Polizeichef soll versetzt werden
OB Schuster sieht wegen Haas Vertrauen zur Polizei gefährdet
- Schäuble prüft Gesetzeslage
Der Streit zwischen Schuster und Haas eskalierte, nachdem der Polizeipräsident
mit verschiedenen Erklärungen zum Ablauf der Kurdenkundgebung am Dreikönigstag
an die Öffentlichkeit gegangen war. 2500 Kurden hatten sich vor dem
Stammheimer Gefängnis zu einer Gedenkfeier versammelt. Dorthin sollte
der Sarg ihres verstorbenen Landsmannes Barzan Öztürk gebracht
werden, der sich wegen seiner drohenden Abschiebung im November in Untersuchungshaft
selbst angezündet hatte. Der 24jährige war vergangenen Montag
in Koblenz gestorben.
Haas hatte aus Gründen der Deeskalation dafür plädiert,
den Sarg nach Stuttgart zu bringen, OB Schuster hatte dies verboten. Der
Polizeipräsident sprach daraufhin von mangelnder Toleranz und Respekt.
Diese Kritik hatte OB Schuster auf sich bezogen.
Schusters Vorwürfe richten sich nicht so sehr gegen das Verhalten
von Haas während der Veranstaltung, sondern auf dessen Reaktionen
an den Tagen danach. Die kritischen Ausführungen des Polizeichefs
seien nicht von der spontanen Situation vor Ort geprägt gewesen, sondern
wohlüberlegt in einem zeitlichen Abstand veröffentlicht worden.
Schuster spricht aber auch davon, daß ein Polizeipräsident,
der sich öffentlich dafür ausspricht, daß bei Demonstrationen
von PKK-Sympathisanten Leichen zur Schau gestellt werden dürfen und
dies als einen Ausdruck von Toleranz bezeichnet, die schlimme Tradition
der Nazis aufnimmt, die ¸¸ihre’’ Toten als ¸¸Märtyrer’’
zu Demonstrationszwecken öffentlich genutzt hätten. Ein solcher
Umgang mit Toten sei in Deutschland rechtswidrig und würdelos.
Polizeichef Haas nahm diesen Vergleich mit dem Nazi-Regime zum Anlaß,
prüfen zu lassen, ob eine Strafanzeige gegen den Stuttgarter Oberbürgermeister
angebrachtsei.
Derweil läßt Baden-Württembergs Innenminister Thomas
Schäuble nach Informationen der Stuttgarter Zeitung prüfen, welche
rechtlichen Handhabe es gibt, um Haas zu versetzen. Weiter wurde
bekannt, daß der Stuttgarter Polizeichef seinen Posten auf keinen
Fall freiwillig räumen wolle.
Der Fraktionsvorsitzende der Landtags-Grünen, Fritz Kuhn, hat
die anhaltende Kritik an Haas als nicht gerechtfertigt bezeichnet. Nach
allem, was über den Ablauf der Trauerkundgebung der Kurden bekannt
sei, habe der Polizeipräsident so gehandelt, wie es nach Lage der
Dinge und im Rahmen des Ermessens möglich war. Obwohl anderer Auffassung
als Stadt und Land, habe er sich loyal und korrekt verhalten. Kuhn sagte,
er habe den Eindruck, daß es gar nicht um die Frage der Verhältnismäßigkeit
von polizeitaktischen Maßnahme geht, sondern darum, alte Rechnungen
zu begleichen.
Julius Redling, Polizeisprecher der SPD-Fraktion, warnte Innenminister
Schäuble vor unüberlegten Schritten. Der Innenminister und der
OB suchten offenbar nach einem Vorwand, um den erfolgreichen, aber unbequemen
Polizeichef mundtot zu machen.
Die ¸¸Republikaner’’ forderten den Innenminister auf, Haas
endlich aus dem Amt zu entfernen. Er sei zu einer unerträglichen Belastung
für die Qualität und Rechtsstaatlichkeit der Polzeiarbeit gworden.
Der Landesvorsitzende Christian Käs sagte, daß der Fall Haas
zu einem Fall Schäuble zu werden drohe, wenn der Innenminister wieder
nicht die Kraft aufbringe, Haas zu entlassen.
