Frankfurter Rundschau, 29.12.2000 Keine Spur von Vertrauen in Jerusalems Altstadt Die jüngste Gewalterfahrung bereitet palästinensischen Gegnern von Clintons Friedensentwurf das Feld Von Inge Günther (Jerusalem) Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, so vage wie das palästinensische Antwortschreiben auf Bill Clintons Friedensentwurf ausfiel. In den Gassen der Jerusalemer Altstadt ist allerdings der Wunsch, dass am Ende doch noch ein "Ja" herauskommt, nicht eben populär. An Stelle von PLO-Chef Yassir Arafat würde er die Kompromissvorschläge rundum zurückweisen, meint der 21-jährige Ehab, der einen Andenkenladen am Übergang vom moslemischen zum jüdischen Viertel führt: "Wenn man mich fragt, sollte lieber die Intifada fortgesetzt werden." Dass das israelische Kabinett in nächtlicher Sitzung mit zehn zu zwei Stimmen die Leitlinien Clintons als Basis für weitere Verhandlungen akzeptiert hat, beeindruckt ihn jedenfalls nicht. Auch wenn sie über das Angebot von Camp David weit hinaus reichen. Nach all dem was geschehen sei in den letzten drei Monaten, sagt Ehab, "gibt es keinen Funken Vertrauen mehr, uns mit den Israelis an einen Tisch zu setzen". Der Hass und die Wut über die etwa 340 Todesopfer, zu neunzig Prozent Palästinenser, wirkt nach. Diese feindselige Dynamik scheint die Hauptantriebsfeder für die palästinensische Opposition gegen ein Abkommen zu sein. Nicht nur radikale Islamisten zählen dazu, die am Donnerstag nach bekanntem Muster mit Bomben den wieder aufgekeimten Friedensprozess zu torpedieren trachteten. Ihr jüngstes Attentat auf einen Linienbus in Tel Aviv, das ein Dutzend - teils schwer - Verletzte zurück ließ, unterminiert zwar auch die Autorität Arafats. Um so mehr, als er sich zu dieser Stunde in Kairo mit Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak über die neuen Friedens-chancen beriet. Doch zur Ablehnungsfront, die sich daheim, in Westbank, Gaza und Ost-Jerusalem gebildet hat, zählen nicht wenige einflussreiche Politiker aus dem PLO-Mehrheitsflügel Fatah, ganz zu schweigen von deren Tansim-Kämpfern. Der Verdacht, es handele sich bei dem neuen Friedensplan nur um einen "Trick" oder gar eine "Falle", wie kürzlich der palästinensische Unterhändler Yassir Abbed Rabbo vermutete, prägt ebenso das Meinungsbild in den Straßen. Keine Spur von Enthusiasmus findet sich dort, dass in Kürze ein Durchbruch gelingen könnte, der zu einer friedlichen Koexistenz beider Völker führen würde. Als höchstes der Gefühle erlaubt man sich in Skepsis verpackte Hoffnung. "Besser als nichts", kommentiert etwa Hassan Ansari, ein Ikonenhändler aus der Via Dolorosa, den Clinton-Entwurf. Man könne ihn annehmen und schauen, was sich später noch herausschlagen lasse. Und selbst mit dieser Überzeugung rückt Ansari erst heraus, nachdem er zuvor ein langes Lamento über den Niedergang der Geschäfte im Allgemeinen und die "taktischen Spiele der Israelis" im Besonderen abgelassen hat. Taktische Finessen beherrscht der Palästinenser-Präsident Arafat mindestens so gut wie Israels Premier Ehud Barak. Manche glauben, Arafats zögerliche Haltung gegenüber einer neuen Verhandlungsrunde in Washington diene vor allem dazu, den Israelis ein paar weitere Zugeständnisse abzunötigen. "Arafats Nein soll seinem Volk zeigen, dass er nicht leicht nachgibt", bringt es der israelische Journalist Roni Schaked auf den Punkt. Aber es handele sich dabei keinesfalls um ein "Nein aus Prinzip" sondern um "ein Nein auf dem Weg zu einem Ja". Im Nahost-Poker wurde immer schon um viele Ecken gedacht. Darauf setzt offenbar Barak. Selbst der Anschlag in Tel Aviv werde Israel nicht abschrecken, das Blutvergießen in der Region mit einem Abkommen zu beenden, hat Barak unverzüglich beteuert.
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