Aus Deutschland abgeschoben in die Türkei
Türkische Menschenrechtsvereine in Istanbul recherchierten
das Schicksal von kurdischen Flüchtlingen
Eine Dokumentation von Amke Dietert-Scheuer
Nach den zum Teil gewalttätigen Aktionen von Kurden als Reaktion
auf die Festnahme von Abdullah Öcalan, ist in Deutschland erneut die
Debatte über die rasche Abschiebung von ausländischen Straftätern
entbrannt. Doch was erwartet die außer Landes gebrachten Menschen
dann in der Türkei? Amke Dietert-Scheuer von der „Landes-arbeitsgemeinschaft
MigrantInnen und Flüchtlinge“ der GAL Hamburg hat auf Basis der von
türkischen Menschenrechtsgruppen bestätigten Angaben einige Schicksale
von in die Türkei Abgeschobenen nachgezeichnet. Wir dokumentieren
ihren Text in Auszügen.
1994 begann der türkische Menschenrechtsverein (IHD) Istanbul
mit der Recherche von Abschiebefällen. Bisher wurde mehreren hundert
Hinweisen auf problematische Abschiebungen nachgegangen. Teilweise erfolgten
die Anfragen in größerem zeitlichen Abstand, wenn z. B. ein
Abgeschobener in der Türkei nirgends aufgetaucht war. Angaben der
Flughafenpolizei, die meist behauptet, der Betreffende sei innerhalb von
24 Stunden freigelassen worden, sind dann kaum noch nachprüfbar. Es
ist ferner davon auszugehen, daß aus Angst vor weiteren Repressalien
sich nur wenige Flüchtlinge, die nach ihrer Abschiebung festgenommen
und mißhandelt wurden, an den Menschenrechtsverein wenden.
Einzelheiten der Behandlung nach Abschiebung werden meistens erst dann
bekannt, wenn es den Betroffenen gelingt, wieder ins Ausland zu fliehen.
Daher muß davon ausgegangen werden, daß die Anzahl der nach
Abschiebung mißhandelten oder gefolterten Flüchtlinge die bekanntgewordenen
Fälle weit überschreitet.
Im März 1995 wurde zwischen dem damaligen deutschen Innenminister
Kanther und seinem türkischen Amtskollegen Mentese ein Konsultationsverfahren
vereinbart, wonach vor Abschiebungen von deutschen Behörden in der
Türkei angefragt werden kann, ob die abzuschiebende Person in der
Türkei ein Strafverfahren zu erwarten habe. Bis zum Sommer 1998 hatte
es nach Angaben des Auswärtigen Amtes insgesamt 292 Anfragen bei den
türkischen Behörden nach drohenden Straf- oder Ermittlungsverfahren
gegeben. Aus der Türkei seien 226 Antworten eingetroffen. Drohende
Strafverfolgung habe sich „nur“ in 30 Fällen ergeben. Man habe nur
34 Personen nach einer Anfrage abgeschoben, deren weiteres Schicksal jedoch
nicht verfolgt.
Im Februar 1998 wurde aus Hamburg ein Kurde abgeschoben, nachdem in
dem Konsultationsverfahren die Zusicherung der Türkei eingeholt wurde,
daß ihm kein Straf- oder Ermittlungsverfahren drohe. Der Betroffene
wurde nach seiner Abschiebung insgesamt drei Mal festgenommen und mindestens
einmal so schrecklich gefoltert, daß ihm die Schädeldecke barst.
Zusammengefaßt läßt sich feststellen, daß kurdische
Flüchtlinge aus der Türkei in weit höherem Maße gefährdet
sind, als dies üblicherweise in den Entscheidungen über ihre
Asylanträge angenommen wird. Akute Verfolgungsgefahr besteht für
Kurden, wenn sie in der Türkei prokurdischen Aktivitäten - insbesondere
der Unterstützung der PKK - verdächtigt werden, sich geweigert
hatten, Dorfschützer zu werden oder auf sonstige Weise ins Visier
der Sicherheitskräfte geraten waren. Gleiches gilt für
jegliche exilpolitische Aktivitäten. Die in der Dokumentation dargestellten
Fälle belegen, daß schon relativ geringfügige Aktivitäten,
ja sogar der bloße Verdacht der Beteiligung an prokurdischen Aktivitäten
zu Festnahme und Folter nach einer Abschiebung führen können.
