junge Welt, 28.12.2000 Elefant im Porzellanladen Helmut Kohl und die deutsch-türkische Waffenbrüderschaft Das Stichwort »Waffenbrüder durch dick und dünn«, mit dem gelegentlich Friedensorganisationen ein düsteres Kapitel deutsch -türkischer Beziehungen charakterisierten, erhielt dieser Tage eine neue Bedeutung. Ganz dick kam es vor kurzem für einen türkischen Industriellen und Politiker, der sich bisher unter einer engen rüstungspolitischen Zusammenarbeit vermutlich etwas anderes vorgestellt hatte als die Verwandschaft mit einem Elefanten im Porzellanladen. Als solcher hatte sich jedenfalls in den Augen der türkischen Familie Sözen Altkanzler Kohl aufgeführt. Wie der »Spiegel« in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, »hat der Besuch Helmut Kohls bei den türkischen Landsleuten der zukünftigen Schwiegereltern seines Sohnes Peter betretene Gesichter hinterlassen«. Zwar habe sich Kohl der orientalischen Vaterpflicht gefügt und vor zwei Wochen bei dem Istanbuler Industriellen und Politiker Kemal Sözen stellvertretend um die Hand von dessen Tochter Elif angehalten. Der Hintergrund: Peter Kohl und Elif Sözen leben seit längerem in London zusammen und wollen voraussichtlich im April heiraten. Aber diplomatische Rücksicht, so der Spiegel weiter, »nahm der Altkanzler bei seinem Besuch nicht: Über Ex-Ministerpräsidentin Tansu Ciller sagte Kohl, sie sei >nicht vertrauenswürdig<«. Europaminister Mesut Yilmaz, ein weiterer Vertreter der türkischen Rechten, sei, so Kohl, ein »Fanatiker«. Brautvater Sözen hatte bei der Parlamentswahl im April 1999 für Cillers Partei des rechten Weges kandidiert - als Experte für internationale Rüstungszusammenarbeit. Sözen leitet eine Firma, die Bauteile für die Antiflugzeugrakete »Stinger«, Nachtsichtgeräte sowie Gußformen für die Lizenzproduktion des deutschen Maschinengewehrs G3 herstellt. Immerhin soll Kohl durch einen Besuch der Rüstungsfabrik von Familie Sözen in der westtürkischen Stadt Canakkale »versöhnlich gestimmt« worden sein. Und die türkische Tageszeitung Hürriyet zitiert den ehemaligen Regierungschef: Mit Kenan Evren, dem türkischen Putschgeneral von 1980, habe er sich immer gut verstanden. Dazu ließe sich anmerken: Unter der Verantwortung von General Evren »verschwanden« Tausende politische Gegner, Folter und Mord in Polizeistationen und Gefängnissen wurden in großem Stil praktiziert. Amnesty International bilanzierte Ende der achtziger Jahre: Nach dem blutigen Militärputsch wurden in der Türkei »mehr als eine viertel Millionen Menschen aus politischen Gründen in Haft genommen. Gefoltert wurden sie fast alle.« Auch die »nicht vertrauenswürdige« Tansu Ciller war zu Kohls Regierungszeit eine enge Verbündete, zumindest wurde sie so der Öffentlichkeit »verkauft«. Gepriesen als Bollwerk gegen den islamischen Fundamentalismus, die das Vertrauen Europas verdiene, erfreute sich die Ministerpräsidentin stets größter politischer Unterstützung. Dabei hatte die Frau angekündigt, einen »Vernichtungsfeldzug« zur »Beseitigung des Kurdenproblems« führen zu wollen. Diese und ähnliche Vernichungsphantasien fanden dann in der Praxis auch ihren Niederschlag, hatten bei der deutsch-türkischen Waffenbrüderschaft neue Rekorden zur Folge. Als die Bundesregierung Anfang der neunziger Jahre in den Besitz der NVA-Waffen gelangte, wurde nur ein kleiner Teil davon verschrottet, einiges wurde verkauft und das Gros verschenkt. Hauptnutznießer war die Türkei. Die Bundesrepublik wurde damals für einige Jahre der wichtigste Rüstungslieferant der Türkei. Helmut Kohl und sein Kabinett avancierten zum Kriegswaffenausstatter Nummer 1. Selbst die USA stellte man so in den Schatten. In der Türkei wurde die Hilfe der deutschen Industrie und der Bundesregierung auch ausgiebig gewürdigt. Beispielsweise in der türkischen Ausgabe der Militärzeitschrift Defense and Aerospace: »Wenn heute in der Türkei überhaupt von einer Rüstungsindustrie gesprochen werden kann, so hat sie das in allererster Linie der Bundesrepublik Deutschland zu verdanken. Firmen wie Fritz Werner, Heckler & Koch, Rheinmetall, MBB und Diehl sind uns bestens bekannt«. Auch den Menschen in den zerstörten Dörfern Kurdistans sind die Waffen »made in Germany« und türkische Lizenzwaffen bekannt. Tansu Ciller und allen anderen türkischen Regierungen waren sie dienlich bei »Vernichtungsfeldzügen« gegen die kurdische Guerilla, aber auch im Einsatz gegen die Zivilbevölkerung im eigenen Land und auf nordirakischem Territorium. Doch davon will Schwiegervater Helmut nichts wissen. Der alte Kampfelefant erfreut sich eben lieber mit einem Besuch in einer Waffenfabrik und Erinnerungen an Putschgenerale. Thomas Klein
|