Exilparlament
Das kurdische Exilparlament konstituierte sich im April 1995 in den
Niederlanden. Es versteht sich als Vertretung nicht nur der in der Türkei
lebenden, sondern aller Kurden weltweit.
Die 65 Abgeordneten wurden von Kurden in den GUS-Staaten, Nordamerika
und Australien gewählt und vertreten insgesamt zwölf Gruppierungen.
Die prokurdische Partei DEP und die Nationale Befreiungsfront Kurdistans
(ERNK), politischer Arm der PKK, geben im Exilparlament den Ton an. Beide
sind in der Türkei verboten.
Madrid will Kurden-Parlament fernhalten
Autonomes Baskenland räumt Exilpolitikern trotz Protesten aus
der Türkei Gastrecht ein
Von Hinnerk Berlekamp
MADRID/BERLIN, 10. Februar. „Mit allen Mitteln“ will die spanische
Regierung verhindern, daß das kurdische Exilparlament wie geplant
im Juli im autonomen spanischen Baskenland zusammentreten kann. Die geplante
Tagung sei ein „Propaganda-Akt einer terroristischen Gruppe“, sagte Innenminister
Jaime Mayor Oreja am Mittwoch in Madrid unter Anspielung auf die separatistische
Kurdische Arbeiterpartei (PKK), die über ihren politischen Arm in
dem Gremium vertreten ist. Der konservative Politiker pflichtete damit
dem türkischen Premier Bülent Ecevit bei, der am Vortag erklärt
hatte, die Tagung des Exilparlamentes werde „dem kurdischen Terrorismus
Flügel verleihen“.
Das Präsidium des baskischen Autonomie-Parlamentes in Vitoria
hatte am Dienstag mit drei gegen zwei Stimmen der Bitte der kurdischen
Exilpolitiker entsprochen, ihnen Räume zur Verfügung zu stellen.
Die drei nationalistischen Regionalparteien stimmten für den Antrag,
die Vertreter der in Madrid regierenden Konservativen sowie der oppositionellen
Sozialisten votierten dagegen. Für die Sozialisten bekundete der Abgeordnete
Manuel Huertas die „Solidarität mit den gerechten Bestrebungen des
kurdischen Volkes“, die aber nicht dazu führen dürfe, die spanische
Außenpolitik zu belasten. Frühere Tagungen des Exilparlaments
in den Niederlanden, Rußland und zuletzt im September 1998 in Italien
hatten regelmäßig zu schweren Verstimmungen zwischen der Türkei
und den Gastgeberländern geführt.
Die in Vitoria regierende Baskische Nationalpartei (PNV) erklärte
am Mittwoch, sie werde dem Druck aus Madrid und Ankara nicht nachgeben.
Die Türkei sei kein demokratischer Staat, sondern ein „vom Militär
gelenktes Unterdrückungsregime“. Die Anwendung von bewaffneter Gewalt
durch die PKK rechtfertigten die baskischen Nationalisten als „letztes
Mittel, um der Vollendung des Völkermordes an den Kurden zuvorzukommen“.
Unter den baskischen Nationalisten genießen kurdische Organisationen
traditionell große Sympathie. Besonders das radikale Wahlbündnis
Euskal Herritarrok (EH), das der Untergrundbewegung ETA nahesteht und die
PNV-geführte Minderheitsregierung in Vitoria toleriert, zieht Parallelen
zwischen der Situation der Basken und der Kurden, da es sich bei beiden
um Völker handle, denen ein eigener Staat verwehrt werde.
Überhaupt kein Verständnis für die Entscheidung, das
kurdische Exilparlament aufzunehmen, zeigte der baskische Unternehmerverband.
Er verwies darauf, daß die Türkei zu den wichtigsten neuerschlossenen
Märkten für die Industrie des Baskenlandes gehöre. Dieser
Erfolg sei nun akut bedroht.
Spanischer Konsens zum Baskenproblem
Treffen zwischen Aznar und Borrell
Der spanische Regierungschef Aznar hat erstmals den sozialistischen Präsidentschaftskandidaten Borrell empfangen, um das Ausmass an Übereinstimmungen in wichtigen nationalen Belangen auszuloten. Die zwei grossen Parteien des Landes bemühen sich um einen Konsens in der Baskenfrage und zum europäischen Kohäsionsfonds.
Mr. Madrid, 10. Februar
Der vor neu Monaten überraschend zum Spitzenkandidaten seiner
Partei gekürte frühere sozialistische Minister Borrell ist am
Dienstag abend erstmals in seiner neuen Funktion mit dem konservativen
Regierungschef Aznar zusammengetroffen. Treffen zwischen den beiden grossen
Parteien, die zusammen praktisch drei Viertel der Wählerstimmen auf
sich vereinigen, gehören zur Praxis der jungen spanischen Demokratie.
In Absprache mit dem Regierungschef und dem Oppositionsführer wird
dabei in unregelmässigen Abständen abgeklärt, wieweit in
den wichtigsten nationalen Problemen ein Konsens möglich ist, weil
im Parlament solche grundsätzlichen Fragen nicht geklärt werden
können. Borrell hat sich vor kurzem innerhalb seiner eigenen Partei
gegen Generalsekretär Almunia als neuer Gegenpart von Aznar durchsetzen
müssen, mit der logischen Begründung, dass er als Spitzenkandidat
gegen Aznar antreten muss. Die Zusammenkunft in der Moncloa, dem Sitz der
Madrider Regierung, dauerte fast drei Stunden und verlief relativ harmonisch,
da Aznar glauben darf, dass der Sozialist ohnehin verlieren wird, und Borrell
nach einem ersten Misserfolg im Parlament auf die zweite Konfrontation
mit Aznar lange warten musste. Für die Sozialisten ist es schwierig,
die Grenze zwischen gemeinsamer staatsmännischer Verantwortung und
notwendiger Opposition abzustecken.