(. . .)
Fälle aus dem Jahr 1994:
Abdurrahman und Ayse Tekin:
Die Familie Tekin floh im September 1993 aus dem Ort Handak bei Cizre
in die Bundesrepublik (Uppstadt-Weiher). Am 5. Januar 1994 wurde Familie
Tekin nach Istanbul abgeschoben. Sie wurden festgenommen und am darauffolgenden
Tag verhört. Herr Tekin wurde beschuldigt, die PKK unterstützt
zu haben. Die Familie wurde am Nachmittag freigelassen. An der Busstation
wurde Herr Tekin von drei Männern in Zivil in ein Auto gezerrt und
mit verbundenen Augen an einen ihm unbekannten Ort gebracht. Dort wurde
er 14 Tage in Einzelhaft gehalten. Er wurde geschlagen und beschuldigt,
ein Terrorist zu sein und sollte Namen und Informationen über PKK-Mitglieder
nennen. Bei den Befragungen wollten die Beamten Informationen über
seine Aktivitäten in Cizre sowie in Deutschland erhalten. Sie schlugen
ihn mit den Fäusten und einem Schlagstock, unterzogen ihn der ,falaka’
(Schläge auf die Fußsohle) und traten ihn. Herr Tekin wurde
mit verbundenen Augen in einen Wagen gebracht und aus dem Auto geworfen.
Es gelang der Familie Tekin nicht, sich wieder in Cizre niederzulassen.
Seit April 1996 ist sie wieder in Deutschland. Derzeit ist eine Klage gegen
den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 12. 5. 1997 vor dem Verwaltungsgericht Freiburg anhängig.
Murat Fani (geb. 1954 in Cizre) und seine Familie wurden in den frühen
Morgenstunden des 17. 3. 94 nach Istanbul abgeschoben. Sie wurden 24 Stunden
lang bei der Flughafenpolizei festgehalten. Nach der formalen Freilassung
wurde Murat Fani noch am Flughafen von der politischen Polizei festgenommen.
An den ersten drei Abenden der Verhöre wurde er geschlagen, so daß
ihm ein Zahn im Unterkiefer zerbrach. Am 9. Tag wurde Murat Fani mit einer
Augenbinde an einen dunklen Ort gebracht und freigelassen. Er fuhr noch
in der gleichen Nacht zu seiner Familie nach Mersin. Im November 1994 wurde
er dort erneut festgenommen und nach Verhören unter Folter unter dem
Vorwurf, Angehörige der PKK unterstützt zu haben, in Untersuchungshaft
genommen. Im Laufe des Verfahrens vor dem Staatssicherheitsgericht in Konya
kam Murat Fani auf freien Fuß. Im Herbst 1995 flüchtete er erneut
nach Deutschland und wurde als Asylberechtigter anerkannt.
Riza Askin floh 1993 in die Bundesrepublik. Er wurde am 7. Februar
1994 nach Istanbul abgeschoben. Am Flughafen wurden seine Sachen durchsucht.
In seinem Koffer befanden sich Kleidungsstücke und andere Gegenstände
mit PKK-Emblemen bzw. -farben (Mütze, Armbinde). Er wurde daraufhin
festgenommen und einen Tag lang mit Schlägen und Stromstößen
gefoltert. Dies wurde vom Auswärtigen Amt bestätigt.
Herr Askin unterschrieb unter Folter ein Geständnis, in dem er
zugab, in der Bundesrepublik die PKK unterstützt zu haben. Er widerrief
dieses Geständnis jedoch eine Woche später mit der Begründung,
hierzu gezwungen worden zu sein. Ebenso sagte er aus, die Gegenstände
in dem Koffer nicht zu kennen und den Koffer auch nicht selbst gepackt
zu haben. Vielmehr haben nach seinen Aussagen die Polizeibeamten in der
Bundesrepublik den Koffer in der Asylbewerberunterkunft gepackt. Herr Askin
wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Unterdessen
entschied das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge,
den Ablehnungsbescheid seines Asylantrages in Abwesenheit aufzuheben. Nach
der Verurteilung ist Riza Askin in die Schweiz geflohen und wurde dort
als Asylberechtigter anerkannt. (. .
