LeserInnenbriefe
TAZ-Hamburg vom 16.12.1998
Verdammt wenig -betr.: „Protest gegen Fregatte“ und „Vertragstreue“,
taz-
Leeve Lüd,
ein paar Anmerkungen zum Foto plus Kurzbericht von Kai von Appen. Die
Zahl der Protestierenden möchte ich gerne etwas nach oben korrigieren:
Im Lauf der Kleindemo waren’s dann doch 160 Leute. Verdammt wenig für
den Anlaß: die für den 17.12. geplante offizielle Übergabe
der bei Blohm+Voss für das türkische Militär gefertigten
Fregatte „Sahlireis“, gegen die am selben Tag um 11.00 am Werftgelände,
Hermann-Blohm-Straße, nochmal an Ort und Stelle protestiert werden
wird. Mit diesem Rüstungsexport auf High-Tech-Niveau bleibt Blohm+Voss
der Tradition als Kriegswerft treu, und die türkische Marine freut
sich schon, während die rotgrüne Bundesregierung alles laufen
läßt wegen Vertragstreue. Auf den ersten Blick eine gute Vorlage
für linken Protest - wenn nicht so laut mit der falschen Begründung
geklappert worden wäre.
Organisiert wurde die Demo vom „Hamburger Forum für Völkerverständigung
und weltweite Abrüstung e.V.“, einem Überbleibsel aus der Friedensbewegung
der 80er Jahre. In ihrem Aufruf forderten sie „Schluß mit dem Krieg
in Kurdistan“, aber im Aufruf schloß sich daran direkt die „unverzügliche
Aufnahme von politischen Verhandlungen mit Vertretern des kurdischen Volkes!“
an? Ohne Volk und entsprechend Volksvertreter scheint im traditionslinken
Spektrum kein Aufruf gegen den türkischen Staat möglich zu sein.
Dazu kommt noch das ebenfalls beliebte Völkerrecht, dessen angebliche
Subjekte auch Nationen bzw. Völker sind.
Nun gibt es aus gutem Grund viele Linke, die aus der Kritik von Rassismus
und Nation in Deutschland heraus die Kategorien ablehnen, die imaginäre
homogene nationale Gemeinschaften vortäuschen. Für emanzipatorische
Politik ist es notwendig, die scheinbare Legitimation als Vertreter/Führer
von Völkern zu demontieren. Das gilt als grundsätzliche Kritik
sowohl für die sogenannte Völkergemeinschaft und ihre Retter
wie Bundeskanzler Schröder als auch für Oppositionelle, die ihre
eigene Bedeutung durch die Berufung auf ein Volksinteresse aufwerten wollen
- wie Öcalan und seine ParteigängerInnen der PKK.
Eine Einbeziehung weiterer linker Kreise in den Protest hätte
ein Verzicht auf den positiven Bezug auf Volk sowie das ständige Pochen
auf Völkerrecht sicher erleichtert. Die Alternative dazu ist, sich
als Zielgruppe ein bürgerliches Publikum zu suchen, imaginäre
Massen, die an die Rechtschaffenheit von Völkerrecht glauben und die
einen Kampf für legitimer halten, wenn er im Namen eines Volkes und
nicht im Namen einer sozialen Revolution geführt wird.
Das ist am 12.12. gescheitert - trotz 40 AufruferInnen, darunter die
Landesverbände von DKP und PDS, zwei GAL-Bezirke, Friedensgruppen
und die Kurdistan-Solidarität. Imaginäre linksdeutsche Massen
protestieren nicht, und die geringe Beteiligung von Linken liegt an der
Ignoranz jeglicher Kritik an der PKK. Auch die mehrmals wiederholte Rede
auf der Demo gegen die Auslieferung der Fregatte kam nicht ohne die Beschwörung
„unserer Heimat Kurdistan“ aus. Viele Linke haben sich aus Aktionen gegen
den Krieg des türkischen Staates zurückgezogen, weil die kritiklose
Unterstützung der nationalistischen Volksbefreiung der PKK zum Dogma
erklärt worden ist.
Gaston Kirsche (gruppe demontage)