Basler Zeitung (CH), 21.12.2000 Antitürkischer Protest in Basel Basel/Istanbul. gs/jke. Die seit mehreren Tagen andauernden gewaltsamen Polizeieinsätze gegen hungerstreikende Häftlinge in der Türkei zeitigten gestern auch in Basel ihre Folgen: Über die Mittagszeit kam es zu einer Demonstration, die von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet war. Die Teilnehmer waren nach Polizeiangaben zumeist Mitglieder kurdischer oder linksgerichteter türkischer Gruppierungen. Die Spontan-Manifestation, von welcher das Polizei- und Militärdepartement (PMD) «durch Zufall» erfahren hat, wie PMD-Pressesprecher Klaus Mannhart erklärte, begann um 13.30 Uhr auf dem Claraplatz. Die Ordnungskräfte liessen die Versammlung zu; kurzfristig wurde auch ein Marsch ins Grossbasel erlaubt. Als die mehreren hundert Demonstranten, deren Protest sich auch allgemein gegen die stossenden politischen Verhältnisse in der Türkei richtete, anders als vereinbart nicht zum Münster-, sondern zum Marktplatz marschieren wollten, versperrte ihnen die Polizei auf der Höhe der Eisengasse den Weg. In der Adventszeit, führte Mannhart zur Polizeidoktrin aus, lasse man keine Demo-Züge in die stark frequentierte Innerstadt passieren, weil dies nur «Chaos» und «Unmut» auslöse. In der Folge kam es zu Handgreiflichkeiten, die kurzzeitig eskalierten. Die Polizei setzte Tränengas und Gummischrot ein, nachdem die Demonstranten laut Polizeiangaben mit Velos und andern Gegenständen um sich geworfen und die Beamten «direkt und massiv» angegriffen hatten. Mehrere Autos wurden beschädigt. Bei den Auseinandersetzungen wurden vier Polizeibeamte und eine Passantin verletzt; über die Höhe des Sachschadens liegen keine genauen Angaben vor. Später liess die Polizei die Manifestanten dennoch durch die Innerstadt ziehen. Um 14.30 Uhr endete die Demonstration mit lautstark skandierten Parolen auf dem Barfüsserplatz. Die CVP Basel-Stadt zeigte sich in einer Medienmitteilung «entsetzt» über die Ausschreitungen: «Wer die Konfrontation mit der Polizei sucht, missbraucht das Gastrecht.» Die politische Gruppierung «BastA!» hingegen äusserte sich in einem Communique «befremdet» über den Polizeieinsatz: Die blosse Abweichung von der vorgesehenen Demo-Route rechtfertige die Anwendung von Polizei-Gewalt nicht. «Massiv betroffen» von der Demonstration waren laut Pressesprecher Pius Marrer auch die BVB. Etwa um 13.45 Uhr musste der Tramverkehr über die Mittlere Brücke eingestellt werden, ab 14 Uhr war der ganze BVB-Verkehr durch die Innerstadt lahmgelegt. Die Behinderung dauerte gemäss Marrer bis um 14.40 Uhr. Bereits am Dienstag hatten sich kurdische Aktivisten während einer Führung durch das Bundeshaus von der Besuchergruppe abgesetzt, sich im Vorzimmer des Ständerates verbarrikadiert und das Bundeshaus als Podium für den Protest gegen das Verhalten der türkischen Behörden gebraucht. Gestern Mittwoch besetzten einige Kurden und Türken vorübergehend das SP-Generalsekretariat in Bern. Protestaktionen gab es unter anderem auch in London und Brüssel. Polizisten und Soldaten in der Türkei hatten am Dienstag die Hungerstreiks in 18 Haftanstalten mit massiver Gewalt beendet. Dabei kamen 17 Häftlinge und zwei Polizisten ums Leben. 78 Häftlinge wurden zum Teil schwer verletzt. Gestern Mittwoch versuchten Sicherheitskräfte vergeblich, die Situation in zwei weiteren Gefängnissen in Istanbul und in Canakkale unter Kontrolle zu bringen. Die Gefangenen hätten den Beamten durch den Einsatz von Waffen, selbstgebauten Flammenwerfern und Rohrbomben widerstanden, teilte das Innenministerium mit. Viele Häftlinge setzen ihren Hungerstreik auch nach ihrer Verbringung in Krankenhäuser fort. Nach Angaben der Istanbuler Tageszeitung «Radikal» sind 99 Häftlinge seit nunmehr 62 Tagen und weitere 114 Häftlinge seit 54 Tagen im Hungerstreik. |