Ein weitgehendes Einvernehmen herrscht zwischen den beiden Parteien
zum Problem des Friedensprozesses im Baskenland. Beide lehnen es ab, die
Terroristenorganisation ETA für ihren Waffenstillstand mit politischen
Konzessionen zu belohnen. Mit ihrer Betonung der geltenden Verfassung schliessen
sie sich gegenseitig aber in einen gewissen Immobilismus ein, obwohl sowohl
Aznar als auch Borrell betonten, dass sie keine antinationalistische Front
gegen die Baskenparteien bilden wollen. Borrell warf Aznar einmal mehr
vor, mit der immer mehr zum Extremismus der ETA-Anhänger neigenden
baskischen Regierungspartei PNV zu paktieren, auf deren Stimmen die konservative
Minderheitsregierung in Madrid angewiesen ist, damit aber die Initiative
zu verlieren droht. Aznar lehnte dagegen eine von Borrell vorgeschlagene
Parlamentsdebatte über das Baskenproblem ab, weil er zwar die Sozialisten
konsultieren, aber letztlich allein über neue Schritte im Baskenland
entscheiden will, falls die ETA die Bedingungen der Regierung erfüllt.
Ein ähnliches Unentschieden besteht beim Kohäsionsfonds der
Europäischen Union, den Borrell vor kurzem noch beim Parteifreund
Schröder in Bonn verteidigt hat, wofür ihm Aznar dankte. Beide
Parteien setzen sich für den seinerzeit vom sozialistischen Ministerpräsidenten
González inspirierten Fonds ein, wissen aber, dass Spanien bald
einmal Abstriche machen muss, und werfen sich deshalb gegenseitig falsches
Taktieren vor.
Aznar schloss einen Bruch mit dem PNV aus, kritisierte vor Borrell
aber die Unverantwortlichkeit der baskischen Nationalisten, die dem sogenannten
kurdischen Exilparlament im Juli im Regionalparlament von Vitoria Gastrecht
gewähren wollen. Die nationalistischen Basken sind der Meinung, dass
die Kurden von der türkischen Regierung so unterdrückt würden
wie sie selber von der spanischen. Das Aussenministerium in Madrid hat
am Mittwoch nochmals erklärt, dass alle legalen Möglichkeiten
ausgenützt würden, um die Einreise von Kurden, die mit einer
terroristischen Organisation zu tun hätten - mit der Kurdischen Arbeiterpartei
(PPK) von Öcalan -, zu verbieten. Der türkische Botschafter in
Madrid hat bereits alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das Treffen zu verhindern.
Die spanische Regierung fürchtet, dass die guten wirtschaftlichen
Beziehungen zur Türkei auf dem Spiel stehen. Spanien ist ein wichtiger
Waffenlieferant der Türkei und exportiert zweimal mehr in dieses Land,
als es von dort importiert.
Baskische Parteien heißen Exilkurden willkommen
Türkei wütend: Kurdisches Exilparlament wird in der baskischen
Hauptstadt tagen
Madrid (taz) - Die baskischen Unternehmer fürchten um ihr Türkeigeschäft.
Der Grund: Das Präsidium des Autonomieparlaments in Vitoria überläßt
im Juli seinen Sitzungsaal dem sogenannten kurdischen Exilparlament. Der
Beschluß zugunsten der 1995 von der PKK und ihr nahestehenden Organisationen
gegründeten Institution fiel am Dienstag nachmittag mit den Stimmen
der im spanischen Norden regierenden Baskisch-Nationalistischen Partei
(PNV) und der Baskischen Solidarität (EA). „Ein populärer Akt,
ohne an die schwerwiegenden wirtschaftlichen Auswirkungen zu denken“, beschwert
sich der Sprecher des baskischen Unternehmerverbandes (Confebask), Enrique
Portocarrero. Er befürchtet, daß der Beschluß, mit dem
die baskischen Nationalisten ihren Anspruch auf mehr Eigenständigkeit
von Spanien unterstreichen wollen, einen türkischen Handelsboykott
provozieren könnte.
Die ersten Reaktionen des türkischen Regierungschefs Bülent
Ecevit ließen nicht lange auf sich warten: „Das Treffen wird dem
kurdischen Terrorismus Flügel verleihen“ und könne „die türkisch-spanische
Freundschaft erheblich gefährden“.
Auf einer für Juni geplanten spanischen Industriemesse in der
Türkei wird die Hälfte der Aussteller aus dem Baskenland kommen.
Die Industrie der Region exportierte im vergangenen Jahr für 135 Millionen
Mark Waren in die Türkei, knapp zehn Prozent des gesamtspanischen
Warenvolumens Richtung Bosporus.
Einige baskische Unternehmen leben auch direkt vom türkisch-kurdischen
Konflikt: Sie verkauften 1988 für 3,3 Millionen Mark Waffen und Munition
an die türkische Armee.
Reiner Wandler