Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas muß seinen Posten
räumen
Den Mann macht auch kein Maulkorb stumm
Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas wird zwar nicht in die Wüste geschickt, aber er wird in ein Büro im Innenministerium verbannt. Der streitbare Polizeichef hatte sich in knapp zwölf Jahren Amtszeit häufiger unbeliebt gemacht.
Von Eberhard Renz und Klaus Wagner
Bis gestern vormittag hatte alles nach einem großen Showdown
ausgesehen. Doch dann endete ein Drama, das am Dreikönigstag mit einer
Kurdenkundgebung in Stuttgart-Stammheim begonnen hatte, fast geräuschlos.
Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas wird ins Innenministerium
versetzt. Dort soll er Aufgaben übernehmen, die mit seiner bisherigen
Tätigkeit nichts zu tun haben.
¸¸Ich habe nichts falsch gemacht. Man hat mich gar nichts
falsch machen lassen.’’ Das Fazit von Volker Haas nach den Streitigkeiten
wegen seines Verhaltens anläßlich der Trauerkundgebung für
den Kurden Barzan Öztürk vor der Justizvollzugsanstalt in Stammheim
ist eindeutig.
Das war geschehen. Ein Leichnam sollte zu einer Versammlung gebracht
werden. Damit sollte ihm die letzte Ehre erwiesen werden. Haas setzte sich
dafür ein, da er sonst Ausschreitungen befürchtete. Sein Oberbürgermeister
und das Ministerium lehnten das Ansinnen ab. Haas gehorchte. Doch dann
tat er seine - von der seines Dienstherrn abweichende - Haltung öffentlich
kund, sprach von mangelnder Toleranz und Respekt. Dies wiederum ließ
der Oberbürgermeister der Stadt, Wolfgang Schuster, nicht auf sich
sitzen. Haas stelle sich auf die Seite einer kriminellen Vereinigung, wolle
einen Sarg herumtragen lassen. Ein Akt, so Schuster, der gegen den guten
Geschmack verstoße, der würdelos sei. Und der OB fühlte
sich gar an die Nazis erinnert, die sich so ihre ¸¸Märtyrer’’
geschaffen hätten.
Dies wiederum brachte Haas auf die Barrikaden. Er drohte mit Klage
wegen Beleidigung und übler Nachrede. Schuster sah seinen Mißgriff
ein, schrieb Haas, der akzeptierte. Damit war auch diese Sache erledigt.
Volker Haas war am 10. März 1987 vom Kabinett Späth an die
Spitze der Stuttgarter Polizei berufen und zum Nachfolger von Eduard Vermander
gemacht worden, der Rektor der Fachhochschule der Polizei in Villingen-Schwenningen
wurde. Wie Vermander war Haas, damals 49 Jahre alt, zuvor Polizeipräsident
in Karlsruhe gewesen. Der Lebensweg des promovierten Juristen: geboren
in Schwäbisch Gmünd, aufgewachsen in Riedlingen an der Donau,
Abitur, Jura-Studium, Promotion. Er arbeitete als Amtsrichter, bei der
Staatsanwaltschaft, war acht Jahre lang Gefängnisdirektor.
Zu seinem Amtsantritt in Stuttgart am 1.Mai 1987 kündigte Haas
an, die Polizei stärken zu wollen, den ¸¸Stuttgarter Schutzmann’’
führte er ein. Aus seiner Neigung, sich für die Schwachen einsetzen
zu wollen, machte Haas nie einen Hehl. Nicht zu leugnen waren aber
auch eine gewisse Eitelkeit und das Bestreben, in den Medien präsent
zu sein: Mal begleitete er Erstkläßler zum Schulbeginn über
die Straße, dann belehrte er Temposünder über die Gefahren
des Schnellfahrens. Oder er empfing eine Faschingsprinzessin mit Hofstaat.
Als agiler, aber auch ungeduldiger Chef wurde der Stuttgarter Polizeipräsident
immer wieder beschrieben - ¸¸Haas Dampf in allen Gassen’’.
