Frankfurter Rundschau, 26.12.00 Israel wartet auf Zeichen Arafats Palästinenser stehen vor Flüchtlingsfrage / Barak stellt Kompromiss in Aussicht Von Inge Günther Israelis und Palästinenser müssen bis zum heutigen Mittwoch entscheiden, ob sie die von US-Präsident Bill Clinton vorgelegten Vorschläge für einen Kompromiss im Friedensprozess annehmen. Während die palästinensische Führung zu Detailfragen noch Klärungsbedarf anmeldete, machte Israel die Zustimmung von einem vorhergehenden Votum der Palästinenser abhängig. JERUSALEM, 26. Dezember. Israelis und Palästinenser stehen vor einer historischen Entscheidung, nachdem US-Präsident Clinton am Wochenende einen Kompromissvorschlag zur Lösung der Kernfragen im Nahost-Konflikt vorgelegt hat. Demnach soll Israel den gesamten Gazastreifen, 95 Prozent der Westbank sowie die arabischen Viertel Ost-Jerusalems inklusive der heiligen christlichen und moslemischen Stätten palästinensischer Souveränität überlassen. Im Gegenzug müsste die Autonomie-Führung auf das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge verzichten. Clinton verlangte eine Antwort bis Mittwoch. Im Falle ihrer Zustimmung im Grundsatz werden PLO-Chef Yassir Arafat und Israels Premier Ehud Barak am kommenden Wochenende zu getrennten Gesprächen im Weißen Haus erwartet. Als Schlussfrist für ein Friedensabkommen im geplanten Rahmen gilt der von Clinton gesetzte Termin 10. Januar. Seitens Israels zeichnete sich inzwischen eine Annahme ab. Man stehe vor einer Wahl "zwischen Krieg und Frieden", hob Barak in einem Fernseh-Interview am Montagabend hervor. Schon aus Verantwortung gegenüber den ihr Leben riskierenden Soldaten "müssen wir einen entschlossenen Versuch unternehmen, den kriegerischen Konflikt ein für alle Mal zu beenden", warb er für seinen Kurs. Zuvor hatte das so genannte Friedenskabinett entsprechenden Rückhalt zugesichert. Nur Regionalminister Schimon Peres ging in dieser Runde auf Distanz, da ihm die Israel abverlangten Konzessionen zu weit reichten. Über die Formulierung der genauen Antwort an Clinton muss das Sicherheitskabinett als eigentlicher Entscheidungsträger beraten. Sie hängt vor allem an der Entscheidung Arafats über den Clinton-Entwurf. Der Palästinenser-Präsident hatte sich nach einer Unterredung mit Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak zunächst verhalten geäußert und von "vielen Hürden" gesprochen, die auf dem Weg zum Frieden noch zu überwinden seien. Bei den umfangreichen Konsultationen innerhalb der PLO-Gremien bemühte sich Arafat, die Befreiungsbewegung Fatah einzubeziehen, die treibende Kraft des fast dreimonatigen palästinensischen Aufstands. Die in Washington erzielten Fortschritte seien in erster Linie der "Intifada der Unabhängigkeit" zu verdanken, gingen aber nicht weit genug, betonte der Führer der Fatah im Westjordanland, Marwan Barghouti. Dennoch wurde damit gerechnet, dass Arafat am Ende den US-Kompromissvorschlag akzeptieren wird, der über das Angebot beim Gipfel von Camp David eindeutig hinaus geht. Darauf baut jedenfalls Barak. Israel stünde international gesehen schlecht da, falls die andere Seite die Offerte billige und "nur wir sie zurückweisen", warnte er. Ihre endgültige Entscheidung will die israelische Regierung erst nach Washington übermitteln, wenn die Palästinenser einen Entschluss gefällt haben. Es zeichnete sich ab, dass beide Seiten ihre eventuelle Zustimmung in ein "Ja, aber" fassen werden. Denn die von Clinton ausgelegten großen Linien lassen im Konkreten Raum für weiteren Disput, vor allem im Hinblick auf zwei Nervenzentren des Konflikts: den Streit um den jüdischen Tempelberg in Jerusalem, von den Moslems als Haram al-Scharif verehrt, sowie die nicht minder brisante Flüchtlingsfrage. So ist Barak offenbar willens, die faktische Kontrolle der Palästinenser über die Moscheen auf dem Haram al-Scharif anzuerkennen, möchte aber gleichzeitig Israel ein eigenes Recht für den darunter liegenden biblischen Tempelberg sichern. In puncto Flüchtlingsrecht müssten die Palästinenser dem Clinton-Plan zufolge den schmerzhafteren Kompromiss eingehen. Ihrer politischen Führung ist zwar bewusst, dass Israel unter keinen Umständen die Vertriebenen von 1948 und ihre mehr als drei Millionen Nachkommen aufzunehmen gedenkt. Doch droht Arafat der Vorwurf des Verrats, sollte er einen Vertrag auf ihre Kosten schließen.
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