Stuttgarter Zeitung 13.1.99

Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas muß seinen Posten räumen
Den Mann macht auch kein Maulkorb stumm

Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas wird zwar nicht in die Wüste geschickt, aber er wird in ein Büro im Innenministerium verbannt. Der streitbare Polizeichef hatte sich in knapp zwölf Jahren Amtszeit häufiger unbeliebt gemacht.

Von Eberhard Renz und Klaus Wagner
Bis gestern vormittag hatte alles nach einem großen Showdown ausgesehen. Doch dann endete ein Drama, das am Dreikönigstag mit einer Kurdenkundgebung in Stuttgart-Stammheim begonnen hatte, fast geräuschlos.
Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas wird ins Innenministerium versetzt. Dort soll er Aufgaben übernehmen, die mit seiner bisherigen Tätigkeit nichts zu tun haben.
¸¸Ich habe nichts falsch gemacht. Man hat mich gar nichts falsch machen lassen.’’ Das Fazit von Volker Haas nach den Streitigkeiten wegen seines Verhaltens anläßlich der Trauerkundgebung für den Kurden Barzan Öztürk vor der Justizvollzugsanstalt in Stammheim ist eindeutig.
Das war geschehen. Ein Leichnam sollte zu einer Versammlung gebracht werden. Damit sollte ihm die letzte Ehre erwiesen werden. Haas setzte sich dafür ein, da er sonst Ausschreitungen befürchtete. Sein Oberbürgermeister und das Ministerium lehnten das Ansinnen ab. Haas gehorchte. Doch dann tat er seine - von der seines Dienstherrn abweichende - Haltung öffentlich kund, sprach von mangelnder Toleranz und Respekt. Dies wiederum ließ der Oberbürgermeister der Stadt, Wolfgang Schuster, nicht auf sich sitzen. Haas stelle sich auf die Seite einer kriminellen Vereinigung, wolle einen Sarg herumtragen lassen. Ein Akt, so Schuster, der gegen den guten Geschmack verstoße, der würdelos sei. Und der OB fühlte sich gar an die Nazis erinnert, die sich so ihre ¸¸Märtyrer’’ geschaffen hätten.
Dies wiederum brachte Haas auf die Barrikaden. Er drohte mit Klage wegen Beleidigung und übler Nachrede. Schuster sah seinen Mißgriff ein, schrieb Haas, der akzeptierte. Damit war auch diese Sache erledigt.
Volker Haas war am 10. März 1987 vom Kabinett Späth an die Spitze der Stuttgarter Polizei berufen und zum Nachfolger von Eduard Vermander gemacht worden, der Rektor der Fachhochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen wurde.  Wie Vermander war Haas, damals 49 Jahre alt, zuvor Polizeipräsident in Karlsruhe gewesen. Der Lebensweg des promovierten Juristen: geboren in Schwäbisch Gmünd, aufgewachsen in Riedlingen an der Donau, Abitur, Jura-Studium, Promotion. Er arbeitete als Amtsrichter, bei der Staatsanwaltschaft, war acht Jahre lang Gefängnisdirektor.
Zu seinem Amtsantritt in Stuttgart am 1.Mai 1987 kündigte Haas an, die Polizei stärken zu wollen, den ¸¸Stuttgarter Schutzmann’’ führte er ein. Aus seiner Neigung, sich für die Schwachen einsetzen zu wollen, machte Haas nie einen Hehl.  Nicht zu leugnen waren aber auch eine gewisse Eitelkeit und das Bestreben, in den Medien präsent zu sein: Mal begleitete er Erstkläßler zum Schulbeginn über die Straße, dann belehrte er Temposünder über die Gefahren des Schnellfahrens. Oder er empfing eine Faschingsprinzessin mit Hofstaat. Als agiler, aber auch ungeduldiger Chef wurde der Stuttgarter Polizeipräsident immer wieder beschrieben - ¸¸Haas Dampf in allen Gassen’’.
Am 8.August 1989 wurden die Stuttgarter und ihre Polizeibeamten von einem Ereignis schockiert, das Haas nach eigener Aussage entscheidend prägte: Auf der Gaisburger Brücke ermordete ein Asylbewerber zwei Polizisten und verletzte drei weitere schwer. ¸¸Seither traue ich keinem Tag und keiner Stunde’’, beschrieb Haas vor gut einem Jahr die Nachwirkungen dieses Mordes.
