Ankaras Veteran springt als Notnagel ein
Bülent Ecevit wird die Türkei bis zur Neuwahl in drei
Monaten regieren
Ankara - Der Mann mit dem markanten Schnurrbart gehört zum Urgestein
der türkischen Politik. Bülent Ecevit hat linke Ideen, das Erbe
des Staatsgründers Atatürk und einen strammen Nationalismus zu
einem eigenartigen Gemisch verbunden.
Von unserem Korrespondenten
FRANK HERRMANN, z. Zt. Ankara
Bekannt wurde er als der Premier, der 1974 die Landung türkischer
Truppen auf Zypern befahl. Ein Vierteljahrhundert später steht der
Veteran noch einmal an der Spitze des Kabinetts. Der 73jährige leitet
eine Ministerriege auf Abruf. Er soll das Land bis zur vorgezogenen Parlamentswahl
im April regieren. Als Vorsitzender der relativ kleinen Demokratischen
Linkspartei war er der typische Kompromißkandidat.
Einerseits wollte das mächtige Militär die islamistische
Tugendpartei als stärkste Kraft im Parlament von der Regierung ausschließen.
Andererseits konnten die beiden Konservativen Tansu Ciller und Mesut Yilmaz
ihre schwerwiegenden Differenzen nicht ausbügeln. Da blieb als Notnagel
Bülent Ecevit.
Doch auch er schaffte es erst im zweiten Anlauf. Ende November war
sein Vorgänger Yilmaz über Korruptionsvorwürfe gestolpert.
Ecevit bekam den Auftrag zur Regierungsbildung, doch drei Wochen später
warf er entnervt das Handtuch. Nach einem gescheiterten Versuch des Konservativen
Yalim Erez bewarb sich der Altpolitiker erneut. Diesmal mit Erfolg. Cillers
Partei des Rechten Weges gab ihren Widerstand gegen den Rückkehrer
urplötzlich auf. Offenbar hatten die Generäle, die Ecevit
unter allen Kandidaten am meisten vertrauen, der ehrgeizigen wie skandalumwobenen
Wirtschaftsprofessorin die Leviten gelesen.
Große Reformen sind von dem Neuen nicht zu erwarten, dazu sind
die drei Monate bis zum nächsten Urnengang viel zu kurz. Innenpolitisch
steht Ecevit für eine strikte Trennung von Staat und Religion, wie
sie einst Atatürk begründet hatte. Im Unterschied zu den Konservativen
plädiert er für einen starke Regulierung der Wirtschaft. In der
Kurdenfrage gibt er sich unnachgiebig. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)
nennt er eine ¸¸separatistische Terrororganisation’’, mit der
man nicht verhandeln dürfe.
In der Außenpolitik gilt der Regierungschef als Verfechter eines
harten Kurses gegenüber Griechenland und Zypern. Auch im Verhältnis
zur Europäischen Union gibt er sich kompromißlos. Daß
die EU den verweigerten Beitritt Ankaras mit Menschenrechten und dem Kurdenproblem
begründet, hält der Linksnationalist für ein vorgeschobenes
Argument.
In den turbulenten 70er Jahren, als sich Linke und Rechte erbitterte
Straßenschlachten lieferten, war Ecevit dreimal Premierminister.
Als das Militär 1980 putschte, wurde er verhaftet. Bald darauf rehabilitiert,
gründete er 1985 mit seiner Frau Rahsan die Demokratische Linkspartei.
Bis November war er im Kabinett Yilmaz stellvertretender Ministerpräsident