¸¸Keine kurdische Frage, sondern ein Terrorproblem’’
Die Politiker in Ankara tun alles, um der prokurdischen Hadep-Partei
bei ihrer Arbeit Steine in den Weg zu legen
Nach der Verhaftung des PKK-Chefs Öcalan in Italien legt die türkische Regierung gegenüber den Kurden eine härtere Gangart an den Tag. Kurdische Intellektuelle setzen jedoch auf den Dialog mit Ankara.
Von Astrid Frefel, Istanbul
¸¸80 Verhaftete bei der Hadep in den Städten Kagithane,
Bahcelievler und Tekirdag.’’ Zur Zeit vergeht kein Tag ohne Meldungen wie
diese. ¸¸Rund 8000 Mitglieder der prokurdischen Hadep-Partei
sind in den vergangenen Wochen verhaftet worden, etwa 5000 sind noch im
Gefängnis; viele werden gar nicht angeklagt’’, sagt Veli Haydar Gülec.
Der junge Verleger vertritt den Istanbuler Parteivorsitzenden. Dieser
ist gegenwärtig in Haft wie Parteichef Murat Bozlak und fast alle
andern lokalen Hadep-Führungsmitglieder in der ganzen Türkei.
Nach der Festnahme von PKK-Chef Abdullah Öcalan in Rom haben die
höchsten Stellen im Land eine neue Gangart auch gegen die nichtmilitante
Hadep eingeschlagen. Staatspräsident Süleyman Demirel erklärte,
es gebe keine kurdische Frage, sondern nur ein Terrorproblem, und das Militär
ließ verlauten, Unterricht in der Muttersprache und kurdische Fernsehsendungen
könnten nicht gestattet werden, weil sie den Separatismus begünstigen
würden.
Die fast panikartigen Reaktionen im staatlichen Machtzentrum wurde
von regierungseigenen Meinungsumfragen ausgelöst. Diese belegen,
daß die Hadep - vorausgesetzt sie könnte unter normalen Bedingungen
arbeiten - im kurdischen Südosten mit über 60 Prozent der Stimmen
einen eindrücklichen Wahlsieg feiern könnte und auch landesweit
einen Stimmenanteil von acht Prozent hat.
Mit einem solchen Rückhalt in der Bevölkerung käme die
Regierung unter Zugzwang und könnte die Anliegen der kurdischen Minderheit
nicht länger abschmettern. Im Moment wird deshalb alles unternommen,
um einen Hadep-Höhenflug zu verhindern. Die Partei wird in die Nähe
der PKK gerückt und als ¸¸terroristenfreundlich’’ abgestempelt.
Damit wird es auch für andere Gruppierungen unmöglich, Beziehungen
zur Hadep aufrechtzuerhalten oder sie zu unterstützen.
¸¸Wir werden möglichst nur Kandidaten aufstellen,
die keine Berührungspunkte mit der PKK haben, denn 90 Prozent unserer
Bevölkerung will eine friedliche Lösung im Rahmen der bestehenden
Türkei und ohne die PKK’’, skizziert ein kurdischer Geschäftsmann
die Strategie. Die Anerkennung der kurdischen Identität; die Freiheit
aller Ausdrucksformen; die Möglichkeit, die Sprache zu lernen, sowie
die Abschaffung des Ausnahmezustandes, das sind die allgemein anerkannten
Ziele.
Immer wieder läuft die Hadep Gefahr, wie mehrere ihrer Vorgängerparteien
geschlossen zu werden. Repressionen sind für kurdische Politiker aber
nichts Neues. Mehrere Dutzend haben ihr Engagement mit dem Leben bezahlt,
Tausende mit Gefängnis und Folter. ¸¸Aber deshalb werden
wird nicht schweigen’’, betont Gülec.
Zu Wort gemeldet haben sich nun 200 kurdische Intellektuelle, Geschäftsleute
und Mitglieder anderer politischer Gruppierungen. Vor wenigen Tagen haben
sie einen Appell unterzeichnet, indem sie jede Gewalt verurteilen und zu
einem Dialog aufrufen. Sie warnen auch eindringlich vor der Gefahr, die
die gegenwärtig von türkischer Seite geschürte nationalistische
Welle birgt. Diese könnte Feindschaft zwischen zwei Völkern säen,
die seit Jahrhunderten zusammenleben, heißt es in dem Aufruf.
Es gab jedoch kein Echo auf die Initiative dieser Gruppe. ¸¸Wer
immer mit uns sympathisiert, bekommt den Druck der Regierung zu spüren’’,
erklärte Serafettin Elci das Schweigen. In diesen Wochen werde
jede kurdische Aktivität unterdrückt und sogar Volksmusikkonzerte
verboten, weil sie die Armee als politisch einstufe. Elci ist einer der
prominentesten der 200 Unterzeichner und Vorsitzender der kleinen prokurdischen
DPK. Der Advokat aus Cizre gehört zu den moderaten kurdischen Politikern,
der der PKK vorwirft, sie strebe ein Monopol an.
¸¸Erst wenn sich die Türkei von der Angst befreien
kann, sie werde geteilt, wird eine Lösung der Kurdenfrage möglich’’,
sagt Elci. Im Moment sei er pessimistisch und sehe keinen Ansatz für
einen Dialog, erklärt Gülec. Die Türkei sei immer noch ein
Land, wo das Recht des Stärkeren gelte. ¸¸Ich bin stark,
ich habe eine Armee, ich kann ausschalten, wer mir nicht paßt’’,
das sei immer noch das Verständnis in diesem Land.