Dann kamen die neunziger Jahre - und mit ihnen all die Themen, die Haas massiven Ärger einbrachten. Zuerst, im Oktober 1991, machte er sich für die Truppe stark. Die Polizisten und ihre Gewerkschaften hatten zuvor bessere Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gefordert, erfuhren nun von Haas und seinem Schutzpolizeichef Günther Rathgeb Unterstützung. Schon dies rief im Innenministerium, dem Dietmar Schlee, ein Schulfreund von Haas, vorstand, mehr als Stirnrunzeln hervor. Nicht zum erstenmal: im Jahr zuvor hatte der Mann, der stets mit randloser Brille und Fliege auftritt, sein CDU-Parteibuch zurückgegeben. Ein Interview mit der Stuttgarter Zeitung am 7.März 1992 provozierte dann erneut:
Haas hatte Rauschmittel-Ersatzstoffe für Drogenabhängige gefordert sowie mehr Rechte für Mediziner bei der Behandlung von Junkies.
Diese aktive Einmischung in die Drogenpolitik, das offene Reden und Fordern gegen die offizielle Linie der Landesregierung, trug Haas den ersten Maulkorb ein - Redeverbot in Sachen Drogen. Dieses wurde Monate später - nach der Landtagswahl - vom neuen Innenminister Frieder Birzele (SPD) wieder aufgehoben. Prompt erhob Haas wieder die Stimme für die ¸¸Drogenkranken’’, wie er immer sagt, und ließ damit nicht nach - in Interviews und Vorträgen. Später forderte er Fixerstuben und Heroin auf Krankenschein - im Einklang übrigens mit dem damaligen OB Manfred Rommel.  Auch das brachte die Drogen-Hardliner im Land auf die Palme. Gleichzeitig aber gingen die Untergebenen des Polizeipräsidenten scharf gegen die Drogenabhängigen vor:
geradezu eine Treibjagd in der Stuttgarter Innenstadt wurde ihnen vorgeworfen. Die Stadtverwaltung entwarf dafür Platzverweise, Sozialarbeiter und kritisch eingestellte Richter protestierten wiederholt.
Das zweite Mal mußte Haas 1996 um seinen Posten fürchten:
Im Stuttgarter OB-Wahlkampf hatte er eine Einladung des Kandidaten der Grünen, Rezzo Schlauch, angenommen und sich mit ihm in der Passage unterm Rotebühlplatz in der Innenstadt öffentlich über Sicherheits- und Drogenfragen unterhalten - mit seinen bekannten Forderungen. Dies trug dem Polizeipräsidenten eine Vorladung ins Innenministerium ein; er verpflichtete sich damals gegenüber Innenminister Thomas Schäuble, künftig zur Drogenpolitik nichts mehr zu sagen.
Sicherlich trug die Veranstaltung im Untergrund auch nicht dazu bei, das Verhältnis zwischen dem dann gewählten CDU-Oberbürgermeister Schuster und Haas zu verbessern   -  auch wenn sich beide in der Zeit danach gemeinsam als Hüter von Sicherheit und Ordnung in der Stadt präsentierten.  Nach 1996 und dem ¸¸Maulkorb II’’ wurde es wieder eine Weile ruhig um Volker Haas.
Mittlerweile hatte er sich von der Drogenpolitik ab- und der Jugendkriminalität und ihren Ursachen zugewandt. Natürlich mit derselben Beharrlichkeit, wie sie ihm zu eigen ist. Und wieder provozierte der Mann mit der Fliege - obwohl er das angeblich nie wollte. Er sprach sich vehement für Sozialarbeit und Lehrstellen und gegen die geplante Senkung des Strafmündigkeitsalters aus. Aber die Ratschläge, die er im Jahr 1998 den Landes- und Bundespolitikern gab, unter anderem bei Kongressen in Weimar und Stuttgart und einer Gastpredigt in der Hospitalkirche, waren nicht wohl gelitten.  Haas aber blieb beharrlich - auch wenn er erst im vergangenen Jahr sagte, ¸¸mein Kopf ist mir zu schade, um mit ihm immer wieder gegen eine Mauer zu rennen’’.
¸¸Haas soll sein Polizeigeschäft machen und nicht philosophieren’’ - diesen Satz hörte man in Stuttgart öfter. Und das eigentliche ¸¸Geschäft’’ lief auch nicht immer reibungslos:
Große Einsätze gingen zwar alle relativ glimpflich aus, auch wenn dabei gelegentlich die Stadt lahmgelegt und Autofahrer in den von der Polizei verursachten Stau verbannt wurden. Zu etlichen seiner Mitarbeiter aber fand Haas dem Vernehmen nach keinen guten Draht: Zwei Chefs der Schutzpolizei schieden im Groll.
Nun muß Haas selbst das Zimmer im vierten Stock am Pragsattel räumen, das Zimmer mit Stehpult und Blick über die Stadt. Seine Einschätzung beim Amtsantritt, er werde 15 Jahre lang bis zur Pension auf seinem Posten bleiben, hat sich nicht erfüllt.



