Flucht-Alternative bestritten
Türkische Organisation fordert Asylrecht für verfolgte
Kurden
Von Canan Topçu
FRANKFURT A. M., 12. Januar. Kritik an der deutschen Asylpolitik hat
die türkische Rechtsforschungsstiftung Tohav geübt. Die regierungsunabhängige
Organisation, die sich mit den rechtlichen und psychosozialen Problemen
kurdischer Flüchtlinge befaßt, machte darauf aufmerksam, daß
in die Türkei abgeschobene kurdische Asylbewerber der Verfolgung und
Folter ausgesetzt sind.
Selim Okcuoglu vom Tohav forderte die Bundesregierung auf, ihre Asylpolitik
„unter die Lupe zu nehmen“ und auf eine Demokratisierung der Türkei
zu dringen. Der Istanbuler Rechtsanwalt wies in Frankfurt darauf hin, daß
das Argument des türkischen Staates, die kurdische Bevölkerung
sei im Westen des Landes nicht der Verfolgung ausgesetzt, keineswegs zutreffe.
„Die Menschen nehmen es in Kauf, in überfüllten Schiffen die
Flucht zu ergreifen - so sehr fühlen sie sich bedroht.“ Die Türkei
müsse endlich zum „Kurdenproblem“ stehen. Dies sei der erste Schritt
zur friedlichen Lösung des 15 Jahre andauernden Krieges - und bedeute
nicht, dem Seperatismus den Weg zu bahnen, erklärte Okcuoglu.
Die Stiftung, die unter anderem bei Klagen vor dem Europäischen
Gerichtshof Rechtsbeistand gibt, untersucht in einem Forschungsprojekt
die Auswirkungen der Flucht innerhalb der Türkei. „Die Folgen sind
verheerend“, betonte Tohav-Mitarbeiter Mustafa Gündogdu. Der Soziologe
wies darauf hin, daß etwa zwei Millionen Kurden in den vergangenen
15 Jahren ihre Dörfer im Osten verlassen mußten und sich am
Rande der Großstädte angesiedelt hätten. „Der Staat, der
die Dörfer räumte, bot den Menschen keine adäquaten Alternativen.“
Die mangelnde Infrastruktur und medizinische Versorgung in den Slums sowie
der „Kulturschock“ habe massive physische und psychische Auswirkungen.
Nach Tohav-Angaben möchten viele Vertriebene wieder in ihre Dörfer
zurück. Dies müsse ihnen der türkische Staat ermöglichen,
außerdem finanzielle Entschädigungen leisten und sich offiziell
bei den kurdischen Flüchtlingen entschuldigen.