Stuttgarter Nachrichten 12.1.99

Alarmstufe eins im vierten Stock des Polizeipräsidiums

Unter Beschuß geratener Polizeichef Haas rechtfertigt sich mit zweiter Erklärung - OB Schuster kontert erneut Der Streit um einen verbotenen kurdischen Trauerkonvoi für einen toten PKK-Aktivisten spitzt sich weiter zu. Das öffentlich ausgetragene Erklärungsduell zwischen Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas, der um sein Amt bangen muß, und OB Wolfgang Schuster ging auch am Wochenende weiter.

VON WOLF-DIETER OBST
Die Lage ist ernst. Deshalb herrschte auch am Samstag im vierten Stock des Polizeipräsidiums auf dem Pragsattel eine Stimmung wie bei Alarmstufe eins. Dort, wo der Polizeipräsident und die Pressestelle ihre Diensträume haben, verfaßte Haas eine zweite, eine persönliche Erklärung. Daß er bei der ersten Verlautbarung OB Schuster indirekt mangelnde Toleranz und Respekt vorwarf, nachdem er sich am Dreikönigstag vergebens dafür eingesetzt hatte, das Verbot einer kurdischen Demonstration mit dem Leichnam eines PKK-Aktivisten vor dem Stammheimer Gefängnis aufzuheben - das könnte seinen Kopf kosten.
In seiner neuen Erklärung weist der Polizeipräsident den Vorwurf Schusters zurück, den OB zu einem rechtswidrigen Verhalten aufgefordert zu haben. Vielmehr habe die Stadt selbst in ihrer Verfügung ¸¸die Durchführung der Maßnahme in das polizeitaktische Ermessen gestellt’’. Somit wäre auch die Erlaubnis, den Sarg des Kurden nach Stuttgart zu bringen, kein Rechtsbruch gewesen, ¸¸wenn die taktische Lage eine solche Zustimmung erfordert’’.
Der Versuch, so Haas, angesichts 2500 Kurden nach ¸¸Auswegen aus der scheinbar unvermeidlichen Konfrontation’’ zu suchen, sei nicht ¸¸Selbstherrlichkeit oder Amtsanmaßung’’.  Immerhin sei das Innenministerium ¸¸in jeder Phase eingebunden’’ gewesen, habe letztlich auch die Ersatzveranstaltung am Frankfurter Flughafen mit dem Innenministerium Hessen organisiert.
Er sehe es, erklärt Haas weiter, als Beamter für selbstverständlich an, ¸¸Entscheidungen, die er für falsch hält, gleichwohl loyal zu vollziehen’’. Es gebe aber keine Verpflichtung, ¸¸die eigene Meinung zu ändern’’.
Am Sonntag konterte OB Schuster, der die Haas-Erklärung allerdings nicht direkt erhalten hatte, ebenfalls mit einer Pressemitteilung. Schuster bleibt bei seinem Vorwurf, zum Rechtsbruch aufgefordert worden zu sein. Er betont dabei, Haas habe bei dem Telefongespräch während der Demonstration ¸¸ausdrücklich die Gefahr einer unkontrollierbaren Eskalation verneint und mir bestätigt, daß die Polizei die Sicherheitslage im Griff habe’’. Allerdings scheint die Polizei mit 500 Beamten offenkundig unterbesetzt gewesen zu sein. Zumindest, wenn die Demonstranten per Sitzstreik das Eintreffen des Sarges hätten erzwingen wollen.  ¸¸Wie hätten 2500 Menschen, auch Frauen und Kinder, in angemessener Zeit und mit angemessenen Mitteln aus Stammheim herausgeschafft werden sollen?’’ fragt Haas.
Ob sein Kurden-Einsatz Folgen haben wird, ließ das Innenministerium offen. Unter anderem dürfte es um einen Verstoß gegen das Mäßigungsgebot gehen - und da hat Haas seit November 1996 wegen seiner drogenpolitischen Äußerungen im OB-Wahlkampf noch eine ¸¸Bewährungsstrafe’’ offen.