 

Polizeipräsident Haas am Ende

Der Abgang

Vom ¸¸Kampf bis zum letzten Blutstropfen’’ ist die Rede gewesen. Alles vorbei. Volker Haas ist Polizeipräsident von Stuttgart gewesen. Jetzt wird er versetzt, und die Konsequenzen halten sich in Grenzen. Ein regierungsfrommer Nachfolger wird sich finden, und Haas ist als ein dem Ruhestand naher Spitzenbeamter wohlversorgt. Außerdem werden ihm nun Hymnen gesungen, von wahren wie von falschen Freunden. Viele werden den Durchgriff des Innenministers schelten, den Teufel schwarzer Illiberalität an die Wand malen. Doch das ist nur Begleitmusik. Der Stein, über den Haas gestolpert ist, bestand weniger aus rechtswidrigem Verhalten bei der jüngsten Kurdendemonstration. Er bestand darin, daß Haas ein Problem mit der demokratischen Gewaltenteilung hatte. Er war ein vom Staat bestallter Beamter, aber er wollte mehr sein: Politiker oder wenigstens politischer Oberschiedsrichter.  So verstieß er, nie in Taten, aber oft mit Worten, gegen die Trennung von Legislative und Exekutive. Das akzeptiert auf Dauer keine Regierung. Haas wußte das, doch er spielte lustvoll mit dem Feuer.
Seit seinem Amtsantritt begnügte sich dieser Polizeipräsident nicht damit, seine Beamten bei ihrem Einsatz für Recht und Sicherheit zu führen. Er, der Homer auf griechisch zitiert, der im Dienst ein Philosoph war und in der Freizeit französische Weingüter aufspürte, er machte nie einen Hehl daraus, daß er vieles besser zu wissen glaubte als die Regierenden. In Interviews machte er deutlich, wo die politisch Verantwortlichen sachlich und ethisch fehlten: in der Drogenpolitik, beim Umgang mit Ausländern, mit jugendlichen Arbeitslosen und Straftätern. Oft legte er dabei den Finger auf schwärende Wunden. Daß Repression allein keine Drogenkranken heilt, hat sich sogar in Teilen der CDU herumgesprochen. Und daß die Gesellschaft jungen Menschen Arbeit geben muß, um sie vor krimineller Ansteckungsgefahr zu schützen, ist nicht seine Exklusiverkenntnis. Das Verdienst von Haas: er hat solche Themen früh angesprochen und, zumindest an der Seite von Oberbürgermeister Manfred Rommel, für ein liberales Klima in der Stadt gesorgt. Dafür wurde er von den Medien gestreichelt, bundesweit zum Kronzeugen gegen die vermeintlichen Betonköpfe der Rechten ausgerufen.
Die Tragik von Haas war, daß er in der praktischen Polizeiarbeit Ausführender war und nicht eigenverantwortlicher Gestalter. Die Diskrepanz zwischen seinen Worten und den Taten, zu denen er verpflichtet war, irritierte auch seine Truppe. Er forderte den Schutzmann an der Ecke und hatte keine Leute dafür. Er verlangte einen menschlichen Umgang mit Fixern. Doch er mußte den Befehl geben, die Drogenszene quer durch die Stadt zu scheuchen.  Er wandte sich vehement gegen eine Dominanz der Uniformen im Stadtbild. Doch gerade er war gezwungen, zusammen mit dem ehemaligen Bundesinnenminister Kanther den Bundesgrenzschutz zur Verstärkung massenhaft in die Stadt zu holen. Manchmal hat es ihn bei solchen ihm widerstrebenden Aktionen schier zerrissen, manchmal machte er seinem Unmut Luft. Die Folgen sind bekannt: der Maulkorb eines früheren CDU-Innenminsters, ächzende Duldung durch dessen SPD-Nachfolger, Konflikte mit Thomas Schäuble.
Daß jetzt alte Rechnungen beglichen werden, ist klar. Daß das Verhältnis von Haas zur CDU zerrüttet war, ist bekannt. Die Schuld dafür liegt nicht allein bei den Konservativen. Ein zu Neutralität verpflichteter Staatsdiener, der im Oberbürgermeisterwahlkampf öffentlich mit dem grünen Bewerber auftritt und angesichts heftiger Kritik großzügig verkündet, er spreche mit jedem, der ihn einlade, verrät zweierlei: Naivität, gemischt mit an einem ziemlich überheblichen Drang zur Selbstdarstellung. Sein Pech: bei der Kurdendemonstration mußte er, der Zivilist, das Kommando selbst übernehmen. Aus Sorge, samt seinen Beamten Prügel zu beziehen, riet er dem Oberbürgermeister zu rechtlich riskanten Kompromissen. Das war der Tropfen, der das Faß überlaufen ließ. Ironie der Geschichte: der Präsident wollte es angesichts des aus Koblenz anrollenden Kurdensarges seinem Vorbild Manfred Rommel gleichtun, der einst toten RAF-Führern einen Platz auf dem Friedhof eingeräumt hatte.  Haas übersah, daß es diesmal nicht um eine legale Beerdigung toter Terroristen ging, sondern um eine Demonstration zum Teil gewaltbereiter Kurden am Rande der Legalität.
Wohl wahr: über den Anlaß der Degradierung läßt sich trefflich streiten. So ganz überraschend kam sie für Haas aber nicht. Oft hatte er geunkt, daß er wohl beim nächsten kessen Kommentar als staatlicher Saatgut-Sackverwalter nach Aulendorf verbannt werde. Jetzt landet er bloß im Ministerium. Schade um den hochgebildeten Mann. Er hätte rechtzeitig kandidieren, sich in ein Parlament wählen lassen sollen. Aber so sind Schöngeister eben: Das politische Tagesgeschäft wäre ihm ein Greuel gewesen.
Von Martin Hohnecker