Rot-grüne Panzerlieferungen an Türkei?
junge Welt sprach mit Otfried Nassauer
(Otfried Nassauer ist Friedensforscher und Leiter des »Berliner
Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit« (BITS))
F: Mitte Januar wurde eine Voranfrage der deutschen Industrie zu einer
geplanten Panzerlieferung an die Türkei im Bundessicherheitsrat beraten
und eine Entscheidung vertagt. Ist diese Frage ein Sprengsatz für
die rot-grüne Regierungskoalition?
Das ist ein Sprengsatz vor allem für die SPD, die sich in den
vergangenen Jahren - als Opposition - vehement gegen Rüstungslieferungen
an die Türkei ausgesprochen hatte. Es geht um 200 Transportpanzer,
die exportiert werden sollen, sowie um 1800 weitere, die in der Türkei
in Lizenz gefertigt werden sollen, das heißt, es geht um ein Milliardengeschäft.
Für die regierende Volkspartei SPD ist das ein echtes Problem. In
ihren Reihen gibt es nicht nur die in Oppositionszeiten wohlgelittenen
Rüstungsexportkritiker, sondern auch handfeste Interessenvertreter:
Aus den Gewerkschaften und aus der Industrie. Für sie geht es
um Arbeitsplätze und ums Geschäft. Sie denken an die kommenden
Probleme bei der Umstrukturierung der deutschen Heeresrüstungsindustrie.
Da bezieht sich keiner aufs »Vater unser« und sagt »und
führe mich nicht in Versuchung«. Und der Koalitionsvertrag zwischen
SPD und Grünen hat für sie sicher einen geringeren Stellenwert
als das »Vaterunser«. Man darf gespannt sein, wer sich durchsetzt.
Die Interessenvertreter oder Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul und
die Kritiker solcher Exporte. Übrigens: Die Grünen haben es da
einfacher. Zur Zeit sind sie weder Volks- noch Wirtschaftspartei.
F: Warum gab es überhaupt ein Voranfrage, war das ein Testballon?
Das kann ein Testballon für eine ganze Reihe von Fragen gewesen
sein. Es gibt keine wirkliche Notwendigkeit, eine solche Entscheidung jetzt
zu treffen bzw. zu suchen. Aber Voranfragen für Rüstungsexporte
werden oft Jahre vor Abschluß des eigentlichen Vertrages gestellt.
Sie sollen grundsätzlich klären, ob mit politischem Widerstand
zu rechnen wäre. Die Anbahnung eines Milliardengeschäftes kostet
ja nicht nur viel Zeit, sondern auch viel Geld - vor allem in Staaten,
in denen Geschenke und Bestechungen üblich sind. Hinzu kommt in diesem
Fall, daß das Vorhaben in der Türkei noch nicht einmal auf der
Prioritätenliste für militärische Neuanschaffungen steht
und deshalb erst einmal dorthin bugsiert werden müßte. Das ist
aus Sicht einer interessierten Firma sicher schon Grund genug, rechtzeitig
das politische Umfeld zu prüfen. Trotzdem kommen zwei mögliche
Motive noch hinzu: Zum einen lohnt die Anfrage, gerade bei einem so großen
Geschäft, wenn getestet werden soll, ob Rot-Grün wirklich prinzipientreu
ist und die Aussagen des Koalitionsvertrages ernst meint. Zum anderen könnte
es darum gehen, auszutesten, wie die Bundesregierung reagiert, wenn deutsche
Rüstungsbetriebe größere Produktionskapazitäten außerhalb
der EU schaffen, an Orten, an denen es kaum Exportbeschränkungen gibt.
F: Zu Oppositionszeiten wurde die alte Bundesregierung wegen ihrer
Rüstungsexportpolitik von den heutigen Regierungsparteien mitunter
heftig kritisiert. Steht unter der geäußerten Losung »Kontinuität
in der Außenpolitik« ein Schwenk in Richtung Kohl, Kinkel,
Rühe bevor?
Es besteht die Gefahr eines Schwenks in Richtung Rheinmetall, DaimlerChryssler,
Blohm&Voss usw. Wenn die in den Gewerkschaften organisierte Arbeitnehmerschaft,
die Industrie und deren Lobbyisten innerhalb und außerhalb der SPD-Fraktion
gemeinsam Druck ausüben, dann wird sich zeigen, was die Einigungen
im Koalitionsvertrag wert sind. Die Rüstungskonzerne sind da in der
Wahl ihrer Mittel auch nicht zimperlicher als die Atomkraftwerksbetreiber.
F: Der im Koalitionsvertrag zu findende Satz: »Der nationale
deutsche Rüstungsexport außerhalb der NATO und der EU wird resktriktiv
gehandhabt« berühre die Türkei nicht, weil das Land in
der NATO sei: Gilt deshalb hier diese im Koalitionsvertrag getroffene Festlegungen
nicht?
Der nächste Satz in den Koalitionsvereinbarungen lautet dann aber:
»Bei Rüstungsexportentscheidungen wird der Menschenrechtsstatus
möglicher Empfängerländer als zusätzliches Entscheidungskriterium
eingeführt«. Ich sehe nicht, daß in diesem Satz für
NATO- oder EU-Länder eine Ausnahmeregel vereinbart wurde. Wer, wenn
nicht die Mitglieder der Wertegemeinscahft NATO, sollte an diesem Kriterium
gemessen werden?
F: Auch die alte Bundesregierung hat von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik
gesprochen. Was würde restriktiv in der Praxis heißen, welche
geplanten Exporte wären ganz konkret von einer ernsthaften Umsetzung
dieser Absicht betroffen?
Die neue Bundesregierung hat noch keine über den Koalitionsvertrag
hinausgehende Formulierung ihrer Rüstungsexportpolitik vorgenommen.
Dies soll im Bundessicherheitsrat geschehen. Man darf gespannt sein, wie
restriktiv die Regierung das Wort »restriktiv« auslegt.
Und wir dürfen gespannt sein, wie sie die Handhabung gestaltet.
Auch in der Vergangenheit waren die Gesetze in der Bundesrepublik nicht
die Schlechtesten. Nur bei der Umsetzung haperte es immer wieder.
Interview: Thomas W. Klein