Türkische Linke will ins Parlament
Die Freiheits- und Solidaritätspartei will die Einheit der
Linken verwirklichen. Doch noch fehlt es ihr an eindeutigem Profil. Vorbild
sind die deutschen Grünen
Aus Istanbul Jürgen Gottschlich
Hände weg vom Irak!“ - „Stoppt die US-Angriffe!“ Die Menge ist
begeistert, eine US-Fahne wird angezündet. Dann setzt der Lautsprecherwagen
sich Richtung US-Botschaft in Bewegung. Die Demonstration endet vor der
Polizeikette, bis zur Botschaft ist kein Durchkommen. Trotzdem war die
Aktion ein voller Erfolg. Am Abend flimmert die Kundgebung über alle
Fernsehsender, die Veranstalter von der linken ÖDP sind wieder ein
wenig bekannter geworden.
In der Türkei hat der Wahlkampf begonnen, und das erste Mal seit
ihrer Gründung wird die ÖDP, eine linke Sammlungsbewegung, die
auch mit den deutschen Grünen in deren Gründungsphase verglichen
wird, bei nationalen Wahlen antreten. „Wir wollen“, sagt Saruhan Oluc,
einer der Wortführer der Partei, „an die parlamentarischen Erfolge
der türkischen Arbeiter Partei (TIP) in den 60er Jahren anknüpfen.
Das war das einzige Mal, daß die Linke im Parlament vertreten war.“
Doch im Unterschied zu den 60er Jahren, wo die TIP mit 3,5 Prozent
der Stimmen ins Parlament kam, gilt jetzt eine 10-Prozent-Hürde. Diese
abzuschaffen oder zumindest zu senken, ist für die ÖDP eines
der wichtigsten Ziele. „Wir werden den Sprung jetzt sicher nicht schaffen“,
gibt Oluc unumwunden zu. „Aber drei Prozent können wir auch erreichen,
und bei den Kommunalwahlen haben wir in einigen Städten gute Chancen,
den Bürgermeister zu stellen.“
Die ÖDP wurde im Frühjahr 1996 gegründet, hat rund 30.000
Mitglieder und erreichte bei den Kommunalwahlen im Juni 1996 aus dem Stand
landesweit rund zwei Prozent. Übersetzt bedeutet ÖDP „Freiheits-
und Solidaritätspartei“, ihre Gründer gaben zu Beginn die Parole
aus:
Liebe und Revolution. „Die Partei“, sagt ihr Vorsitzender Ufuk Uras
heute, will „die Einheit der Linken und eine Solidaritätskultur gegen
den Neoliberalismus.“
Die ÖDP kommt zum großen Teil aus linken Gruppen der 70er
Jahre. Hauptkritikpunkt an der ÖDP ist deshalb, daß die
Partei nichts anderes ist als eine Addition von Dev Yol, Dev Sol, Kurtulus
und anderen, die nur unter neuem Namen antreten beziehungsweise die ÖDP
nutzen.
Kerem Caliskan, stellvertretender Chefredakteur der liberalen Zeitung
Yeni Yüzyil und selber ein ehemaliger Linker, wirft der ÖDP vor,
dem Propagandadiskurs der 70er Jahre verhaftet zu sein und dieselben Parolen
unablässig zu wiederholen. „Deshalb“, sagt Caliskan, „kann man die
ÖDP auch nicht mit den deutschen Grünen vergleichen.“ Die türkische
Linke habe den Lernprozeß, den die deutschen Grünen in den 80er
Jahren gemacht haben, verpaßt. Privatinitiative im Wirtschaftsleben
sei für die ÖDP immer noch des Teufels. „Man kann aber heute
nicht nur mit den Themen Menschrechte und Kurden Politik machen.“
Nahil Satligan, marxistischer Wirtschaftswissenschaftler an der Universität
von Istanbul, vermißt dagegen genau das, was Caliskan beklagt: „Die
ÖDP bezieht sich zwar in ihrem Gründungsprogramm auf den Sozialismus,
tatsächlich hat die Partei sich davon aber längst verabschiedet.
Die ÖDP ist eine Demokratiepartei, eine Antikorruptionspartei, vielleicht
eine liberale, aber keine sozialistische Partei.“
Tatsächlich sind bei der ÖDP um den linken Kern noch einige
großstädtische Intellektuelle und Umweltbewegte gelandet, aber
die wichtigste Zielgruppe sind die Unterprivilegierten. Im Wahlkampf wollen
sie der islamischen Tugendpartei in den Slumgebieten der Großstädte
Konkurrenz machen. Parteichef Uras sieht gerade dort große Möglichkeiten:
„Unsere Zielgruppe sind die 45 Prozent unentschiedenen Wähler.“
Um die 10-Prozent-Hürde leichter überwinden zu können,
haben ÖDP, die kurdische HADEP, die maoistische EMEP und die alewitische
Baris-(Friedens-) Partei über eine Kooperation oder Regenbogenkoalition
diskutiert. Doch die für die Stimmenmaximierung entscheidende Kooperation
zwischen HADEP und ÖDP ist vor wenigen Tagen endgültig gescheitert.
Oluc führt das auf die desolate Lage der HADEP nach dem Verbotsantrag
zurück. „Wir werden unsere Listen jetzt für unabhängige
Kandidaten aus dem Gewerkschafts- und Umweltspektrum öffnen“, kündigte
Oluc an, „ansonsten aber allein antreten.“ Ufuk Uras macht seinen Leuten
dennoch Hoffnung: „Die anderen, die hier Politik machen, lehnen ihren Rücken
entweder an die Moschee, die Kaserne oder die Mafia. Wir sind die einzige
unabhängige Alternative.“