¸¸Ein Sarg ist kein Kundgebungsmittel’’
OB Schuster will keinen Präzedenzfall - Polizeipräsident
Haas hat mehr Toleranz erwartet
Protest mit Sarg? 2500 Kurden hatten die Absicht, mit dem Leichnam
eines in Haft verstorbenen Landsmannes zu demonstrieren. Stadt und Land
haben dies verboten, der Polizeipräsident hätte es toleriert
- ein Streit um Toleranz und Härte gegen Radikale.
Von Eberhard Renz
¸¸Das Bestattungsgesetz läßt eine Zurschaustellung
einer Leiche nicht zu. Ein Toter muß auf direktem Weg zur Bestattung
gebracht werden’’, begründet Alfons Nastold, Leiter des Ordnungsamtes,
die Entscheidung. Im Falle von Öztürk, der sich am 1.November
in der Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Stammheim angezündet
hatte, bedeutete dies einen direkten Transport von Koblenz zum Flughafen
Frankfurt und von dort aus in die Türkei. ¸¸Stammheim
hat keinen Bezug zu seiner Bestattung’’, sagte Nastold. Zudem könne
laut Versammlungsrecht ¸¸ein offener Sarg kein Kundgebungsmittel
sein’’.
Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas hatte sich zur Beruhigung
der Lage um eine Rücknahme des Verbots bemüht. ¸¸Die
Situation hätte kippen können’’, sagte er. ¸¸Die
Leute waren sehr enttäuscht und verbittert.’’ Bei der Veranstaltung
habe es sich um eine Mischung aus Trauerkundgebung und politischer Demonstration
gehandelt. Die Teilnehmer hätten Blumen und Kränze bei
sich getragen, um diese am Sarg niederzulegen. Sie hatten aber auch Fahnen
der PKK bei sich, um politisch zu demonstrieren.
Haas teilte mit, daß für die Überführung des Leichnams
nach Stuttgart eine Genehmigung der Stadt Koblenz vorgelegen habe. Die
Kundgebung in Stammheim war vom Amt für öffentliche Ordnung genehmigt
worden. Sie hatte von Anfang an das Motto: ¸¸Im Gedenken an
Barzan Öztürk.’’ Haas:
¸¸Dies mußte den Teilnehmern die Gewißheit
verschaffen, daß sie in Anwesenheit des Leichnams ihre Gedenkkundgebung
durchführen können.’’ Die Befürchtung, daß der Sarg
geöffnet und in offenem Zustand herumgetragen werde, sei grundlos
gewesen. ¸¸Nach moslemischer Sitte darf der Sarg nicht geöffnet
werden’’, sagte Haas. Lediglich der Vater und Brüder dürften
den Toten sehen. Daher gehe die Verfügung der Stadtverwaltung von
einem falschen Sachverhalt aus.
Der Polizeichef glaubt, daß der weitere Verlauf der Kundgebung
unkalkulierbar geworden wäre, wenn die hessische Landesregierung nicht
einer Ersatzveranstaltung am Frankfurter Flughafen zugestimmt hätte.
¸¸Menschen in Trauer um ihren ,Bruder’, den sie als ,Märtyrer’
sehen, sind in ihrem Verhalten schwer zu berechnen.’’ Im übrigen erscheine
es ihm ein Gebot der Toleranz und des Respekts vor der Trauergemeinde das
Mögliche zu tun, damit die Trauernden ihrer Trauer so Ausdruck geben
können, wie sie es für richtig halten. ¸¸Außerdem
wäre die öffentliche Sicherheit und Ordnung dadurch nicht beeinträchtigt
worden.’’
Oberbürgermeister Wolfgang Schuster sah am Mittwoch nachmittag,
als er über die Entwicklung in Stammheim informiert wurde, keinen
Grund, das Verbot zurückzunehmen. ¸¸Dazu hätte
es dringender Gründe bedürft’’, sagte er. ¸¸Wir können
nicht beginnen, Tote zu instrumentalisieren.’’ Wenn die Verantwortlichen
dies zuließen, dann kämen künftig auch ¸¸irgendwelche
Rechtsradikale’’ mit denselben Wünschen. Zudem kenne man das
ja aus dem Dritten Reich.
