Teilfortschritte der Türkei im Europarat
Wesentliche Verpflichtungen nach wie vor unerfüllt
Drei Jahre nach der Eröffnung eines Verfahrens zur Überprüfung
der Mitgliedschaftsverpflichtungen der Türkei im Europarat hat die
Parlamentarische Versammlung einen Zwischenbericht beraten. Trotz einigen
Anstrengungen Ankaras hat sich an den grundlegenden demokratischen Defiziten
und bei den Menschenrechtsverletzungen kaum etwas geändert.
uth. Strassburg, 26. Januar
Die seit 1949 dem Europarat angehörende Türkei ist auch nach 50 Jahren nicht in der Lage, wesentliche Voraussetzungen für die Mitgliedschaft in der 40 Staaten umfassenden Organisation zu erfüllen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Zwischenbericht des Kontrollausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates über die Einhaltung der Verpflichtungen, die der Türkei durch die Mitgliedschaft erwachsen. Als besonders besorgniserregend werden die praktizierte Folter und inhumane Behandlung Festgenommener durch Militär und Polizei, die Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit, das Verbot von Parteien, der seit zwölf Jahren aufrechterhaltene Ausnahmezustand in zahlreichen Provinzen mit kurdischer Bevölkerung und die Rolle der praktisch keiner zivilen Kontrolle unterliegenden Armee im Staat genannt.
Spätes Monitoring
In dem Zwischenbericht befasst sich der Europarat zum 30. Mal seit
1980 mit der Türkei; er wurde der Parlamentarischen Versammlung erst
drei Jahre nach Eröffnung des Kontrollverfahrens vorgelegt und erst,
nachdem innerhalb des Europarats und in der Öffentlichkeit deutliche
Kritik an der Ungleichbehandlung der Türkei gegenüber zentral-
und osteuropäischen Ländern laut geworden war. Der Europarat
hatte den Kontrollmechanismus geschaffen, um den früheren kommunistischen
Staaten eine möglichst schnelle Eingliederung in die Strassburger
Staatenorganisation zur Festigung der Demokratie und Durchsetzung der Menschenrechte
zu ermöglichen. Da diese postkommunistischen Staaten bei der Aufnahme
nicht alle Mitgliedsvoraussetzungen erfüllen konnten, erhielten sie
konkrete Auflagen, verbunden mit einem Zeitplan zur Verwirklichung von
Reformen. Um die Einhaltung dieser Verpflichtungen zu überwachen,
wurde ein Kontrollverfahren entwickelt, aus dem bisher nur Estland, Litauen,
die Tschechische Republik und mit einigen weiteren Auflagen auch Rumänien
offiziell entlassen wurden.
Mit dem Argument der Gleichbehandlung wurde ein Verfahren gegen ein
Altmitglied, die Türkei, eröffnet. Doch der Europarat tut sich
schwer mit der Kontrolle gegenüber grossen Mitgliedstaaten von erheblicher
politischer und strategischer Bedeutung. So konnte ein Bericht über
Russland im vergangenen Jahr erst auf die Tagesordnung kommen, nachdem
die Berichterstatter ihn als Zwischenbericht umbenannt hatten und weil
sie auf die Verabschiedung einer Entschliessung mit konkreten Forderungen
verzichteten. Im Fall der Türkei nutzten die Berichterstatter, der
Sozialist Barsony aus Ungarn und der Christlichdemokrat Schwimmer aus Österreich,
das Beispiel Russland, um von vornherein keine Entschliessung vorzusehen.
Eine solche wäre zwangsläufig auf eine erneute Verurteilung der
Türkei wegen mangelnder demokratischer Reife und systematischer Menschenrechtsverletzungen
hinausgelaufen.
Im Gegenteil, indem die Berichterstatter über zwei von insgesamt
knapp neun Seiten ausführlich auf die in den letzten Jahren unternommenen
Fortschritte eingehen, wird die von ihnen verfolgte Strategie deutlich,
die Türkei durch einen ständigen Dialog und durch Zusammenarbeit
zu inneren Reformen zu bewegen, anstatt durch Androhungen von Sanktionen
als Folge der Nichterfüllung der Verpflichtungen eine Konfrontation
heraufzubeschwören.
Strategie des Dialogs
Diese Strategie bleibt nicht ohne krasse Widersprüche: Nach Aufzählung
der einzelnen Reformgesetze kommen die Berichterstatter zu dem Schluss,
dass die Türkei ohne jeden Zweifel eine Demokratie sei. Wenig später
räumen sie aber ein, dass die Gesetze offenbar nicht vollständig
in die Praxis umgesetzt werden. Auch die Presse- und die Meinungsfreiheit,
als Voraussetzung für das Funktionieren einer Demokratie, würden
durch das Antiterrorismusgesetz unterlaufen, wie die Verfolgung und Verurteilung
von Journalisten und gewählten Abgeordneten auch in jüngster
Vergangenheit zeige. Das Mehrparteiensystem als wesentliches Merkmal einer
Demokratie werde durch die Verbote bestimmter Parteien eingeschränkt.
Und die Armee als nahezu autonomer Staat im Staat ohne politische Kontrolle
erscheint ebenfalls nicht mit den Spielregeln der Demokratie vereinbar.
Breiten Raum nimmt die Darstellung des Vorgehens der türkischen
Sicherheitskräfte in den von Kurden bewohnten Landesteilen ein. Dort
wurden zahlreiche Dörfer niedergebrannt und die Bevölkerung vertrieben.
Besonders das System der Dorfwächter, in das die Armee mehr als 50
000 Kurden gezwungen hat, um gegen die PKK zu kämpfen, wird in dem
Bericht kritisiert, nachdem schon der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte Ankara in zwei Fällen deswegen verurteilt hat.