Aachener Zeitung, 30.12.2000 Auch zum Zuckerfest bleiben Calhans Tage in Istanbul bitter Aachen. Einer erlebte das traditionelle Zuckerfest der Muslime nach vielen Jahren erstmals wieder in seinem Heimatstaat - wiewohl keineswegs in seiner Heimat, und ganz ohne feierliche oder gar freudige Stimmung. «Im Moment sind die Probleme halt groß», sagt Hüseyin Calhan lakonisch. Die AZ erreichte den 27-jährigen Kurden, der am 31. Oktober gegen heftige Proteste und nach dramatischem Ringen zwischen Politikern, Behörden, Gerichten, Kirchen und Flüchtlingsinitiativen abgeschoben worden war, gestern in Istanbul. Über seine derzeitige Unterkunft möchte der ehemalige Sprecher des Wanderkirchenasyls lieber nichts Konkretes erzählen. «Ich wohne in einem Haus im europäischen Teil der Stadt, es ist so etwas wie ein Hotel», sagt Calhan. Seinen Lebensunterhalt muss er noch immer nicht zuletzt aus Überweisungen finanzieren, die ihm seine Freunde und Weggefährten aus Deutschland zukommen lassen. «Zum Glück gibt es noch viele Leute, die für mich sammeln.» Im Januar wollen Vertreter des Aachener Flüchtlingsplenums Calhan besuchen, Freunde aus Köln weilten vor wenigen Tagen am Bosporus. Weil er in Istanbul selbst kaum Kontakte hat, ist seine Suche nach einer Arbeit in der Gastronomie oder im Fremdenverkehr bislang erfolglos geblieben. Zumal der Kurde sich gerade in jüngerer Zeit eher ungern in der Öffentlichkeit bewegt. Nach der blutigen Niederschlagung der jüngsten Häftlingsaufstände - mit insgesamt 26 Toten - prägen Uniformierte das Straßenbild in der Millionenmetropole, erzählt er. Und schließlich könnte man beim Anblick des jungen Flüchtlings durchaus zu Recht auf die Idee kommen, dass auch er - wie rund 1100 Gefangene in den türkischen Gefängnissen - einen längeren Hungerstreik hinter sich gebracht hat. Wenn auch nicht in Istanbul oder Ankara, sondern im westfälischen Abschiebegefängnis. «Derzeit liegt mein Gewicht bei 61 Kilo - das ist noch immer zu wenig bei einer Körpergröße von 1,82 Meter.» Rund zehn Kilo hat er in den letzten Tagen vor der Abschiebung abgenommen, erst drei hat er wieder «zugelegt». Auch sonst sei sein gesundheitlicher Zustand nicht gerade gut, berichtet Calhan. «Das viele Denken macht mich kaputt. Nachts kann ich kaum schlafen, weil ich immer darüber nachdenken muss, wie es weitergehen soll. Dann wird mir oft ganz schwindelig.» Calhan hofft, nach dem Zuckerfest bald einen deutschen Arzt aufsuchen zu können, den ihm ein Bekannter vermitteln möchte. Die Angst, sagt er, ist nicht mehr ganz so groß wie in seinen ersten Tagen in Istanbul. «Ich glaube, wenn ich mich ruhig verhalte, wird mir nichts passieren. Und ich hoffe noch immer, dass ich einen Weg finde, eines Tages wieder nach Deutschland zurück zu können.» Dafür wollen sich auch der Verein Aachener Friedenspreis, verschiedene kirchliche Einrichtungen und das Flüchtlingsplenum weiter mit Nachdruck einsetzen. (mh), 29.12.2000 11:41 |