Schuster wies außerdem darauf hin, daß die Genehmigung
für die Feier mit dem Toten ¸¸ein falsches politisches
Signal’’ in Richtung der terroristischen Partei PKK sein könne. Schuster:
¸¸Hätte man das zugelassen, dann könnte es durchaus
sein, daß die nächste Großdemonstration der PKK in Stuttgart
stattfindet.’’
Mit ausschlaggebend für seine Entscheidung sei aber auch gewesen,
daß zu diesem Zeitpunkt die Alternative einer Trauerfeier am Frankfurter
Flughafen bestanden habe. Mit dieser ¸¸Ersatzveranstaltung’’
sei der ¸¸kulturellen Tradition’’ genüge getan worden.
Stuttgarts Oberbürgermeister wünschte sich aber für zukünftige
Fälle ¸¸rechtzeitig’’ eingebunden zu werden. Dann könne
man ausführliche Gespräche mit den Verantwortlichen führen
und müsse nicht ¸¸im Zurufverfahren’’ Entscheidungen treffen.
Stuttgarter Zeitung 8.1.99
Kein Leichnam bei Kurden-Demo
Alle im Recht?
Von einem Toten Abschied zu nehmen, dieses Recht steht allen Menschen
zu. Trauerfeiern sollen würdig sein, dem Verstorbenen gerecht werden;
der Abschied soll den Riten der Angehörigen entsprechen, ohne die
Gefühle anderer zu verletzen. Nicht zuletzt sind die Gesetze des Landes
zu befolgen, in welchem dem Toten die letzte Ehre erwiesen werden soll.
So gesehen haben die Verantwortlichen des baden-württembergischen
Innenministeriums und Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster
im Falle des Kurden Barzan Öztürk richtig gehandelt (siehe Bericht).
Sie haben sich an das Recht gehalten und verboten, daß der Sarg Öztürks
durch das Land gefahren und auf einer Kundgebung sozusagen ¸¸zur
Schau gestellt’’ wird.
Die Legalität wollte auch Stuttgarts Polizeipräsident Volker
Haas wahren. Nur: er interpretierte die Bestimmungen auf seine Weise und
kam aufgrund der explosiven Situation in Stammheim zu einer anderen Empfehlung:
Laßt die Kurden von ihrem ¸¸Bruder’’ Abschied nehmen,
dann gibt es keine Prügeleien oder Schlimmeres.
Die Intention des Polizeipräsidenten ist verständlich. Das
Risiko, die Gesundheit seiner Beamten und eventuell auch friedlicher Demonstranten
zu gefährden, wurde ihm zu groß. Zudem plädierte
Haas für ein Zeichen der Toleranz gegenüber den Trauernden und
dem Toten - ein emotionales Argument, deshalb aber nicht automatisch ein
falsches. Haas agierte aus der Konfrontation heraus. Sein Vorschlag hatte
allerdings ein Risiko: abgesehen davon, daß es makaber ist, einen
Toten auf eine Demonstration zu bringen - niemand konnte dafür garantieren,
was angesichts des Sarges passiert wäre.
Die Befürchtung des Oberbürgermeisters, das Ansinnen der
Kurden könne Nachahmer finden, scheint ein wenig weit hergeholt zu
sein. Selbstverbrennungen von abgelehnten Asylbewerbern sind glücklicherweise
keine Vorkommnisse, die sich alle paar Tage ereignen. Schuster wollte auch
zu Recht kein falsches Signal in Richtung der verbotenen PKK aussenden.
Die Frage ist nur: weshalb hat Stuttgart die Kundgebung der Kurden überhaupt
genehmigt? Schon damit ging man ein Risiko ein.
