Stuttgarter Zeitung 12.1.99

Polizeichef soll versetzt werden
OB Schuster sieht wegen Haas Vertrauen zur Polizei gefährdet - Schäuble prüft Gesetzeslage

Der Streit zwischen Schuster und Haas eskalierte, nachdem der Polizeipräsident mit verschiedenen Erklärungen zum Ablauf der Kurdenkundgebung am Dreikönigstag an die Öffentlichkeit gegangen war. 2500 Kurden hatten sich vor dem Stammheimer Gefängnis zu einer Gedenkfeier versammelt. Dorthin sollte der Sarg ihres verstorbenen Landsmannes Barzan Öztürk gebracht werden, der sich wegen seiner drohenden Abschiebung im November in Untersuchungshaft selbst angezündet hatte. Der 24jährige war vergangenen Montag in Koblenz gestorben.
Haas hatte aus Gründen der Deeskalation dafür plädiert, den Sarg nach Stuttgart zu bringen, OB Schuster hatte dies verboten. Der Polizeipräsident sprach daraufhin von mangelnder Toleranz und Respekt. Diese Kritik hatte OB Schuster auf sich bezogen.
Schusters Vorwürfe richten sich nicht so sehr gegen das Verhalten von Haas während der Veranstaltung, sondern auf dessen Reaktionen an den Tagen danach. Die kritischen Ausführungen des Polizeichefs seien nicht von der spontanen Situation vor Ort geprägt gewesen, sondern wohlüberlegt in einem zeitlichen Abstand veröffentlicht worden.
Schuster spricht aber auch davon, daß ein Polizeipräsident, der sich öffentlich dafür ausspricht, daß bei Demonstrationen von PKK-Sympathisanten Leichen zur Schau gestellt werden dürfen und dies als einen Ausdruck von Toleranz bezeichnet, die schlimme Tradition der Nazis aufnimmt, die ¸¸ihre’’ Toten als ¸¸Märtyrer’’ zu Demonstrationszwecken öffentlich genutzt hätten. Ein solcher Umgang mit Toten sei in Deutschland rechtswidrig und würdelos.
Polizeichef Haas nahm diesen Vergleich mit dem Nazi-Regime zum Anlaß, prüfen zu lassen, ob eine Strafanzeige gegen den Stuttgarter Oberbürgermeister angebrachtsei.
Derweil läßt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble nach Informationen der Stuttgarter Zeitung prüfen, welche rechtlichen Handhabe es gibt, um Haas zu versetzen.  Weiter wurde bekannt, daß der Stuttgarter Polizeichef seinen Posten auf keinen Fall freiwillig räumen wolle.
Der Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Fritz Kuhn, hat die anhaltende Kritik an Haas als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Nach allem, was über den Ablauf der Trauerkundgebung der Kurden bekannt sei, habe der Polizeipräsident so gehandelt, wie es nach Lage der Dinge und im Rahmen des Ermessens möglich war. Obwohl anderer Auffassung als Stadt und Land, habe er sich loyal und korrekt verhalten. Kuhn sagte, er habe den Eindruck, daß es gar nicht um die Frage der Verhältnismäßigkeit von polizeitaktischen Maßnahme geht, sondern darum, alte Rechnungen zu begleichen.
Julius Redling, Polizeisprecher der SPD-Fraktion, warnte Innenminister Schäuble vor unüberlegten Schritten. Der Innenminister und der OB suchten offenbar nach einem Vorwand, um den erfolgreichen, aber unbequemen Polizeichef mundtot zu machen.
Die ¸¸Republikaner’’ forderten den Innenminister auf, Haas endlich aus dem Amt zu entfernen. Er sei zu einer unerträglichen Belastung für die Qualität und Rechtsstaatlichkeit der Polzeiarbeit gworden. Der Landesvorsitzende Christian Käs sagte, daß der Fall Haas zu einem Fall Schäuble zu werden drohe, wenn der Innenminister wieder nicht die Kraft aufbringe, Haas zu entlassen.
Von Eberhard Renz 


