ISTANBUL – Viel besitzen die Menschen nicht mehr, die
sich vor Krieg und Armut in den südostanatolischen
Kurdengebieten in die Elendsviertel von Istanbul geflüchtet
haben. Für die paar Klamotten genügt als Schrank meist ein
rostiger Nagel in der feuchten Wand, die spärlichen Möbel
stammen vom Sperrmüll.
Trotzdem steht in vielen ärmlichen Behausungen hier ein
Farbfernseher, über den Bilder aus der Heimat, Berichte vom
Leben der kurdischen Diaspora und Nachrichten vom Krieg
zwischen PKK und türkischer Armee flimmern. Die
Satellitenschüssel draußen ist auf 13 Grad Ost ausgerichtet
–
der weltweit einzige Kurdensender Med-TV funkt sein
Programm aus London an den türkischen Behörden vorbei
zum Zielpublikum. Über diese Frequenzen wendet sich auch
PKK-Chef Abdullah Öcalan regelmäßig an seine Anhänger
–
per Telefon früher aus Damaskus zugeschaltet und jetzt aus
Rom.
Seit dem 15. Mai 1995 sendet Med-TV an Kurden in aller
Welt – mit einer Lizenz der britischen
Rundfunkaufsichtsbehörde ITC. Der Sender strahlt täglich 18
Stunden Nachrichten, Unterhaltung und Kultur in vier
kurdischen Dialekten sowie auf Türkisch, Englisch, Arabisch
und Assyrisch aus. Med-TV wird von verschiedenen
Stiftungen, aus Spendengeldern und mit Werbeeinahmen
finanziert und hat rund 200 Mitarbeiter in sechs Ländern.
Politisch fungiert der Sender als inoffizielles Spachrohr der
PKK, doch das Programm erschöpft sich nicht in
Propaganda; Kultur und Unterhaltung überwiegen. Allein in
Westeuropa ist die Nachfrage nach Med-TV so groß, daß
der Sender in Dänemark und Norwegen teilweise bereits im
Kabel ist. In der Türkei selbst wird die Zuschauerzahl auf bis
zu 15 Millionen geschätzt.
Immer wieder einmal startet die türkische Regierung einen
neuen Versuch, den kurdischen Parolen aus dem Äther mit
einem eigenen Propagandasender zu begegnen. Der eigentlich
schon 1991 als „Kurdensender“ konzipierte staatliche Kanal
GAP-TV soll irgendwann einmal von Ankara nach
Diyarbakir umziehen und sein Sendegebiet auch auf die
Kurdenregionen jenseits der türkischen Grenze ausweiten.
Entscheidende Frage
„Soll der Kanal denn auf Kurdisch senden?“, fragt der
Geschäftsführer von Med-TV, Hikmet Tabak, dazu nur
trocken. Tatsächlich ist das die entscheidende Frage, um die
sich türkische Politiker immer noch streiten – denn der
offizielle Gebrauch der Sprache käme einem Eingeständnis
gleich, daß es sich bei den Kurden um eine nicht-türkische
Volksgruppe handelt.
„Dafür ist die Zeit noch nicht reif“, faßte der zuständige
Minister Salih Yildirim den Stand der Diskussion kürzlich
zusammen. Hikmet Tabak von Med-TV glaubt ebenfalls
nicht, daß sich die Türkei zu einem kurdischen Programm
durchringt. Und wenn doch? „Das würden wir begrüßen“,
meint Tabak. „Schließlich verbessert Konkurrenz das
Programm – und wir haben bisher weltweit keine
Konkurrenz.“
Nürnberger Nachrichten, 9.1.99