Ein Glück, daß schließlich der Abschied von dem Toten
in Frankfurt erlaubt worden ist. Das ist weit genug weg - und so verschwand
auch das Risiko: das von Schuster wie das von Haas. Und beide durften das
beruhigende Gefühl haben, das Richtige gewollt und auch getan zu haben.
Von Eberhard Renz
Stuttgarter Nachrichten 8.1.99
Kurdischer Trauerkonvoi:
Polizeikritik an OB Schuster
Präsident Haas vermißt ¸¸Toleranz und Respekt’’
Hat der OB aus Sturheit eine Eskalation heraufbeschworen?
Haben zuvor kurdische Funktionäre zwei Ämter in Stuttgart und
Koblenz getäuscht? Die untersagte Kundgebung mit dem Leichnam eines
PKK-Mitglieds sorgt für Verstimmungen zwischen Polizeipräsidium
und Stadtspitze.
VON WOLF-DIETER OBST
Vor Tor 31, beim Frachtbereich des Frankfurter Flughafens, ging am
Mittwoch um 20.30 Uhr eine improvisierte Trauerfeier mit 3000 Kurden zu
Ende. Eine Kundgebung, die Stunden zuvor in Stuttgart auf einem Parkplatz
vor der Vollzugsanstalt Stammheim nicht erlaubt war. Abschied von Barzan
Öztürk, einem 23jährigen kurdischen Asylbewerber, der sich
am 1. November 1998 in der Abschiebehaft in Stammheim selbst angezündet
hatte und am Montag im Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz an den Folgen gestorben
war.
Ein Politikum. Denn eigentlich hätte diese Versammlung in Stammheim
stattfinden sollen. Die Organisatoren hatten zwei Genehmigungen in der
Tasche: eine der Stadt Koblenz für eine Überführung der
Leiche nach Stuttgart und Frankfurt, eine für die Demonstration vor
dem Gefängnis. Doch eine Demo mit Sarg? Das städtische Ordnungsamt
sagte in letzter Minute nein.
¸¸Es ist schade’’, kritisiert Polizeipräsident Volker
Haas am Tag danach, ¸¸daß wir in Stuttgart das Beispiel
an Toleranz und Respekt nicht gegeben haben.’’ Trotz der ¸¸Gefahr
einer unkontrollierbaren Eskalation’’ habe OB Wolfgang Schuster als oberster
Dienstherr das Verbot nicht aufgehoben. Dies stehe nicht in der ¸¸Tradition
des toleranten und versöhnlichen Verhaltens von Alt-OB Rommel’’. Dabei,
so Haas, sei die Befürchtung, der Sarg werde geöffnet herumgetragen,
grundlos gewesen. Nach moslemischer Sitte hätte der Sarg geschlossen
bleiben müssen. Nur der Umweg über Stuttgart sei ein Verstoß
gegen das Bestattungsgesetz.
¸¸Ich wäre gern früher als erst am Nachmittag
eingeschaltet worden’’, erklärt Schuster. Was nichts dran ändert:
¸¸Die Zurschaustellung von Leichen ist nicht vom Demonstrationsrecht
gedeckt’’, sagt er. Zudem müsse man einer ¸¸terroristischen
Vereinigung wie der PKK deutlich machen, daß sie sich an Spielregeln
zu halten hat’’.
Die Kritik richtet sich nun an die Koblenzer, die den Umweg genehmigt
hatten. Die Stadt sieht sich vom Veranstalter getäuscht: Der Mesopotamische
Kulturverein hatte eine Kundgebung mit 500 bis 800 Teilnehmern gemeldet.
Von einem Sarg war gar nicht die Rede. Die 2500 Kurden aus Norddeutschland,
aus Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz wußten es besser.
Frankfurter Rundschau 8.1.99
Die Abschiebung hat sich erübrigt
Die Geschichte des PKK-Funktionärs „Murad“, der sich im Gefängnis
verbrannte
Von Peter Henkel (Stuttgart)
Fehlgriffe deutscher Behörden haben zum tragischen Tod des jungen
Kurden Berzan Öztürk beigetragen, der sich am 1. November
in der Abschiebehaft in Stammheim selbst verbrannte. Tausende Kurden
in Deutschland trauerten nun um ihren Landsmann - wobei die Behörden
erneut eine merkwürdige Rolle spielten.
