Köln, den 07. Januar 1999
An die Redaktionen
Inland/Ausland/Deutschland/Türkei/Kurdistan
Provokation und Verbot: Der Innenminister von Baden-Württemberg
gegen eine Trauerfeier für den kurdischen Politiker Barzan Öztürk
Der kurdische Politiker Barzan Öztürk, der sich am 1. November
1998 im Gefängnis von Stuttgart-Stammheim selbst verbrannt hat, ist
am 04. Januar 1999 um 7.05 Uhr morgens im Bundeswehrzentralkrankenhaus
Koblenz seinen Verletzungen erlegen.
Nachdem am 9. Oktober 1998 ein gescheitertes Attentatsversuch auf den
Vorsitzenden der Arbeiterpartei Kurdistans PKK, Abdullah Öcalan, bekannt
wurde, das im Zusammenhang der militärischen Provokationen und Drohungen
seitens der Türkei gegen Syrien durchgeführt werden sollte, haben
sich auf der ganzen Welt Kurdinnen und Kurden verstärkt mit ihrem
Vorsitzenden und ihrem Befreiungskampf solidarisch erklärt und auch
unter Einsatz ihres Lebens gegen die Aggression gegen das kurdische Volk
protestiert. Über 50 Kurdinnen und Kurden haben sich aus Verbundenheit
mit ihrem Vorsitzenden seitdem verbrannt und fielen in diesem Kampf.
Sie brachten so zum Ausdruck, daß ihnen die Freiheit ihres Volkes
wichtiger ist als ihr eigenes Leben. Barzan Öztürk ist einer
von ihnen.
Am 5. Januar 1999 hat die Stadt Koblenz in dem Leichenpaß für
Barzan Öztürk die Genehmigung erteilt, daß sein Leichnam
von Koblenz über Stuttgart-Stammheim zum Flughafen Frankfurt/Main
transportiert wird, von wo aus er zu seinem Heimatort Agri in Kurdistan
geflogen werden soll.
Die Modalitäten des letzten Geleits für Barzan Öztürk
in Deutschland wurden mit dem Polizeipräsidium Koblenz ausführlich
und in allen Einzelheiten einvernehmlich besprochen - von der zu befahrenden
Route, der geplanten Trauerfeierlichkeit vor dem Gefängnis von Stuttgart-Stammheim
bis zur Anzahl der an dem letzten Geleit beteiligten Fahrzeuge. Alle Einzelheiten
waren bekannt, und sämtliche eventuellen Schwierigkeiten waren aus
dem Weg geräumt. Auch die Trauerfeierlichkeit in Stuttgart-Stammheim
war von der Stadt Stuttgart genehmigt worden.
Am 6. Januar 1999 wurde der Leichnam von Barzan Öztürk von
Kurdinnen und Kurden von dem Koblenzer Hauptfriedhof abgeholt, und der
Konvoi aus 17 Fahrzeugen fuhr Richtung Stuttgart. Gleich nach Überschreiten
der Grenze von Baden-Württemberg wurde der Konvoi von der Polizei
auf den nächsten Autobahnparkplatz beordert, dort von einem Großaufgebot
baden-württembergischer Sicherheitskräfte empfangen und über
4 Stunden dort festgehalten: Das baden-württembergische Innenministerium
hat den Konvoi und die Überführung des Leichnams zu der Gedenkveranstaltung
in Stuttgart-Stammheim verboten, der Geleitzug soll gleich nach Frankfurt
zum Flughafen fahren. Begründet wurde dieses Verbot, der eigenen Trauer
und dem Gedenken einen würdigen und dem Anlaß entsprechenden
Ausdruck zu verleihen, damit, daß der Leichnam Barzan Öztürks
nicht nach Stuttgart-Stammheim vor das Gefängnis gebracht werden dürfte
- er solle dort nur „zur Schau“ gestellt werden, die Genehmigung durch
die Stadt Koblenz sei „erschlichen“ worden.
Die Behauptung der „Erschleichung“ der Genehmigung kann nur als an
den Haaren herbeigezogene Schutzbehauptung und Provokation gewertet werden.
Die Verbots“begründung“ einer geplanten „Zurschaustellung“ des Leichnams
entbehrt jeglicher Grundlage und überschreitet die Grenze des Zynismus.
Tatsächlich wurde hier verboten, der Trauer um einen gestorbenen freiheitsliebenden
Menschen einen seinem Leben und Wirken angemessenen Ausdruck zu verleihen.
Verhindert wurde das letzte Geleit für einen gefallenen Freund mit
einem Großeinsatz von mehreren Hundert Sicherheitskräften, einem
Hubschrauber und einem Szenario, das vom türkischen Unterdrückungsregime
auch bei derartigen Gelegenheiten bekannt ist. Verboten wurde die Trauer
um einen kurdischen Menschen, für dessen Tod auch diejenigen verantwortlich
sind, die durch ihre Unterstützung des Krieges der Türkei gegen
die kurdische Bevölkerung mit Waffen- und Geldlieferungen, durch das
PKK-Verbot und die Verfolgung und Inhaftierung kurdischer Politiker in
Deutschland die kurdischen Menschen auch hier zwingen, sich zur Wehr zu
setzen.
Das Verbot des letzten Geleits und einer würdigen Trauerfeier
ist vom menschlichen Standpunkt her weder nachvollziehbar noch verständlich
- es ist unmenschlich, den Grundprinzipien von Menschenwürde hohnsprechend
und ins Gesicht spuckend. Mit dem Verbot stellen sich die deutschen Behörden
ohne jeden Zweifel auf die Seite des kriegerischen türkischen Regimes.
Damit hat das baden-württembergische Innenministerium nichts anderes
getan, als der kurdischen Bevölkerung in Deutschland wie in allen
Teilen der Welt seine Verachtung auszudrücken.
Das Verbot und seine Durchführung durch ein polizeiliches Großaufgebot
stellt eine Provokation dar, die nur durch das besonders besonnene Verhalten
der damit konfrontierten Kurdinnen und Kurden nicht zu einer Katastrophe
geführt hat. Hier zeigt sich erneut, wer verantwortlich ist für
die Eskalationen der Vergangenheit.
Während in Stuttgart-Stammheim etwa 10.000 Kurdinnen und Kurden
vergeblich auf den Sarg warteten und trotz des erniedrigenden Verbots ihre
Trauerveranstaltung mit viel Disziplin und Anteilnahme durchführten,
wurde der Geleitzug direkt zum Frankfurter Flughafen umgeleitet, wo eine
weitere Trauerveranstaltung mit Tausenden Menschen durchgeführt wurde.
Was sollen sich diese Menschen noch alles gefallen lassen?
Wir kritisieren das Vorgehen des Innenministers des Landes Baden-Württemberg
auf das Schärfste und verlangen eine angemessene Entschuldigung bei
der kurdischen Bevölkerung!