„Öcalan will in Europa bleiben“
Britta Böhler, die deutsche Anwältin des in Italien festsitzenden
PKK-Chefs, über die Pläne Öcalans, die Chancen eines internationalen
Strafprozesses und das undurchsichtige Vorgehen der italienischen Justiz
taz: Wie geht es weiter mit Herrn Öcalan? Wird er demnächst
aus Italien abgeschoben?
Britta Böhler: Die italienische Regierung übt zur Zeit viel
Druck aus, damit mein Mandant das Land freiwillig verläßt. Es
ist aber noch völlig unklar, welche Länder Herrn Öcalan
aufnehmen würden.
Haben sich schon Staaten direkt bei Ihnen gemeldet?
Ja, die Schweiz. Aber nur, um uns mitzuteilen, daß Herr Öcalan
bis 2008 Einreiseverbot hat.
Südafrika, Albanien, die Ukraine, Lettland - im Gespräch
sind viele Länder.
Die meisten kennen auch wir nur als Gerücht.
Könnte sich Ihr Mandant zum Beispiel eine Ausreise nach Südafrika
vorstellen?
Nein, Herr Öcalan will in Europa bleiben. Nur hier kann er weiter
als Kristallisationspunkt für die kurdische Sache wirken.
Welche europäischen Staaten kommen da in Frage?
Entscheidend ist, daß eine Auslieferung an die Türkei ausgeschlossen
ist und daß das betreffende Land Sicherheit vor türkischen Anschlägen
garantieren kann. Albanien etwa käme da nicht in Frage.
Nochmals: Denken Sie oder Öcalan bereits konkret an Staaten?
Er wäre mit allen Staaten der Europäischen Union einverstanden
- außer mit Deutschland, wo ja noch ein Haftbefehl gegen ihn besteht.
Gibt es schon Signale aus dem einen oder anderen dieser Länder?
Nein. Im Augenblick kann ich meinem Mandanten nur empfehlen, in Italien
zu bleiben. Sein Asylantrag ist ja auch noch nicht entschieden.
Hat dieser Antrag denn überhaupt Aussicht auf Erfolg?
Wenn es nur nach der Rechtslage ginge, auf jeden Fall. Allerdings wird
ein Asylantrag von Herrn Öcalan wohl eher politisch entschieden. Doch
auch bei einer Ablehnung könnte mein Mandant als gedulteter Ausländer
in Italien bleiben.
Italien könnte ihn wegen eines Paßvergehens abschieben.
Nicht solange das Asylverfahren läuft.
Aber danach.
Und wohin? In der Türkei droht ihm die Todesstrafe. Und andere
Staaten werden ihn kaum gegen seinen Willen aufnehmen.
Ein Staat, der Öcalan freiwillig aufnimmt, wird von ihm bestimmte
Zusagen über sein künftiges Verhalten erwarten.
Darüber kann bis jetzt nur spekuliert werden.
Würde sich Herr Öcalan einem italienischen Strafprozeß
stellen?
Nach einem Gutachten unserer Kanzlei ist in Italien kein Strafprozeß
gegen Herr Öcalan möglich.
Wenn Italien den türkischen Auslieferungsantrag ablehnt, dann
muß es nach der Anti-Terror-Konvention von 1979 die türkischen
Vorwürfe vor italienischen Gerichten prüfen lassen.
Die PKK ist aber keine Terrororganisation. Hier geht es um einen bewaffneten
Konflikt, bei dem nur das Kriegsvölkerrecht der Genfer Konvention
anwendbar ist.
Die RAF ist mit solchen Argumenten aber nicht weit gekommen.
Es müssen natürlich auch objektive Kriterien erfüllt
sein. Und daß in Kurdistan ein „interner bewaffneter Konflikt“ im
Sinne der Genfer Konvention vorliegt, kann wohl niemand bestreiten.
Würde Öcalan einen „internationalen Prozeß“, wie
ihn die Bundesregierung anstrebt, eher akzeptieren?
Nein. Ein Strafprozeß ausschließlich gegen Herrn Öcalan
ist nicht akzeptabel. Auch beim Jugoslawientribunal wird das Verhalten
aller Konfliktparteien untersucht.
Wo lebt Öcalan derzeit?
In einem Haus in Ostia, nahe Rom. Dort wohnt er zusammen mit einigen
Beratern.
Kann sich Ihr Mandant in Italien frei bewegen? Der Hausarrest wurde
ja bereits Mitte Dezember aufgehoben.
Davon ist in Ostia nichts zu spüren. Herr Öcalan wird weiterhin
massiv von der Polizei bewacht und darf das Grundstück nicht verlassen.
Womit wird das begründet?
Mit der Staatssicherheit, aber auch mit dem Schutz meines Mandanten
vor türkischen Anschlägen.
Sie sagen, Italien wünsche die Ausreise Öcalans.
Deutschland dagegen beruft sich auf Zusagen von Außenminister Dini,
wonach Italien weiter einen Prozeß anstrebe. Was stimmt denn nun?
Auch für uns ist die italienische Haltung nicht leicht einzuschätzen.
Vermutlich sind sich die unterschiedlichen Ressorts der Regierung hier
noch nicht einig geworden.
Interview: Christian Rath