Öztürk, der als Beruf Sänger angab und sich selbst „Murad“
nannte, war ein leidenschaftlicher Anhänger des kurdischen Freiheitskampfes
und des PKK-Führers Abdullah Öcalan. „Ebenso wie die Sonne nicht
geleugnet wird, kann es (...) auch keine Leugnung (Öcalans) geben“,
schrieb er, ehe er sich in dem Stuttgarter Gefängnis selbst in Brand
setzte. „Daß ich in diesem Zusammenhang den Genossen folge (die sich
selbst angezündet haben), betrachte ich als eine Pflicht, die sich
mir unter den Bedingungen, in denen ich mich befinde, mit Entschiedenheit
dargestellt hat“, heißt es weiter in der deutschen Übersetzung
des Abschiedsbriefs.
Damit spielte Öztürk auf seine verzweifelte Lage an. Laut
Aussagen von Mitgefangenen hatten ihm Justizvollzugsbedienstete angedeutet,
er werde in Kürze in die Türkei abgeschoben. Dort hätte
er mit Gewißheit nichts Gutes zu erwarten gehabt: Öztürk
hatte bereits ein Jahr in türkischer Haft gesessen und danach am bewaffneten
Kampf der Kurden teilgenommen, bis er verletzt wurde und er ins Ausland
floh. Im Raum Heilbronn hatte er seine Tätigkeit für die verbotene
PKK fortgesetzt; als Gebietsleiter war er verantwortlich gewesen für
das Eintreiben von Geld, die Anwerbung neuer Aktivisten und politische
Propaganda.
Hätten sich deutsche Behörden anders verhalten, wäre
Öztürk noch am Leben, glaubt sein Anwalt Roland Kugler. Er weist
darauf hin, daß Öztürk, als er am 21. August 1998 bei der
Einreise mit ungültigen Papieren festgenommen wurde, einen Asylantrag
stellte. Der aber ist offenbar nie bearbeitet geschweige denn entschieden
worden. Vorher jedoch, so Kugler, hätte eine Abschiebeprozedur nicht
einmal eingeleitet werden dürfen.
Ein anderes „Mißgeschick“ widerfuhr Öztürk, als er
sich Ende Oktober vor dem Stuttgarter Landgericht wegen illegaler Einreise
und Urkundenfälschung verantworten mußte. Dabei wurde zwischen
den Prozeßbeteiligten ausgehandelt, daß Öztürk gestehen
und dafür nach einer Verurteilung zur Bewährung auf freien Fuß
kommen sollte. Stattdessen aber wurde er noch im Gerichtssaal festgenommen
und nach Stammheim in Abschiebehaft verbracht - eine andere Abteilung des
mit seinem Fall befaßten Regierungspräsidiums in Freiburg hatte
inzwischen einen entsprechenden Haftbefehl erwirkt. Eigentlich hatte Öztürk
noch eine Frist bis 4. November für eine Stellungnahme zur beabsichtigten
Ausweisung gehabt.
Schließlich wurde eine kurdische Vertraute, die ihm die Nachricht
von der Mandatsübernahme durch Kugler ins Gefängnis bringen wollte,
nicht zu Öztürk gelassen - unter Hinweis auf fehlende richterliche
Besuchserlaubnis. Die ist nur bei Untersuchungsgefangenen nötig,
nicht aber bei einem Abschiebehäftling. Einen Tag später zündete
sich Öztürk an.
Auch nach seinem Tod zeigten sich deutsche Behörden und Politiker
unnachgiebig im Falle „Murad“. 2500 Kurden wollten seine sterbliche Überreste
aus dem Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz nach Stammheim überführen
lassen und dort nach kurdischem Brauch am offenen Sarg Abschied nehmen.
