Regierungsbildung in der Türkei erneut gescheitert
Erez gibt den Auftrag an Demirel zurück
Ankara, 6. Jan. (Reuters) Der designierte türkische Ministerpräsident
Yalim Erez hat am Mittwoch seine vor zwei Wochen begonnenen Bemühungen
zur Bildung einer neuen Regierung aufgegeben. Er werde seinen Auftrag an
Präsident Demirel zurückgeben, teilte er mit. Es ist das zweite
Mal seit dem Sturz der Regierung Yilmaz Ende November, dass ein Politiker
beim Versuch einer Regierungsbildung scheitert. Im Dezember war bereits
der Sozialdemokrat Ecevit gescheitert. Beobachter erwarteten jedoch, dass
Ecevit erneut mit der Regierungsbildung beauftragt wird. Derzeit steht
Yilmaz einer geschäftsführenden Regierung vor. Das Parlament
hatte den konservativen Politiker wegen des Vorwurfes der Korruption als
Ministerpräsidenten gestürzt. Für den 18. April sind Parlamentswahlen
angesetzt.
Eine entscheidende Rolle beim Scheitern Erez’ spielte die frühere
Regierungschefin Ciller, die der Partei des Rechten Weges (DYP) vorsteht.
Sie hatte am Montag Erez’ Bemühungen zunichte gemacht, als sie erklärte,
nun doch Ecevit unterstützen zu wollen. Noch im Dezember hatte sie
sich geweigert, mit Ecevits sozialdemokratischer Linkspartei zusammenzuarbeiten.
Unklar blieb, was sie zu der Meinungsänderung veranlasste. Hinter
dem Taktieren der Parteien sehen Beobachter das Bemühen, die starke
islamistische Tugend-Partei von der Regierung auszuschliessen. Die Tugend-Partei
ist Nachfolgerin der verbotenen Wohlfahrtspartei, die bei den letzten Wahlen
21 Prozent der Stimmen erreichte. Sie macht sich für die nächsten
Wahlen Hoffnungen auf einen noch grösseren Stimmenanteil.
Cillers neuer Coup
Der designierte Premier Erez verzichtet auf die Regierungsbildung
Die Femme fatale der türkischen Politik, Ex-Ministerpräsidentin
Tansu Ciller, hat erneut einen Coup gelandet. Praktisch auf der Ziellinie
hat sie gestern den designierten Ministerpräsidenten Yalim Erez geschickt
noch einmal abgefangen und ihn dazu gebracht, sein Mandat zurückzugeben.
Als Erez nur noch Details seiner zukünftigen Regierung regeln mußte,
verkündete Ciller überraschend, ihre Partei sei bereit, eine
Minderheitsregierung von Bülent Ecevit zu unterstützen. Ecevit
war vor Erez von Präsident Demirel mit der Regierungsbildung beauftragt
worden und letztlich an Cillers Weigerung gescheitert, eine Regierung unter
seiner Führung zu unterstützen. Die Regierungskrise in der Türkei
wurde vor 40 Tagen ausgelöst, als die Minderheitsregierung von Mesut
Yilmaz über eine Korruptionsaffäre stürzte.
Für den plötzlichen Sinneswandel von Frau Ciller sind vor
allem zwei Gründe ausschlaggebend. Erstens ist ihr Yalim Erez
zutiefst verhaßt. Erez war einmal einer ihrer engsten Verbündeten
innerhalb ihrer Partei des Rechten Weges (DYP). Weil Erez im Frühjahr
97 mit einer Reihe weiterer Abgeordneter die DYP verließ, stürzte
die Koalition von Ciller mit Necmettin Erbakan. Erst der Schritt von Erez
ermöglichte den „sanften Putsch“ im Frühjahr 97, durch den die
Islamisten und mit ihnen Tansu Ciller auf Betreiben der Militärs von
der Macht verdrängt wurden.