Von Eberhard Renz
Stuttgarter Nachrichten 12.1.99
Stuttgarts Polizei-Chef im politischen Kugelhagel:
Kriminalphilosoph ¸¸P’’ hat sich verrannt Der Druck
wächst: Dem Chef vom Pragsattel droht die Versetzung
Volker Haas gefällt sich seit Jahren in der Rolle des Querdenkers
- Jetzt werden alte Rechnungen fällig Wegen seiner Rolle bei einer
kurdischen Trauerfeier mit dem Leichnam eines PKK-Aktivisten droht dem
Stuttgarter Polizeipräsidenten Volker Haas die Versetzung. Der 61jährige
hat sich einmal zu oft unbeliebt gemacht.
Es ist stets kurz vor sechs, wenn er das Polizeipräsidium auf
dem Pragsattel betritt. Ein Frühaufsteher. Von hier oben, inmitten
von Weinbergen, bietet sich ein schöner Blick über den Talkessel,
während vor der Haustür täglich 110000 Autos über den
Verkehrsknoten rollen. Der ¸¸P’’ wird er hier genannt, und
nach fast zwölfjähriger Dienstzeit kann er sich wie in einer
Trutzburg fühlen. Hier verfaßt er Thesen - über Drogen,
Jugendkriminalität, Menschenführung, den Frieden. Doch
nun tobt ein Krieg, mit dem er längst nicht mehr gerechnet hat. Für
Polizeipräsident Volker Haas ist die Luft hier oben dünn geworden.
VON WOLF-DIETER OBST
Dabei hat er doch nur im Sinne von Toleranz und Respekt handeln wollen,
als er am Dreikönigstag, 5,3 Kilometer nordwestlich vom Präsidium
entfernt, auf einem Parkplatz vor der Justizvollzugsanstalt Stammheim die
Polizeiführung übernahm und eine Trauerfeier mit 2500 Kurden
genehmigen lassen wollte. Am Handy setzte er sich dafür ein, daß
der Sarg eines toten PKK-Aktivisten, von der Polizei auf der Autobahn bei
Hockenheim festgehalten, doch nach Stuttgart transportiert werden dürfe.
Und als Stuttgarts Oberbürgermeister Wolfgang Schuster das Verbot
dann doch nicht aufheben mochte, übte er öffentlich Kritik.
Wenn er geschwiegen hätte, wäre er ein Philosoph geblieben.
In Stuttgart, wo das Rathaus und die Landesregierung noch immer konservativ
geprägt sind, hat man auf eine solche Gelegenheit schon gar nicht
mehr gewartet. Zu viele Jahre schon hat man sich freche Forderungen nach
ärztlicher Heroinabgabe und Fixerstuben anhören müssen,
ohne dem kleinen Mann mit der Fliege wirklich ans Leder zu können.
Doch ausgerechnet jetzt, da solche Forderungen inzwischen auch in der Bundesregierung
längst salonfähig geworden sind, jetzt, da alle politischen Minenfelder
abgebaut zu sein schienen - jetzt plötzlich macht sich der 61jährige
ohne Not angreifbar. Der Mensch Haas hat dem Präsidenten Haas
ein Bein gestellt.
Volker Haas - ein unerschrockener und streitbarer Kämpfer für
soziale Gerechtigkeit und Toleranz, ein Don Quichote, der es auch mit den
Windmühlen des schwarzen Baden-Württemberg aufnimmt?
Vielleicht hat er sich, vier Jahre vor der Pension, in einer solchen
Rolle gesehen. Doch seine Person ist, auch innerhalb der Polizei, nie unumstritten
gewesen. Die einen loben sein Rebellentum der letzten Jahre, vor allem
diejenigen, die kurz vor einer Haushaltssperre im Landesetat noch in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion ihre Beförderungsurkunden erhielten. Andere
litten aber unter einer Charaktereigenschaft, die Haas selbst als Schwäche
bezeichnet: ¸¸Ich bin ein ungeduldiger Mensch.’’
Manche zeihen ihn der Selbstverliebtheit. Die Aufmerksamkeit in den
Medien, die er bundesweit erfährt, das sei die eigentliche Triebfeder
des ¸¸P’’. Nach außen Partnerschaft und Sensibilität
zu predigen, nach innen aber mitunter despotisch aufzutreten - das paßte
nicht zusammen. Gleich zwei Chefs der Schutzpolizei, Günther Rathgeb
und Klaus Ramsaier, gingen verärgert. Nur nach außen wahrten
alle das Gesicht.
