Süddeutsche Zeitung, 29.12.2000 Zwei Explosionen binnen weniger Stunden Anschläge überschatten den Friedensprozess Zwei Tote und 16 Verletzte bei Attentaten in Tel Aviv und Gaza / Widerstand in Israel gegen US-Vorschläge wächst / Von Thorsten Schmitz Jerusalem - Zwei Anschläge in Israel haben am Donnerstag den Nahost-Friedensprozess überschattet. Bei einem Bombenattentat auf einen Bus in Tel Aviv, zu dem sich unter anderen die radikal-islamische Hamas bekannte, wurden 14 Menschen verletzt. Bei einem Anschlag in Gaza wurden zwei Soldaten getötet. Israels Premier Ehud Barak verurteilte die Attentate. Zuvor hatte Ägyptens Staatschef Hosni Mubarak ein geplantes Gipfeltreffen mit Palästinenser-Präsident Jassir Arafat und Barak abgesagt. Der Widerstand in Israel und in Baraks Kabinett gegen den US-Friedensplan nimmt zu. Die Palästinenser-Organisation Hamas hatte erst am Mittwoch Anschläge gegen israelische Zivilisten angekündigt. Die zwei Bomben detonierten in einem Linienbus in Tel Aviv, der sich auf einer stark befahrenen Ausfallstraße in den Vorort Petach Tikva befand. Mindestens zwei Menschen wurden dabei nach Angaben der Polizei schwer verletzt, die anderen zwölf erlitten Brand- und Schnittwunden. Die zwei Rohrbomben waren mit Nägeln gefüllt. Ein führendes Mitglied der Hamas erklärte der dpa am gestrigen Donnerstag, der Anschlag "des palästinensischen Volks richtet sich gegen die israelische Aggression". Anschließend bekannte sich die kaum bekannte Gruppe "Saladins Brigade" zu dem Attentat. Hamas verurteilt Friedensverhandlungen mit Israel. Der Anschlag war bereits der dritte innerhalb von acht Wochen in Israel. Am 2. November waren bei der Explosion einer Autobombe in West-Jerusalem zwei Menschen und zwei Wochen später in der Stadt Chadera bei einem Bombenanschlag auf einen Linienbus ebenfalls zwei Menschen getötet worden. Am Nachmittag meldete der Armeerundfunk einen Anschlag auf israelische Soldaten im Süden von Gaza beim Entschärfen einer Bombe. Zwei Soldaten wurden dabei nach Angaben aus Militärkreisen getötet, zwei weitere schwer verletzt. Zuvor hatte es Gefechte zwischen Palästinensern und Soldaten gegeben. Gipfeltreffen abgesagt Premierminister Barak verurteilte die Anschläge als "feigen Versuch", den Friedensprozess zu stoppen. Man werde den Terrorismus bekämpfen und die Attentäter und ihre Hintermänner ausfindig machen. "Solche Angriffe auf unschuldige Zivilisten werden uns nicht abschrecken", erklärte Barak und kündigte an, er werde die Bemühungen um eine Friedensvereinbarung fortsetzen. Wenige Stunden zuvor hatte Ägyptens Präsident Hosni Mubarak ein für Donnerstag geplantes Gipfeltreffen zwischen Barak und Arafat im ägyptischen Badeort Scharm el-Scheich in Abstimmung mit Barak abgesagt. Mubarak hatte dies mit den unterschiedlichen Auffassungen der Palästinenser und Israelis gegenüber dem US-Friedensplan begründet. Stattdessen war lediglich Arafat am Donnerstagvormittag mit Mubarak in Kairo zusammengetroffen. Die beiden erörterten nach israelischen Medienangaben die von Clinton vorgeschlagenen Ideen zur Beilegung des Nahost-Konflikts. Arafat äußerte sich zunächst nicht zum Inhalt des Gesprächs. Chefunterhändler Saeb Erekat allerdings, der mit nach Kairo gereist war, lehnte am Donnerstag den Friedensplan als unvollständig ab und sagte: "Wir wollen absolute Klarheit, spezifische Details und genaue Landkarten, was die US-Vorschläge betrifft." Unklarheiten seien "hinderlich für einen erfolgreichen Frieden". In einem Brief an Clinton soll Arafat 45 Fragen zu dessen Plan aufgelistet haben, der nicht in schriftlicher Form existiert. Er sieht nach Medienberichten unter anderem vor, dass Israel die Kontrolle des Tempelbergs in Jerusalems Altstadt an die Palästinenser abtritt und die Palästinenser im Gegenzug auf ein generelles Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge in das Gebiet, das heute Israel ist, verzichten. Das israelische Kabinett hatte in der Nacht zu Donnerstag mit zehn zu zwei Stimmen mit "gewissen Vorbehalten" für die Annahme des Friedensplans gestimmt. Die Minister Roni Milo sowie Dan Meridor allerdings protestierten gegen die ihrer Ansicht nach zu weitgehenden Konzessionen Israels und gegen eine "Teilung Jerusalems" und drohten mit einem Wechsel zum rechtsorientierten Likud. Dessen Vorsitzender Ariel Scharon, der am 6. Februar als einziger Kandidat gegen Barak bei der vorgezogenen Wahl zum Premierminister antritt, wiederholte seine Ankündigung, er werde sich im Falle eines Siegs an keinerlei Friedensvertrag mit den Palästinensern halten. Der amerikanische Präsident Bill Clinton hatte noch am Mittwoch erklärt, Israel und die Palästinenser seien einer Vereinbarung "so nah wie nie zuvor ". Auch am Donnerstag protestierten in ganz Israel Ultra-Orthodoxe und jüdische Siedler gegen Baraks angeblich beabsichtigte "Teilung Jerusalems".
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