Italien jenseits der Rechtsstaatlichkeit?
Öcalan-Anwälte: Angedrohter
Prozeß gegen PKK-Chef rechtswidrig
In Italien reißen die Stimmen nicht
ab, die einen baldigen Aufbruch von PKK-Chef Abdullah Öcalan in ein
Drittland
prophezeien. Tatsächlich wird von
dieser Möglichkeit schon seit Weihnachten gesprochen, doch hat der
Vorsitzende der
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Silvester
noch feiernd in einer Villa bei Rom verbracht. Die italienische Presse
zitiert
selbst einen der beiden italienischen
Anwälte des PKK-Chefs, Giuliano Pisapia, wonach Öcalan Italien
»bis Montag«
(das heißt gestern) verlassen
haben könnte. Doch handelt es sich hierbei in erster Linie um Wunschdenken,
denn bislang
hat sich kein Staat bereit erklärt,
den PKK-Chef aufzunehmen - wenn man einmal von der Einladung der Prinzessin
von
Katanga, einer Region des Kongo von
Laurent Kabila, absieht, die Abdullah Öcalan nach Informationen der
italienischen
Tageszeitung Corriere della Sera aufgefordert
haben soll, bei ihr Zuflucht zu suchen. Die Option Südafrika ist mittlerweile
zu den Akten gelegt, nachdem der südafrikanische
Botschafter in Ankara, Thomas Wheeler, hat wissen lassen, daß seine
Regierung kein Interesse an dem illustren
Flüchtling habe. Die italienische Gerüchteküche spricht
jetzt von einem nicht
genauer bestimmten »asiatischen«
Land.
Außer Zweifel steht, daß
die italienische Regierung sich des »Falls Öcalan« entledigen
will. Erst am Montag wieder hat
Regierungschef Massimo D'Alema mit einer
Abschiebung oder einem Prozeß gegen den PKK-Chef in Italien gedroht.
Auf die Äußerungen D'Alemas
in den vergangenen Tagen hat ein internationales Juristenteam, das sich
der Verteidigung
Abdullah Öcalans angenommen hat,
reagiert. Britta Böhler, Rechtsanwältin aus Amsterdam, Hans-
Eberhard Schultz,
Rechtsanwalt in Bremen, und Norman Paech,
Professor für Völkerrecht in Hamburg, enttarnen die Drohungen
der
italienischen Regierung als Versuch,
»Herrn Öcalan dazu zu bewegen, einer >freiwilligen< Ausreise
in ein anderes Land
zuzustimmen.«
Ein Prozeß in Italien, der sich
auf die mehrfach zitierte Anti-Terror-Konvention des Europarats von 1977
stützen könnte
und mit der sich die Staaten zur Auslieferung
von Terroristen oder zur Eröffnung eines Prozesses im eigenen Land
verpflichten, »hält einer
kritischen Überprüfung aus völker- und strafrechtlicher
Sicht nicht stand«. Diese Konvention sei
auf die Vorwürfe aus der Türkei
nicht anwendbar, weil die mutmaßlichen Straftaten »nicht den
Begriff einer
terroristischen Handlung, wie er in
der europäischen Konvention vorausgesetzt ist«, erfüllten.
»Sie fanden im
Zusammenhang eines Krieges zwischen
dem türkischen Militär und der PKK statt, also im Rahmen eines
internationalen
Konflikts in Ausübung des Selbstbestimmungsrechts«,
für das ein Zusatzprotokoll von 1977 zum Genfer Abkommen von
1949 gelte, so das Juristenteam.
Nach italienischem Recht könne Rom
Öcalan theoretisch zwar stellvertretend für die Türkei strafrechtlich
verfolgen, doch
wäre dies ein Präzedenzfall.
Der PKK-Chef, so seine ausländischen Anwälte, sei dagegen bereit,
sich einem Verfahren
vor internationalen Kriegsverbrechertribunalen
nach dem Vorbild der Gerichte für Ex-Jugoslawien oder Ruanda zu
unterziehen, da dann auch die türkischen
Verbrechen behandelt würden. Die einzige Lösung sei aber politischer
Natur,
das heißt »eine internationale
Kurdistan-Konferenz unter Einschluß aller Betroffenen«. In
Kürze soll auf Initiative der
Öcalan-Verteidiger in Rom eine
internationale Juristenkonferenz zu diesen Themen anberaumt werden.
Cyrus Salimi-Asl, Neapel