Stuttgarter Nachrichten 12.1.99

Stuttgarts Polizei-Chef im politischen Kugelhagel:
Kriminalphilosoph ¸¸P’’ hat sich verrannt Der Druck wächst: Dem Chef vom Pragsattel droht die Versetzung

Volker Haas gefällt sich seit Jahren in der Rolle des Querdenkers - Jetzt werden alte Rechnungen fällig Wegen seiner Rolle bei einer kurdischen Trauerfeier mit dem Leichnam eines PKK-Aktivisten droht dem Stuttgarter Polizeipräsidenten Volker Haas die Versetzung. Der 61jährige hat sich einmal zu oft unbeliebt gemacht.
Es ist stets kurz vor sechs, wenn er das Polizeipräsidium auf dem Pragsattel betritt. Ein Frühaufsteher. Von hier oben, inmitten von Weinbergen, bietet sich ein schöner Blick über den Talkessel, während vor der Haustür täglich 110000 Autos über den Verkehrsknoten rollen. Der ¸¸P’’ wird er hier genannt, und nach fast zwölfjähriger Dienstzeit kann er sich wie in einer Trutzburg fühlen. Hier verfaßt er Thesen - über Drogen, Jugendkriminalität, Menschenführung, den Frieden.  Doch nun tobt ein Krieg, mit dem er längst nicht mehr gerechnet hat. Für Polizeipräsident Volker Haas ist die Luft hier oben dünn geworden.

