Yeni Gündem, 21.12.2000
Kassetten-Schauspiel fehlgeschlagen
Das Telefongespräch, dass die Instruktion "Ein Freund soll
sich selbst anzünden" enthielt, erweist sich als gefälscht.
Im Bemühen, die Massaker in 20 Gefängnissen zu rechtfertigen,
hat die Regierung zeitgleich mit dem Eintreffen der ersten Todesmeldungen
eine Tonbandaufnahme in Umlauf gebracht. Der Inhalt der Kassette, die
vorgestern auf allen TV-Kanälen den ganzen Tage abgespielt wurde,
wurde auch in allen Zeitungen von gestern verbreitet: "Anführer-Befehl:
ein Kollege soll sich selbst anzünden!" Die Widersprüchlichkeiten
auf dem Band haben jedoch die Regierung entlarvt. Die Kassette soll der
CNN-Korrespondentin Hande Firat übergeben worden sein, als sie mit
anderen Journalisten im Ministerpräsidium auf eine offizielle Erklärung
zu den Geschehnissen im Gefängnis wartete.
Die Widersprüche sind folgende:
- Bei der angeblich aus Bayrampasa kommenden Stimme wurde versucht, sie
derjenigen des DHKP/C-Vertreters Sadi Özpolat ähneln zu lassen.
Nach Aussage seine Tante Serife Yilmaz ähnelt die Stimme anfangs
der Özpolats, bei genauem Hinhören erweise sie sich jedoch als
Nachahmung.
- Nach dem Dialog auf der Kassette fand das Gespräch zu Beginn der
Operation statt. Es ist jedoch auffällig, dass von beiden Seiten
keinerlei Anzeichen von Aufregung zu hören ist.
- Das Wort "Einheiten", das im Gespräch zweimal vorkommt,
ist ein Begriff, der von der Polizei verwendet wird. Es ist bekannt, dass
links eingestellte Organisationen dieses Wort nicht benutzen. Auch Personen,
die den Polizeifunk verfolgen, rechnen den Begriff der Polizei zu.
- Weiterhin ist auffällig, dass der Begriff "in Ordnung",
der im Polizeifunk nach jedem Gespräch folgt, auf der Kassette beinahe
nach jedem Satz fällt.
- Ein weiterer Widerspruch liegt in dem auf der Kassette oft benutzten
Wort "Kollege". Linke Gefangene sprechen sich mit "Genosse"
an.
- Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Störung, die - ausgelöst
durch ein anderes Handy - auf der Kassette zu hören ist.
- Zum Abschluss des Gespräches sagen die Sprecher in völliger
Ruhe "wir sehen uns, leb wohl" zueinander. Gefangene, die die
Entscheidung zum Widerstand getroffen haben und sich der Möglichkeit
bewusst sind, dass das Resultat der Tod sein kann, verabschieden sich
auf andere, sensiblere Art voneinander.
- Wie die Zeitungen schreiben, hat die Operation in Bartin um 4.30 Uhr
in den Sälen A-3 und A-2 begonnen. Auf dem Band, das angeblich um
5.30 Uhr aufgenommen wurde, sagt der angebliche Gefangene aus Bartin "Sie
haben von C aus angefangen, sind reingekommen."
- Die Staatskräfte, die das Gefängnis von Bartin betraten, konnten
kein Handy sicherstellen. Sie fanden "selbst Waffen", aber kein
Handy.
- Als Ergebnis bleibt, dass die Regierung gemeinsam mit der Tonbandaufnahme
eine Warnung der Gefangenen verbreitet hat, sie werden sich im Falle einer
Intervention selbst verbrennen, und so über Polizei, Militär
und Spezialeinheiten die Gefangenen hat hinrichten lassen, indem sie lebendig
verbrannt wurden. Der Öffentlichkeit wurde dieser Zustand als "Selbstverbrennung
auf Befehl" vorgespiegelt. Zülfü Livaneli, der während
des Todesfastens an den Verhandlungen teilgenommen hatte, sagte aus, dass
die Behauptung, zwischen den Gefangenen hätte ein Telefongespräch
stattgefunden, jeder Grundlage entbehre, weil in Bayrampasa Handys gar
nicht funktionierten. Die Benutzung von Telefonen wurde vor ca. einem
Jahr mit der Installierung eines aufwendigen Systems verhindert.
Auch die Anwälte, die zum Zweck von Untersuchungen zum Gefängnis
Sincan gingen, sagten aus, dass die Tonbandaufnahme nicht die Wirklichkeit
widerspiegele und es sich dabei um ein Element des psychologischen Krieges
handele. Davon zeuge die steife Tonlage der Stimmen, die Mechanik der
Aussagen sowie der Gebrauch von Begriffen wie "in Ordnung",
"Einheiten" und "Kollege".
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