Am 8.August 1989 wurden die Stuttgarter und ihre Polizeibeamten von
einem Ereignis schockiert, das Haas nach eigener Aussage entscheidend prägte:
Auf der Gaisburger Brücke ermordete ein Asylbewerber zwei Polizisten
und verletzte drei weitere schwer. ¸¸Seither traue ich keinem
Tag und keiner Stunde’’, beschrieb Haas vor gut einem Jahr die Nachwirkungen
dieses Mordes.
Dann kamen die neunziger Jahre - und mit ihnen all die Themen, die
Haas massiven Ärger einbrachten. Zuerst, im Oktober 1991, machte er
sich für die Truppe stark. Die Polizisten und ihre Gewerkschaften
hatten zuvor bessere Ausbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten gefordert,
erfuhren nun von Haas und seinem Schutzpolizeichef Günther Rathgeb
Unterstützung. Schon dies rief im Innenministerium, dem Dietmar Schlee,
ein Schulfreund von Haas, vorstand, mehr als Stirnrunzeln hervor. Nicht
zum erstenmal: im Jahr zuvor hatte der Mann, der stets mit randloser Brille
und Fliege auftritt, sein CDU-Parteibuch zurückgegeben. Ein Interview
mit der Stuttgarter Zeitung am 7.März 1992 provozierte dann erneut:
Haas hatte Rauschmittel-Ersatzstoffe für Drogenabhängige
gefordert sowie mehr Rechte für Mediziner bei der Behandlung von Junkies.
Diese aktive Einmischung in die Drogenpolitik, das offene Reden und
Fordern gegen die offizielle Linie der Landesregierung, trug Haas den ersten
Maulkorb ein - Redeverbot in Sachen Drogen. Dieses wurde Monate später
- nach der Landtagswahl - vom neuen Innenminister Frieder Birzele (SPD)
wieder aufgehoben. Prompt erhob Haas wieder die Stimme für die ¸¸Drogenkranken’’,
wie er immer sagt, und ließ damit nicht nach - in Interviews und
Vorträgen. Später forderte er Fixerstuben und Heroin auf Krankenschein
- im Einklang übrigens mit dem damaligen OB Manfred Rommel.
Auch das brachte die Drogen-Hardliner im Land auf die Palme. Gleichzeitig
aber gingen die Untergebenen des Polizeipräsidenten scharf gegen die
Drogenabhängigen vor:
geradezu eine Treibjagd in der Stuttgarter Innenstadt wurde ihnen vorgeworfen.
Die Stadtverwaltung entwarf dafür Platzverweise, Sozialarbeiter und
kritisch eingestellte Richter protestierten wiederholt.
Das zweite Mal mußte Haas 1996 um seinen Posten fürchten:
Im Stuttgarter OB-Wahlkampf hatte er eine Einladung des Kandidaten
der Grünen, Rezzo Schlauch, angenommen und sich mit ihm in der Passage
unterm Rotebühlplatz in der Innenstadt öffentlich über Sicherheits-
und Drogenfragen unterhalten - mit seinen bekannten Forderungen. Dies trug
dem Polizeipräsidenten eine Vorladung ins Innenministerium ein; er
verpflichtete sich damals gegenüber Innenminister Thomas Schäuble,
künftig zur Drogenpolitik nichts mehr zu sagen.
Sicherlich trug die Veranstaltung im Untergrund auch nicht dazu bei,
das Verhältnis zwischen dem dann gewählten CDU-Oberbürgermeister
Schuster und Haas zu verbessern - auch wenn sich beide
in der Zeit danach gemeinsam als Hüter von Sicherheit und Ordnung
in der Stadt präsentierten. Nach 1996 und dem ¸¸Maulkorb
II’’ wurde es wieder eine Weile ruhig um Volker Haas.
