Frankfurter Rundschau, 29.12.2000 Lager und kaum Geld Belgien geht in der Asylpolitik auf härteren Kurs Von Thomas Roser (Brüssel) Die steigende Zahl von Asylsuchenden bereitet Belgiens Kommunen Kopfzerbrechen. Mit einer schnelleren Behandlung der Anträge, zentralen Auffanglagern und der Kürzung der Barmittel hofft Brüssel, das Problem zu meistern. Schon Mitte Januar sollen Asylbewerbern in Belgien die bisherigen Barbeihilfen bis auf ein kleines Taschengeld gestrichen werden. Doch wie die künftige Regelung genau aussehen soll, vermag selbst Henri Maes, der Sprecher des Innenministeriums in Belgien, noch nicht zu sagen: "Wie viel Geld Asylbewerber künftig erhalten sollen, wird in der Koalition noch diskutiert." Sicher sei aber, dass die Kommunen entlastet werden müssten: "Wir suchen noch immer nach geeigneten Immobilien für neue Auffanglager." Seit drei Jahren steigt die Zahl der Asylsucher im Königreich deutlich an. Hatte sie 1997 noch 11 600 betragen, stellten 1999 mehr als 35 000 Menschen in Belgien einen Antrag auf Asyl. In diesem Jahr wird die Zahl der Flüchtlinge in Belgien erstmals die 40 000-Grenze übersteigen. Für ein kleines Land wie Belgien sei die Unterbringung von derart vielen Menschen "sehr schwierig", argumentiert Henri Maes: "Im vergangenen Jahr hatten wir sechsmal so viel Flüchtlinge wie Frankreich - obwohl unsere Bevölkerung sechs- mal kleiner ist." Der Sprecher des Ministeriums erklärt den großen Andrang der Flüchtlinge mit dem "großzügigen" Sozialsystem des Landes. Doch auch die Verschärfung der Asylgesetze in den europäischen Nachbarländern und die lange Zeit laxe Haltung der Justizbehörden gegen illegal Beschäftigte im eigenen Land haben Belgien in den vergangenen beiden Jahren zu einem der attraktiven Ziele für internationale Schlepperbanden gemacht. Auffällig ist vor allem die Zunahme der Zahl von Asylbewerbern aus Kasachstan. Unlängst entsandte Brüssel sogar einen Beamten der Einwanderungsbehörde in den zentralasiatischen Staat, um dort potenzielle Auswanderer mit einer "Entmutigungskampagne" von der Reise ins scheinbar gelobte Land abzuschrecken. Bisher hatten dessen Bemühungen allerdings nur mäßigen Erfolg. Einem Bericht der Tageszeitung Laatste Nieuws zufolge werben die dortigen Schlepperorganisationen derzeit sogar mit dem Slogan "Jetzt oder nie" für eine Art Last-Minute-Ticket nach Belgien: denn in diesem Jahr können Asylbewerber dort noch in den Genuss der Finanzbeihilfen kommen. Bei der Verwirklichung der Absicht, die Geldbeihilfen durch Sachleistungen zu ersetzen, ist Brüssel jedoch auf eine wesentlich größere Zahl von Schlafplätzen in zentralen Auffanglagern als bisher angewiesen. Derzeit sind lediglich 10 000 Flüchtlinge in staatlichen oder kommunalen Heimen untergebracht: Mindestens 10 000 weitere Plätze hofft Innenminister Johan Van de Lanotte in den nächsten Monaten bei privaten Vermietern zu finden. Doch die Zuweisung neuer Flüchtlingsheime sorgt nicht nur an den geplanten Standorten für Proteste der künftigen Anwohner. Mehrere tausend Menschen folgten kürzlich in Brüssel einem Demonstrationsaufruf des Zentrums zur Integration von Flüchtlingen. Der Lobbyverband befürchtet, dass mit einer Verschärfung der Asylgesetzgebung noch mehr Immigranten in die Illegalität abgedrängt werden könnten. Zudem werde zu Unrecht der Eindruck erweckt, dass es sich bei Asylsuchern ausschließlich um Wirtschaftsflüchtlinge handele. Auch innerhalb der Mitte-links-Koalition stieß der Ministeriumsvorschlag auf Kritik, das Asylwesen teilweise zu privatisieren: Vor allem Grüne und Sozialisten stehen der Idee von profitorientierten Asyl-Zentren sehr skeptisch gegenüber. Der Sprecher des Innenministeriums wiegelt denn auch ab. Im Auftrag der Regierung operierende Privatzentren seien angesichts der koalitionsinternen Widerstände noch Zukunftsmusik. Henri Maes zur öffentlichen Kritik: "Im Kabinett ist die Frage noch nicht geklärt. In erster Linie bemühen wir uns deshalb jetzt darum, leer stehende Großobjekte für staatlich betriebene Auffanglager anzumieten."
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