Rache ist aber nicht das einzige Motiv für Ciller. Aktuell
mußte sie befürchten, daß eine von Erez gebildete Regierung
die für April vorgesehenen Wahlen verschieben würde. Erez gilt
erneut als Mann des Militärs und genießt als ehemaliger Präsident
der türkischen Industrie- und Handelskammer das Vertrauen der Wirtschaft.
Sowohl das Militär wie die Industrie hat kein Interesse an Neuwahlen,
weil sie sich davon keine stabilen Verhältnisse versprechen und befürchten,
die Islamisten könnten wieder stärkste Partei werden. Ciller
will nun eine Minderheitsregierung, die nur von Ecevits Demokratischer
Linkspartei (DSP) gebildet wird, unterstützen, weil eine solche Minderheitsregierung
die Gewähr für die Wahlen im April bieten würde. Da auch
der eigentliche Konkurrent von Ciller, Mesut Yilmaz, signalisiert hat,
er würde eine Minderheitsregierung von Ecevit gegenüber einem
Kabinett Erez vorziehen, ist es jetzt wieder die wahrscheinlichste Lösung,
daß Ecevit nächster Ministerpräsident wird. In Ankara wird
erwartet, daß Demirel ihm erneut den Auftrag zur Regierungsbildung
erteilt. Laut Verfassung haben die Parteien 45 Tage, jetzt also noch 3
Tage, Zeit, bis der Präsident eine Regierung ernennen kann, die das
Parlament nicht mehr zu bestätigen braucht. Die zentrale Wahlkommission
hat den Mechanismus für die Neuwahlen in Gang gesetzt und 21 Parteien
zugelassen.
Jürgen Gottschlich
Frankfurter Rundschau, 07.01.1999
Erez gibt Regierungsbildung auf
Türkische Militärs dringen auf rasche Beendigung der Krise
Von Gerd Höhler
ATHEN, 6. Januar. In der Türkei ist ein weiterer Versuch, eine
neue Regierung zu bilden, gescheitert. Der konservative Politiker Yalim
Erez, der von Staatspräsident Süleyman Demirel Ende Dezember
mit der Regierungsbildung beauftragt worden war, erklärte am Mittwoch,
er werde das Mandat zurückgeben. Erfolglos sind Erez’ Bemühungen
um die Bildung einer neuen Koalition vor allem deshalb geblieben, weil
ihm die konservative frühere Ministerpräsidentin Tansu Ciller
ihre Unterstützung verweigerte. Bereits im Dezember war der sozialdemokratische
Ex-Premier Bülent Ecevit bei seinen Versuchen einer Regierungsbildung
an Cillers Weigerung gescheitert.
Ciller erklärte aber Anfang der Woche überraschend ihre Beritschaft,
eine von Ecevit geführte Minderheitsregierung zu unterstützen.
In Ankara wird nicht ausgeschlossen, daß Präsident Demirel den
Altpolitiker Ecevit nun erneut mit der Regierungsbildung beauftragt.
Ohne die Beteiligung der von Ciller geführten Partei des Wahren
Weges (DYP) oder zumindest deren Duldung wäre eine Regierungsbildung
nur mit Unterstützung der islamistischen Tugend-Partei (FP) möglich.
Sie stellt im Parlament die stärkste Fraktion. Eine Regierungsbeteiligung
der Religiösen dürfte jedoch auf Widerspruch der Militärs
stoßen.
Sie drückten bereits 1997 den islamistischen
Premier Necmettin Erbakan aus dem Amt. Die Generäle drängen
nun auf eine rasche Beendigung der innenpolitischen Krise, die durch das
Mißtrauensvotum gegen den konservativen Premier Mesut Yilmaz Ende
November ausgelöst worden war. Das Land brauche dringend innere
Stabilität, erklärte der Oberkommandierende der Landstreitkräfte,
General Atilla Ates, am Dienstag in einer Rede in der zentralanatolischen
Stadt Kayseri. Es gelte, Meinungsverschiedenheiten und politische Erwägungen
dem nationalen Interesse unterzuordnen, sagte Ates in einer offenbar an
die zerstrittenen Parteiführer des Landes gerichteten Mahnung.