Mittlerweile hatte er sich von der Drogenpolitik ab- und der Jugendkriminalität
und ihren Ursachen zugewandt. Natürlich mit derselben Beharrlichkeit,
wie sie ihm zu eigen ist. Und wieder provozierte der Mann mit der Fliege
- obwohl er das angeblich nie wollte. Er sprach sich vehement für
Sozialarbeit und Lehrstellen und gegen die geplante Senkung des Strafmündigkeitsalters
aus. Aber die Ratschläge, die er im Jahr 1998 den Landes- und Bundespolitikern
gab, unter anderem bei Kongressen in Weimar und Stuttgart und einer Gastpredigt
in der Hospitalkirche, waren nicht wohl gelitten. Haas aber blieb
beharrlich - auch wenn er erst im vergangenen Jahr sagte, ¸¸mein
Kopf ist mir zu schade, um mit ihm immer wieder gegen eine Mauer zu rennen’’.
¸¸Haas soll sein Polizeigeschäft machen und nicht
philosophieren’’ - diesen Satz hörte man in Stuttgart öfter.
Und das eigentliche ¸¸Geschäft’’ lief auch nicht immer
reibungslos:
Große Einsätze gingen zwar alle relativ glimpflich aus,
auch wenn dabei gelegentlich die Stadt lahmgelegt und Autofahrer in den
von der Polizei verursachten Stau verbannt wurden. Zu etlichen seiner Mitarbeiter
aber fand Haas dem Vernehmen nach keinen guten Draht: Zwei Chefs der Schutzpolizei
schieden im Groll.
Nun muß Haas selbst das Zimmer im vierten Stock am Pragsattel
räumen, das Zimmer mit Stehpult und Blick über die Stadt. Seine
Einschätzung beim Amtsantritt, er werde 15 Jahre lang bis zur Pension
auf seinem Posten bleiben, hat sich nicht erfüllt.
Polizeipräsident Haas am Ende
Der Abgang
Vom ¸¸Kampf bis zum letzten Blutstropfen’’ ist die Rede
gewesen. Alles vorbei. Volker Haas ist Polizeipräsident von Stuttgart
gewesen. Jetzt wird er versetzt, und die Konsequenzen halten sich in Grenzen.
Ein regierungsfrommer Nachfolger wird sich finden, und Haas ist als ein
dem Ruhestand naher Spitzenbeamter wohlversorgt. Außerdem werden
ihm nun Hymnen gesungen, von wahren wie von falschen Freunden. Viele werden
den Durchgriff des Innenministers schelten, den Teufel schwarzer Illiberalität
an die Wand malen. Doch das ist nur Begleitmusik. Der Stein, über
den Haas gestolpert ist, bestand weniger aus rechtswidrigem Verhalten bei
der jüngsten Kurdendemonstration. Er bestand darin, daß Haas
ein Problem mit der demokratischen Gewaltenteilung hatte. Er war ein vom
Staat bestallter Beamter, aber er wollte mehr sein: Politiker oder wenigstens
politischer Oberschiedsrichter. So verstieß er, nie in Taten,
aber oft mit Worten, gegen die Trennung von Legislative und Exekutive.
Das akzeptiert auf Dauer keine Regierung. Haas wußte das, doch er
spielte lustvoll mit dem Feuer.
Seit seinem Amtsantritt begnügte sich dieser Polizeipräsident
nicht damit, seine Beamten bei ihrem Einsatz für Recht und Sicherheit
zu führen. Er, der Homer auf griechisch zitiert, der im Dienst ein
Philosoph war und in der Freizeit französische Weingüter aufspürte,
er machte nie einen Hehl daraus, daß er vieles besser zu wissen glaubte
als die Regierenden. In Interviews machte er deutlich, wo die politisch
Verantwortlichen sachlich und ethisch fehlten: in der Drogenpolitik, beim
Umgang mit Ausländern, mit jugendlichen Arbeitslosen und Straftätern.