.)
. . . aus dem Jahr 1996:
Yusuf Isik und M. Emin Senocak:
Yusuf Isik aus dem Dorf Sozyasi im Kreis Halfeti der Provinz Urfa wurde
am 9. Januar von deutschen Beamten der türkischen Polizei übergeben.
Die Flughafenpolizei behauptete, er sei freigelassen worden, Herr Isik
tauchte jedoch nirgends in der Türkei auf. Der Vater R. Isik machte
sich Sorgen um den Verbleib seines Sohnes und meldete sich beim IHD Istanbul.
M. Emin Senocak floh 1991 in die Bundesrepublik und beantragte Asyl. Er
wurde am 9. Februar 1996 mit dem Flugzeug nach Istanbul geschickt und am
Flughafen festgenommen. Von dort wurde er zur politischen Polizei
in Fatih gebracht, wo seine Anwesenheit den Verwandten gegenüber jedoch
geleugnet wurde.
Das in der obersten Polizeidirektion der Türkei im „Direktorat
für Menschenrechte und Beziehungen zum Ausland“ im Dezember 1996 gegründete
„Büro für die Recherche von verschwundenen Personen“ hat in einer
Reaktion auf die Vielzahl von „Verschwundenen“, die in den Monatsberichten
des Menschenrechtsvereins erwähnt wurden, weder zu Yusuf Isik noch
zu Mehmet Emin Senocak irgendwelche Angaben machen können. Sie gehören
zu 82 Fällen, in denen die Polizei angeblich keine Registrierung von
Festnahmen feststellen konnte, u.a. weil Angaben zur Person unzureichend
seien. Yusuf Isik und Mehmet Ekin Senocak müssen aber bei der Einreise
durch die Flughafenpolizei registriert worden sein. Zudem sind in beiden
Fällen neben den vollen Namen auch die Geburtsorte und die Daten der
Festnahme bekannt, so daß sie von „dem Büro für die Recherche
von verschwundenen Personen“ mit Leichtigkeit hätten aufgefunden werden
können - wenn sie noch am Leben sind. (. .
.)
Hasan Kutgan kam im September 1992 nach Deutschland und wurde am 20.
Dezember 1996 abgeschoben. Bei der Flughafenpolizei traf er auf einen Kommissar,
der ihn als „Terroristen“ beschuldigte, weil in seinem Heimatdorf im Januar
1992 ein Unteroffizier getötet worden war. Unter starken Schlägen
wurde Herr Kutgan erst am Flughafen und dann bei der politischen Polizei
gezwungen, Aktivitäten für die PKK (u. a. in Deutschland) einzugestehen.
Er wurde der Bastonade unterworfen, seine Hoden wurden gequetscht und ihm
wurde mit weiterer Folter gedroht. Nachdem er das erste Geständnis
über die Beteiligung an zwei Demonstrationen und Newroz-Feierlichkeiten
widerrufen hatte, wurde er erneut geschlagen und ihm wurde gedroht, daß
er aufgehängt werde, Stromstöße erhalte und daß ihm
ein Polizeiknüppel in den After gesteckt und er unfruchtbar gemacht
werde. Da ein Zellengenosse unter der Folter sehr übel zugerichtet
worden war, legte Hasan Kutgan aus Angst erneut ein „Geständnis“ ab.
In den fünf Tagen bei der politischen Polizei wurde er zwei Mal unter
Schlägen und Bastonade verhört. Unter Hinweis auf die Folter
widerrief Hasan Kutgan auch dieses „Geständnis“ sowohl vor der Staatsanwaltschaft
als auch beim Haftrichter. Trotzdem kam er in Untersuchungshaft. Er wurde
in der ersten Verhandlung am 2. April 1997 vom Staatssicherheitsgericht
in Istanbul freigesprochen und freigelassen. (. . .)