Als Haas 1987 seinen Dienst in Stuttgart antrat, war er zwar bereits
Philosoph, aber beileibe nicht ein Rebell. Unter dem damaligen Innenminister
- und Schulfreund - Dietmar Schlee hatte Haas, Sohn eines Rechtsanwalts
aus Schwäbisch Gmünd, Vater einer Tochter, promovierter Jurist,
zuvor Leiter des Freiburger Gefängnisses und sieben Jahre Polizeipräsident
von Karlsruhe, durchaus noch höhere Weihen in Aussicht.
Doch 1991 schlug die Stimmung um. Als die Landesregierung die Personallöcher
immer größer, den Unmut unter den uniformierten Beamten stärker
werden ließ, als sich Tausende Polizisten zu Demonstrationen zusammenfanden,
stellte sich Haas an die Spitze der Bewegung. Die war freilich schon ein
Jahr zuvor in einer Vereinskneipe von Beamten des mittleren Dienstes, ganz
unten, in Gang gebracht worden.
Schulfreunde wurden zu Gegnern. Haas, der 1990 das Parteibuch der CDU
zurückgab, befaßte sich angesichts explodierender Kriminalitätszahlen
immer intensiver mit der Rauschgiftproblematik - und wagte im Oktober 1992
erstmals die Forderung nach einer ärztlichen Heroinabgabe. Schlee
verpaßte ihm 1993 einen Maulkorb. Eine Aktion, aus der Haas gestärkt
hervorging, weil Schlee nach der Landtagswahl vom SPD-Mann Birzele abgelöst
wurde.
Man kann dem Südfrankreich-Fan und Bordeaux-Kenner Haas nicht
gerade vorwerfen, sich keine Gedanken über den Tellerrand hinaus zu
machen. Wenn andere über Ausländerkriminalität schimpfen,
mahnt und mäßigt er, nennt Zahlen, Fakten, Verzerrungsfaktoren.
Seine Thesenpapiere sind bunt und umfassen viele Seiten: ¸¸Gedanken
zur Bewältigung der Alltagserfahrungen des Polizeidienstes’’, lauten
die Titel, oder: ¸¸Gedanken zur Drogenpolitik in zehn Kapiteln’’,
¸¸Sieben Thesen zur Jugendkriminalität’’.
Ja, die Jugendkriminalität. Mit diesem Thema hatte er geschickt
Frieden geschlossen mit OB Wolfgang Schuster. Hatte die Lorbeeren
für die Idee von einem ¸¸Haus des Jugendrechts’’ jenem
Mann überlassen, den er im OB-Wahlkampf 1996 noch so geärgert
hatte. Haas war damals beim grünen Konkurrenten Rezzo Schlauch aufgetreten
und hatte für Fixerstuben geworben. Haas mußte erneut zum Rapport
beim Innenminister, der damals wie heute Thomas Schäuble heißt.
Maulkorb Nummer zwei. Und heute?
Haas durfte sich sicher fühlen. Vor allem nach der Bundestagswahl,
die Rot-Grün an die Regierung brachte, schien es kein gefährliches
Terrain mehr zu geben. Hat er sich daher einfach nur zu sicher gefühlt?
Bei der politisch heiklen Demonstration von 2500 Kurden aus dem ganzen
Bundesgebiet versuchte er als Vermittler und als Menschenfreund aufzutreten.
Unbürokratisch und zupackend. Dabei war er doch schon einmal
getäuscht worden, als er sich 1993 nach einer Polizei-Razzia für
die Wiedereröffnung eines kurdischen Vereinsheims stark machte. Im
späteren Solidaritätszentrum wurden nachweislich erneut Straftaten
verabredet.
Wie lange Haas noch Tag für Tag frühmorgens sein Büro
auf dem Pragsattel aufsuchen wird, ist ungewiß. Sein Anwalt hat bereits
die Parole ausgegeben: ¸¸Die müssen ihn da schon wegschießen.’’
Abwinken allein dürfte dem Stuttgarter Polizeipräsidenten
Volker Haas wenig nutzen. Nach seiner Kritik am Verbot einer Kurden-Demonstration
mit Sarg vor einer Woche droht dem Amtschef und Kriminalphilosophen die
Versetzung.
Fotos: Kern/Kraufmann