Frankfurter Rundschau, 27.12.2000 Häftlinge weiter im Hungerstreik 81 Gefängnisdirektoren entlassen / Ankara geht Den Haag an Von Gerd Höhler ATHEN, 26. Dezember. Die Zahl der Opfer infolge der Erstürmung von 20 türkischen Gefängnissen in der Vorwoche hat sich nach amtlichen Angaben auf 29 erhöht. Am Montag erlag eine 22-jährige Gefangene, die sich beim Sturm auf das Gefängnis von Usak angezündet hatte, ihren Verletzungen. Menschenrechtsgruppen und Anwälte gehen davon aus, dass wesentlich mehr Gefangene getötet wurden. Unterdessen setzen nach Angaben des Justizministeriums 353 der ursprünglich über tausend Häftlinge ihren Hungerstreik fort. Ihr Protest richtet sich gegen die Inbetriebnahme der neuen Hochsicherheitsgefängnisse. Pressevertreter konnten am Wochenende das Istanbuler Bayrampasa-Gefängnis besichtigen, bei dessen Erstürmung mindestens zwölf Häftlinge getötet wurden. Den Journalisten wurden Waffen gezeigt, mit denen sich die Gefangenen zur Wehr gesetzt haben sollen, darunter eine Kalaschnikow und selbstgebastelte Flammenwerfer. Als letzte der 20 Haftanstalten war am Freitag das Gefängnis von Ümraniye in Istanbul gestürmt worden. Dort sollen die Häftlinge nach offiziellen Angaben so lange ausgehalten haben, weil sie unter massivem Druck ihrer Anführer standen. Ein Gefangener, der sich habe ergeben wollen, sei von Mithäftlingen getötet worden. Ergänzenden Agenturberichten zufolge wurden 81 Gefängnisdirektoren und Aufseher entlassen. Das Justizministerium wirft ihnen vor, gegen Bezahlung Waffen in die Anstalten geschmuggelt zu haben. Die an den Revolten beteiligten Häftlinge gehören überwiegend der linksextremen Untergrundorganisation DHKP-C an. Die Exil-Aktivitäten dieser Gruppe haben jetzt zu Spannungen zwischen der Türkei und den Niederlanden geführt. Ein Sprecher des türkischen Außenministeriums warf der niederländischen Regierung vor, sie gewähre Terroristen Unterschlupf. Nach türkischer Darstellung sollen vergangene Woche der Bürgermeister von Rotterdam und ein Beamter des niederländischen Außenministeriums an einer Pressekonferenz der DHKP-C teilgenommen haben. Das Innenministerium in Ankara veröffentlichte jetzt Mitschnitte abgehörter Telefonate, aus denen hervorzugehen scheint, dass die Hungerstreiks von DHKP-C-Führern in den Niederlanden angeordnet und koordiniert wurden. Zugleich forderte Justizminster Hikmet Sami Türk Belgien auf, das Hauptquartier der DHKP-C in Brüssel zu schließen. |