Der Konvoi wurde auf der Autobahn gestoppt, woraufhin die Kurden Öztürk
zum Frankfurter Flughafen brachten. Dort nahmen sie in einer improvisierten
Trauerfeier friedlich Abschied von ihrem Landsmann.
Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster und Baden-Württembergs
Innenminister Thomas Schäuble (beide CDU) begründeten ihre harte
Haltung so: Das deutsche Bestattungsgesetz schreibe einen „würdigen
Umgang“ mit Toten vor - damit jedoch sei eine „politische Demonstration“
unvereinbar.
Stuttgarter Nachrichten 7.1.99
Aufregung wegen Trauerzug
2500 Kurden reisten an - Abschied am Sarg verboten
Ein riesiger Trauerzug von Kurden wollte am Mittwoch nachmittag in Stammheim von einem am Montag gestorbenen Landsmann Abschied nehmen. Der Sarg fehlte jedoch. Die Stadt hatte diese Art der Demonstration verboten. Trotzdem blieb alles friedlich.
VON GERT FACH
Die Trauerkundgebung vor der Vollzugsanstalt in Stammheim galt einem
23 Jahre alten Kurden, der der verbotenen Arbeiterpartei PKK zugeordnet
wurde. Er saß in Stuttgart in Abschiebehaft und hatte sich aus Protest
am 1. November 1998 in seiner Zelle selbst angezündet. Mit schweren
Brandverletzungen war er in das Bundeswehrkrankenhaus in Koblenz gebracht
worden, wo er am Montag gestorben ist.
Der Mesopotamische Kulturverein in Zuffenhausen hatte daraufhin Landsleute
aus ganz Deutschland zu einer großen Trauerdemonstration vor das
Gefängnis eingeladen. Am offenen Sarg sollten die Kurden Abschied
nehmen. Offenbar aus Furcht vor Ausschreitungen hatte die Stuttgarter Ordnungsbehörde
mit Unterstützung des Landes diese Zeremonie verboten. Daraufhin wurde
am Mittwoch ein Autokonvoi mit dem Leichnam auf der Autobahn bei Hockenheim
von der Landespolizei gestoppt, um auf einem Parkplatz das weitere Vorgehen
zu verhandeln.
Während sich in Stuttgart bis gegen 14Uhr an die 2500 Kurden eingefunden
hatten, versuchte Volker Haas, Stuttgarts Polizeipräsident, OB Schuster
zu überreden, das Verbot zurückzunehmen, um den Sarg doch noch
nach Stammheim bringen zu können. Die Polizei, mit 500 Beamten vor
Ort, befürchtete nämlich eine Eskalation der Ereignisse, sollte
die Nachricht von dem blockierten Fahrzeugkonvoi publik werden. Der OB
stellte sich jedoch hinter die Ordnungsbehörde. Es blieb bei der ablehnenden
Haltung gegen eine bei den Kurden übliche Zurschaustellung eines Leichnams.
Die Fahrzeuge mit dem Sarg wurden daraufhin, begleitet von der Polizei,
an den Flughafen Frankfurt umgeleitet, von wo aus der Leichnam in die Türkei
überführt wird. Nach Angaben von Hermann Karpf, Pressesprecher
der Stuttgarter Polizei, nahmen die Teilnehmer der Trauerfeier in Stammheim
diese Nachricht ruhig auf. Die meisten seien dann nach Frankfurt gefahren.
Karpf gegen 16 Uhr: ¸¸Es blieb alles friedlich. Wir hatten
keine Probleme.’’ Am Dienstag hatte sich die Polizei auf weit weniger Demonstranten
eingerichtet und war vom großen Andrang überrascht worden.
Stuttgarter Zeitung 7.1.99
Kurdische Demonstration mit Leichnam untersagt Asylbewerber erliegt in Koblenz den Folgen seiner Selbstverbrennung - 2500 Landsleute protestieren vor Gefängnis in Stammheim
Ein kurdischer Asylbewerber, der sich am 1. November in der Justizvollzugsanstalt Stammheim selbst angezündet hatte, ist am Montag im Bundeswehrkrankenhaus Koblenz gestorben. Gestern haben rund 2500 Kurden in Stammheim demonstriert.