Oft legte er dabei den Finger auf schwärende Wunden. Daß Repression
allein keine Drogenkranken heilt, hat sich sogar in Teilen der CDU herumgesprochen.
Und daß die Gesellschaft jungen Menschen Arbeit geben muß,
um sie vor krimineller Ansteckungsgefahr zu schützen, ist nicht seine
Exklusiverkenntnis. Das Verdienst von Haas: er hat solche Themen früh
angesprochen und, zumindest an der Seite von Oberbürgermeister Manfred
Rommel, für ein liberales Klima in der Stadt gesorgt. Dafür wurde
er von den Medien gestreichelt, bundesweit zum Kronzeugen gegen die vermeintlichen
Betonköpfe der Rechten ausgerufen.
Die Tragik von Haas war, daß er in der praktischen Polizeiarbeit
Ausführender war und nicht eigenverantwortlicher Gestalter. Die Diskrepanz
zwischen seinen Worten und den Taten, zu denen er verpflichtet war, irritierte
auch seine Truppe. Er forderte den Schutzmann an der Ecke und hatte keine
Leute dafür. Er verlangte einen menschlichen Umgang mit Fixern. Doch
er mußte den Befehl geben, die Drogenszene quer durch die Stadt zu
scheuchen. Er wandte sich vehement gegen eine Dominanz der Uniformen
im Stadtbild. Doch gerade er war gezwungen, zusammen mit dem ehemaligen
Bundesinnenminister Kanther den Bundesgrenzschutz zur Verstärkung
massenhaft in die Stadt zu holen. Manchmal hat es ihn bei solchen ihm widerstrebenden
Aktionen schier zerrissen, manchmal machte er seinem Unmut Luft. Die Folgen
sind bekannt: der Maulkorb eines früheren CDU-Innenminsters, ächzende
Duldung durch dessen SPD-Nachfolger, Konflikte mit Thomas Schäuble.
Daß jetzt alte Rechnungen beglichen werden, ist klar. Daß
das Verhältnis von Haas zur CDU zerrüttet war, ist bekannt. Die
Schuld dafür liegt nicht allein bei den Konservativen. Ein zu Neutralität
verpflichteter Staatsdiener, der im Oberbürgermeisterwahlkampf öffentlich
mit dem grünen Bewerber auftritt und angesichts heftiger Kritik großzügig
verkündet, er spreche mit jedem, der ihn einlade, verrät zweierlei:
Naivität, gemischt mit an einem ziemlich überheblichen Drang
zur Selbstdarstellung. Sein Pech: bei der Kurdendemonstration mußte
er, der Zivilist, das Kommando selbst übernehmen. Aus Sorge, samt
seinen Beamten Prügel zu beziehen, riet er dem Oberbürgermeister
zu rechtlich riskanten Kompromissen. Das war der Tropfen, der das Faß
überlaufen ließ. Ironie der Geschichte: der Präsident wollte
es angesichts des aus Koblenz anrollenden Kurdensarges seinem Vorbild Manfred
Rommel gleichtun, der einst toten RAF-Führern einen Platz auf dem
Friedhof eingeräumt hatte. Haas übersah, daß es diesmal
nicht um eine legale Beerdigung toter Terroristen ging, sondern um eine
Demonstration zum Teil gewaltbereiter Kurden am Rande der Legalität.
Wohl wahr: über den Anlaß der Degradierung läßt
sich trefflich streiten. So ganz überraschend kam sie für Haas
aber nicht. Oft hatte er geunkt, daß er wohl beim nächsten kessen
Kommentar als staatlicher Saatgut-Sackverwalter nach Aulendorf verbannt
werde. Jetzt landet er bloß im Ministerium. Schade um den hochgebildeten
Mann. Er hätte rechtzeitig kandidieren, sich in ein Parlament wählen
lassen sollen. Aber so sind Schöngeister eben: Das politische Tagesgeschäft
wäre ihm ein Greuel gewesen.
Von Martin Hohnecker