Hungerstreik auch die Abschaffung der Staatssicherheitsgerichte und der Anti-Terror-Gesetze erzwingen.

Justizminister Hikmet Sami Türk erklärte, Ziel der Erstürmungen sei es gewesen, Menschenleben zu retten. 821 im Hungerstreik befindliche Gefangene, unter ihnen 187, die sich am so genannten Todesfasten beteiligten, seien in Krankenhäuser gebracht worden. In 18 der 20 betroffenen Gefängnisse sei die "unvermeidliche Operation mit großem Erfolg abgeschlossen". Er appellierte an die Häftlinge in den beiden verbliebenen Anstalten Umraniye in Istanbul und Canakkale, ihren "sinnlosen Widerstand aufzugeben".

Während die Medien die Polizeiaktionen fast einhellig begrüßten, lieferten sich in Istanbul und Ankara Demonstranten Straßenkämpfe mit der Polizei. Proteste gab es auch in Deutschland und der Schweiz. Internationale Menschenrechtsgruppen kritisierten den Polizeieinsatz.