Von Thomas Schwarz
Die Stadt Stuttgart untersagte jedoch eine Demonstration mit dem Leichnam
von Barzan Öztürk, der von seinen Landsleuten Murat genannt wurde.
Ein Konvoi kurdischer Autofahrer, die den Sarg nach Stammheim transportieren
wollten, wurde auf der Autobahn A61 bei Hockenheim von der Autobahnpolizei
gestoppt. Das Land Baden-Württemberg hatte den Transport verboten.
Die Demonstranten vor der Justizvollzugsanstalt, die auf traditionelle
kurdische Weise von dem Toten Abschied nehmen wollten, erklärten daraufhin,
sie würden so lange auf dem Platz vor dem Gefängnis bleiben,
bis er nach Stuttgart gebracht werde. ¸¸Dies ist der Ort, an
dem er sich verbrannt hat. Deshalb sind wir heute hier, um uns von ihm
zu verabschieden’’, sagte Memed Taskala von der sogenannten kurdischen
Exilregierung. Öztürk habe sich nicht nur aus Verzweiflung angezündet,
sondern auch um die Welt auf das Schicksal seines Volkes aufmerksam zu
machen und gegen die türkische Politik zu demonstrieren.
Grünen-Stadtrat Roland Kugler, der Öztürk im Asylverfahren
als Anwalt vertreten hatte, und Polizeipräsident Volker Haas, die
gestern beide vor Ort waren, versuchten zu vermitteln, um eine eventuelle
Eskalation zu verhindern. Beide setzten sich dafür ein, daß
der Sarg nach Stuttgart transportiert werden dürfe. Da die Polizei
an die Verfügungen des Ordnungsamtes und des Innenministeriums gebunden
ist, rief Haas schließlich Oberbürgermeister Wolfgang Schuster
an. Das Stadtoberhaupt bekräftigte jedoch am Nachmittag, daß
der Tote nicht nach Stuttgart gebracht werden dürfe.
Die Situation vor dem Gefängnis in Stammheim, wo rund 500 Polizisten
im Einsatz waren, entspannte sich erst, als die hessische Landesregierung
einwilligte, daß die Demonstranten auf dem Frankfurter Flughafen
Abschied von dem Toten nehmen durften; von dort wird der Sarg in die Türkei
geflogen. Daraufhin traten die Kurden, von denen einige Fahnen und Stirnbänder
mit PKK-Symbolen und dem Bild des kurdischen Separatistenführers Abdullah
Öcalan trugen, die Fahrt nach Frankfurt an.
Barzan Öztürk war am 21. August vergangenen Jahres an der
holländischen Grenze mit ungültigen Papieren festgenommen worden.
Nach einem Strafprozeß wegen Urkundenfälschung, in dem er zu
acht Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden war,
kam Öztürk in Abschiebehaft nach Stammheim. Dort zündete
er sich am 1. November an, nachdem er erfahren hatte, daß er in den
nächsten Tagen in die Türkei abgeschoben werden sollte. Wie ein
Mitarbeiter des Mesopotamischen Kulturvereins, der die Demonstration in
Stammheim organisiert hatte, mitteilte, habe Öztürk befürchten
müssen, den Flughafen von Istanbul nicht lebend zu verlassen.
Wie Memed Taskala gestern berichtete, war der Sänger in der Türkei
aus politischen Gründen bereits ein Jahr in Haft gewesen. Er sei Mitglied
der Kurdischen Nationalen Befreiungsfront gewesen und habe sich auch aktiv
am ¸¸kurdischen Freiheitskampf’’ beteiligt, bevor er verwundet
wurde und aus dem Land floh. Seine Familie sei in seiner Heimatstadt Agri
nahe der armenischen Grenze wegen ihrer Beteiligung am Widerstand gegen
die türkische Regierung bekannt. ¸¸Wenn er dort beigesetzt
wird, gibt es einen Aufstand’’, so Taskala.