Rangelei mit Splittergruppen?
Pressesalat von der Liebknecht-Luxemburg-Demonstration
Je näher Zeitungen der rot-grünen
Regierung stehen, desto mehr neigen sie dazu, Tatsachen zu unterschlagen,
die den
Neuen unangenehm sein müssen. Eine
glänzende Bestätigung für diese These lieferten die Blätter
am Montag.
Über 100 000 Teilnehmer am Sonntag
auf der größten regelmäßigen Demonstration in Deutschland?
Der Süddeutschen
Zeitung erschien dafür nur eine
kleine Agenturmeldung auf der Seite 2 angebracht, die den Zug nach
Berlin-Friedrichsfelde zu einer reinen
»PDS- Kundgebung« stilisierte. Gar erst auf Seite 4 ging die
Frankfurter
Rundschau auf das Gedenken für
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg im Jahr eins der Schröderschen
Kanzlerschaft
ein. Ein Bericht des Korrespondenten
Karl-Heinz Baum im unteren Teil - Titel: »Ein älterer Herr mit
erhobener Faust
singt das Lied der >Brigade 11<«
- suggeriert, daß in Berlin eine Art Seniorentreff stattgefunden
hat. Die Berliner
Zeitung, die immerhin am Ort des Geschehens
erscheint, konnte sich nicht durchringen, auf ihrer Seite 1 ein Foto vom
größten Ereignis des Wochenendes
in der Hauptstadt zu bringen. Eine kleine Nachricht verweist auf die dritte
Seite des
Blattes, wo Brigitte Fehrle die von
ihr selbst gestellte Frage »Warum kommen immer mehr Leute?«
nicht beantworten
kann.
Weit aufmerksamer sind da Blätter
aus dem Hause Springer: Sowohl die Berliner Morgenpost als auch die überregionale
Zeitung Die Welt machten ihre ersten
Seiten mit unübersehbaren Bild-Berichten auf und legten im Innenteil
nach. Dabei
gibt André Mielke auf Seite 3
der Morgenpost eine Beobachtung preis, die außer ihm nur Lothar Heinke
vom
Holtzbrinckschen Tagesspiegel (Bericht
auf Seite 3) gemacht zu haben scheint: Nach Friedrichsfelde gingen nicht
nur
Anhänger der PDS, sondern auch
junge Leute vom Sozialistischen Jugendverband »Die Falken«
und SPD-Mitglieder.
Heinke befand sogar: »Der 80.
Jahrestag der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hat am Sonntag
soviel Menschen wie noch nie auf die
Beine gebracht.«
Recht uniform in Bewertung und Falschinformation
präsentierten sich die Blätter verschiedener Couleur allerdings
in
einem Punkt: Der Berichterstattung über
den Polizeieinsatz gegen den Demonstrationszug, der vom früheren Berliner
Leninplatz seinen Ausgang genommen hatte.
Bei der Demonstration, zu der ein Bündnis verschiedener Organisationen
und Personen aufgerufen hatte, handelte
es sich angeblich um einen Zug »linker Splittergruppen«, so
jedenfalls unisono
die Frankfurter Rundschau (Karl-Heinz
Baum), die Süddeutsche Zeitung (AFP), Die Welt (Eigenbericht), die
Berliner
Morgenpost (Eigenbericht). Daß
die Organisatoren selbst zu einem friedlichen Verlauf aufgerufen hatten,
war nirgendwo
zu lesen. Dafür wurde reportiert,
es sei zu »Auseinandersetzungen« zwischen der Polizei und Demonstranten
gekommen.
So wußten es die Berliner Zeitung
(Eigenbericht), die Berliner Morgenpost (Eigenbericht), während die
Süddeutsche
Zeitung in ihrer AFP- Meldung von »Rangeleien«
sprach. Brigitte Fehrle von der Berliner Zeitung merkte noch an, das
»Aufgebot gut gerüsteter
Polizei« sei »groß« gewesen und die Demonstration
sei »häufig angehalten« worden. Mehr an
Beschreibung des ebenso provokativen
wie zu Teilen brutalen Einsatzes der Polizei, der nun das Berliner
Abgeordnetenhaus beschäftigen wird,
war aber auch dort nicht drin.
Fotos, die das Vorgehen gegen Andersdenkende
hätten dokumentieren können, druckte keines der bürgerlichen
Blätter.
Zu peinlich angesichts des pflichtgemäßen
Rückgriffes aller auf die Verhaftung von DDR-Oppositionellen bei der
Liebknecht- Luxemburg 1988?
Wie solch ein Fall gemeinschaftlicher
Unterschlagung zustande kommt, müßte schon mal geklärt
werden. Schreiben die
Eigentümer als Meinungsmonopolisten
den Chefredaktionen vor, was wegzulassen ist? Bei der vereinten Auflagenmacht
dieser Blätter wäre es Anstiftung
zur Sabotage der grundgesetzlich verbrieften Informationsfreiheit, die
bekanntlich zu den
Vorzügen des westlichen Wertesystems
zählen soll.
Knut Voss