junge Welt, 28.12.2000 Anspruch und Wirklichkeit Sachsens PDS plant öffentliche Anhörung zu zehn Jahren Asylpolitik Als Anfang der neunziger Jahre im neuen Deutschland der Breitensport des Ausländerjagens in Mode kam, war es in Sachsen die Stadt Hoyerswerda, in der es tagelang zu Ausschreitungen gegen Migranten kam. Die mußten anschließend den Ort verlassen. Nach dem »Zwischenfall in Hoyerswerda«, so Kurt Biedenkopf, erklärte sein damaliger Innenminister, man könne doch nicht um jedes Flüchtlingsheim eine Mauer ziehen. Das könne - so wörtlich - doch auch »keine Endlösung« sein. Ob es überhaupt noch einen inhaltlichen Unterschied gibt zwischen den Brandfackeln der außerparlamentarischen Rechten und der institutionalisierten Ausländer-raus-Politik der sächsischen Staatsregierung, insbesondere des Innenministers Klaus Hardraht, ist kaum mehr auszumachen. So als knapp eine Woche vor den Einheitsfeiern am 3. Oktober in Dresden eine neunköpfige albanische Familien aus dem Kosovo zur »freiwilligen« Ausreise gezwungen wurde. Da ihr Haus zerstört sei, baten die Flüchtlinge, bis nach dem Winter zu warten, dann wolle man ja ausreisen. Antwort der Bürokratie: »Ausnahmen sind nicht vorgesehen.« Selbst der Zustand des achtjährigen Sohnes, der an Blutarmut leidet und zu jenem Zeitpunkt nur noch knapp 20 Kilo wog, konnte keinen Aufschub erwirken. Als der Dresdner Amtsarzt den Jungen für reiseuntauglich erklärte, suchte die Ausländerbehörde, bis sie eine gefällige Medizinerin in Meißen fand, die die gewünschte Amtsmeinung bestätigte. Alles in dem Wissen, daß es für das kranke Kind im Kosovo im Winter weder ein Dach über dem Kopf noch einen in der Nähe befindlichen Arzt geben wird. Weder Pax Christi noch der Oberkirchenrat, Ärztinnen oder Privatpersonen konnten den Innenminister zu einem Anzeichen von Humanität bewegen. Kaltschnäuzig beschied Hardrahts Sprecher Thomas Uslaub: »Es war ein planmäßiger Rücktransport, die Familie wurde nicht ausgewiesen. Alle Kriegsflüchtlinge müssen Sachsen verlassen, das ist ein Regierungsbeschluß.« Dieses Verständnis von Asylpolitik, aber auch die Art und Weise der Unterbringung von Flüchtlingen im Freistaat, veranlaßte nun die PDS-Fraktion im Landtag, für den 4. Januar 2001 eine öffentliche Anhörung zum Thema »Zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Sächsische Asylpolitik im Visier« anzusetzen. Mit dieser Bilanzierung von zehn Jahren spezifisch sächsischer Asylpraxis sollen die Widersprüche zwischen dem Anspruch einer menschenwürdigen Behandlung und der Realität aufgezeigt werden. »Es gibt«, so der Abgeordnete Klaus Bartl, der mit seiner engagierten Kollegin Cornelia Ernst zu den Initiatoren der Anhörung zählt, im Gespräch mit junge Welt, »den bösen Anschein einer strukturellen Ausländerfeindlichkeit«. So verweist er neben den Bedingungen der Unterbringung - in Sammelunterkünften oft jahrelang auf engstem Raum - auch auf die restriktive Bewertung konkreter Rechtslagen, wie bei der Urlaubsgewährung oder der verweigerten dezentralen Unterbringung. Da werde »in Sachsen statt auf Ausfüllung der gesetzlichen Frei- und Ermessensspielräume zugunsten der Flüchtlinge auf eine restriktive Herangehensweise gesetzt«, konstatiert Bartl. Deshalb wurde bei der Vorbereitung der Anhörung auch besonderer Wert auf die Erörterung der konkreten Lebenssituationen von Flüchtlingen gelegt. Neben Betroffenen werden Ärzte, Anwälte und Flüchtlingshilfegruppen zu Wort kommen. Mit der Anhörung beginnen im Januar die PDS- Abgeordneten unter dem Motto »Zuflucht«, sächsische Flüchtlingsheime zu besuchen, um ihre Arbeit in der Praxis zu konkretisieren. Anselm Kröger, Dresden *** Die öffentliche Anhörung am 4. Januar 2001 findet in der Zeit von 14 bis 18 Uhr im Sächsischen Landtag, Bernhard- von-Lindenau-Platz, statt. Weitere Informationen über die PDS-Landtagsfraktion, Tel.: 0351/ 4935800, E-Mail: pds- fraktion@slt.sachsen.de#
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