VON WOLF-DIETER OBST
Dabei hat er doch nur im Sinne von Toleranz und Respekt handeln wollen, als er am Dreikönigstag, 5,3 Kilometer nordwestlich vom Präsidium entfernt, auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Stammheim die Polizeiführung übernahm und eine Trauerfeier mit 2500 Kurden genehmigen lassen wollte. Am Handy setzte er sich dafür ein, daß der Sarg eines toten PKK-Aktivisten, von der Polizei auf der Autobahn bei Hockenheim festgehalten, doch nach Stuttgart transportiert werden dürfe. Und als Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster das Verbot dann doch nicht aufheben mochte, übte er öffentlich Kritik.
Wenn er geschwiegen hätte, wäre er ein Philosoph geblieben.
In Stuttgart, wo das Rathaus und die Landesregierung noch immer konservativ geprägt sind, hat man auf eine solche Gelegenheit schon gar nicht mehr gewartet. Zu viele Jahre schon hat man sich freche Forderungen nach ärztlicher Heroinabgabe und Fixerstuben anhören müssen, ohne dem kleinen Mann mit der Fliege wirklich ans Leder zu können.  Doch ausgerechnet jetzt, da solche Forderungen inzwischen auch in der Bundesregierung längst salonfähig geworden sind, jetzt, da alle politischen Minenfelder abgebaut zu sein schienen - jetzt plötzlich macht sich der 61jährige ohne Not angreifbar.  Der Mensch Haas hat dem Präsidenten Haas ein Bein gestellt.
Volker Haas - ein unerschrockener und streitbarer Kämpfer für soziale Gerechtigkeit und Toleranz, ein Don Quichote, der es auch mit den Windmühlen des schwarzen Baden-Württemberg aufnimmt?
Vielleicht hat er sich, vier Jahre vor der Pension, in einer solchen Rolle gesehen. Doch seine Person ist, auch innerhalb der Polizei, nie unumstritten gewesen. Die einen loben sein Rebellentum der letzten Jahre, vor allem diejenigen, die kurz vor einer Haushaltssperre im Landesetat noch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihre Beförderungsurkunden erhielten. Andere litten aber unter einer Charaktereigenschaft, die Haas selbst als Schwäche bezeichnet: ¸¸Ich bin ein ungeduldiger Mensch.’’
Manche zeihen ihn der Selbstverliebtheit. Die Aufmerksamkeit in den Medien, die er bundesweit erfährt, das sei die eigentliche Triebfeder des ¸¸P’’. Nach außen Partnerschaft und Sensibilität zu predigen, nach innen aber mitunter despotisch aufzutreten - das paßte nicht zusammen. Gleich zwei Chefs der Schutzpolizei, Günther Rathgeb und Klaus Ramsaier, gingen verärgert. Nur nach außen wahrten alle das Gesicht.
Als Haas 1987 seinen Dienst in Stuttgart antrat, war er zwar bereits Philosoph, aber beileibe nicht ein Rebell. Unter dem damaligen Innenminister - und Schulfreund - Dietmar Schlee hatte Haas, Sohn eines Rechtsanwalts aus Schwäbisch Gmünd, Vater einer Tochter, promovierter Jurist, zuvor Leiter des Freiburger Gefängnisses und sieben Jahre Polizeipräsident von Karlsruhe, durchaus noch höhere Weihen in Aussicht.
Doch 1991 schlug die Stimmung um. Als die Landesregierung die Personallöcher immer größer, den Unmut unter den uniformierten Beamten stärker werden ließ, als sich Tausende Polizisten zu Demonstrationen zusammenfanden, stellte sich Haas an die Spitze der Bewegung. Die war freilich schon ein Jahr zuvor in einer Vereinskneipe von Beamten des mittleren Dienstes, ganz unten, in Gang gebracht worden.
Schulfreunde wurden zu Gegnern. Haas, der 1990 das Parteibuch der CDU zurückgab, befaßte sich angesichts explodierender Kriminalitätszahlen immer intensiver mit der Rauschgiftproblematik - und wagte im Oktober 1992 erstmals die Forderung nach einer ärztlichen Heroinabgabe. Schlee verpaßte ihm 1993 einen Maulkorb. Eine Aktion, aus der Haas gestärkt hervorging, weil Schlee nach der Landtagswahl vom SPD-Mann Birzele abgelöst wurde.
Man kann dem Südfrankreich-Fan und Bordeaux-Kenner Haas nicht gerade vorwerfen, sich keine Gedanken über den Tellerrand hinaus zu machen. Wenn andere über Ausländerkriminalität schimpfen, mahnt und mäßigt er, nennt Zahlen, Fakten, Verzerrungsfaktoren. Seine Thesenpapiere sind bunt und umfassen viele Seiten: ¸¸Gedanken zur Bewältigung der Alltagserfahrungen des Polizeidienstes’’, lauten die Titel, oder: ¸¸Gedanken zur Drogenpolitik in zehn Kapiteln’’, ¸¸Sieben Thesen zur Jugendkriminalität’’.
Ja, die Jugendkriminalität. Mit diesem Thema hatte er geschickt Frieden geschlossen mit OB Wolfgang Schuster.  Hatte die Lorbeeren für die Idee von einem ¸¸Haus des Jugendrechts’’ jenem Mann überlassen, den er im OB-Wahlkampf 1996 noch so geärgert hatte. Haas war damals beim grünen Konkurrenten Rezzo Schlauch aufgetreten und hatte für Fixerstuben geworben. Haas mußte erneut zum Rapport beim Innenminister, der damals wie heute Thomas Schäuble heißt. Maulkorb Nummer zwei. Und heute?
Haas durfte sich sicher fühlen. Vor allem nach der Bundestagswahl, die Rot-Grün an die Regierung brachte, schien es kein gefährliches Terrain mehr zu geben. Hat er sich daher einfach nur zu sicher gefühlt? Bei der politisch heiklen Demonstration von 2500 Kurden aus dem ganzen Bundesgebiet versuchte er als Vermittler und als Menschenfreund aufzutreten. Unbürokratisch und zupackend.  Dabei war er doch schon einmal getäuscht worden, als er sich 1993 nach einer Polizei-Razzia für die Wiedereröffnung eines kurdischen Vereinsheims stark machte. Im späteren Solidaritätszentrum wurden nachweislich erneut Straftaten verabredet.
Wie lange Haas noch Tag für Tag frühmorgens sein Büro auf dem Pragsattel aufsuchen wird, ist ungewiß. Sein Anwalt hat bereits die Parole ausgegeben: ¸¸Die müssen ihn da schon wegschießen.’’
Abwinken allein dürfte dem Stuttgarter Polizeipräsidenten Volker Haas wenig nutzen. Nach seiner Kritik am Verbot einer Kurden-Demonstration mit Sarg vor einer Woche droht dem Amtschef und Kriminalphilosophen die Versetzung.
Fotos: Kern/Kraufmann