. . . aus dem Jahr 1997:
Osman Akgün aus Nizip wurde am 10. 6. 1997 von München aus
abgeschoben. Ein deutscher Journalist interviewte ihn am 30. 8. 1997 in
Gaziantep. Bei seiner Abschiebung sollen BGS-Beamte verhindert haben, daß
inkriminierendes Material (ein Schlüsselbund mit MED-TV-Emblem und
ein Telefonbuch von Heyva-Sor) aus dem Gepäck entfernt wurde. Dafür
wurde er in Istanbul zwei Tage lang unter Stockschlägen auf Rücken
und Fußsohlen verhört. Ein Attest aus seiner Heimatstadt vom
18. 6. 1997 stellt Schürfwunden und blaue Flecken auf dem Rücken
fest. Er wurde für einen Monat krank geschrieben.
Ahmet Alptekin (40) und seine Ehefrau Selime Alptekin (37) stammen
aus dem Dorf Sivrice (zu Kurdisch Dalin) im Kreis Midyat der Provinz Mardin.
Sie waren 1994 nach Deutschland geflohen. Am 23. Juli 1997 erfolgte die
Abschiebung von Herr und Frau Alptekin zusammen mit fünf von sechs
Kindern. Die Kinder kamen noch am Abend frei. Frau Alptekin wurde wegen
des Vorwurfs der Unterstützung der PKK vor ihrer Ausreise befragt.
Ahmet Alptekin wurde nach 2stündigem Aufenthalt am Flughafen mit dem
Auto zu einem ihm unbekannten Ort gebracht. Bei verbundenen Augen wurde
er unter Schlägen beschuldigt, die PKK unterstützt zu haben.
Frau Alptekin wurde gegen Mittag und Herr Alptekin gegen 18 Uhr freigelassen,
evtl. weil ein Freund 5000 Mark für die Freilassung der Familie bezahlt
hatte.
Am nächsten Tag begab sich die Familie in ihr Heimatdorf. Am 31.
Juli wurde Herr Alptekin auf dem Weg in die Kreisstadt von Dorfschützern
und Angehörigen eines Spezialteams festgenommen. In ersten Verhören,
in denen er geschlagen wurde, wurde ihm gesagt, daß er angezeigt
worden sei. Später wurde Herr Alptekin zu einem anderen Ort gefahren,
an dem er trotz Mißhandlungen und Drohungen kein Geständnis
ablegte. Zwei Nächte verbrachte Herr Alptekin an diesem Ort,
bevor er wieder zum ersten Ort der Festnahme gebracht wurde.
Dieses Mal wurde er an ein Kreuz gebunden und aufgefordert, zu gestehen,
die Guerilla unterstützt zu haben. Schließlich fiel er in Ohnmacht.
Es folgten weitere Verhöre, allerdings ohne „Kreuzigung“. Die
ganze Zeit waren ihm die Augen verbunden, er war teilweise entkleidet und
verspürte beim Erwachen aus der Ohnmacht ein „Brennen im ganzen Körper“.
Am 11. Tag nach seiner Festnahme wurde Herr Alptekin freigelassen,
nachdem der Freund in Istanbul die Summe von 7.000,- DM bezahlt hatte.
Herr Alptekin ging nicht mehr nach Hause, sondern gleich nach Istanbul.
Später begab sich die gesamte Familie nach Istanbul und kam zwischen
Oktober und Dezember 1997 wieder nach Deutschland. Am 21. 7. 1998
wurde die Familie durch das VG Minden als Asylberechtigte anerkannt.
Der Kurde Ahmet Karakus wurde am 29. 8. 97 zusammen mit seiner Ehefrau
und seinen fünf Kindern von Stuttgart nach Izmir abgeschoben. In einem
Koffer, den Beamte des Bundesgrenzschutzes nach Angaben der Familie gegen
ihren Widerstand zu dem Reisegepäck genommen hatten, befanden sich
u. a. Spendenbescheinigungen für die ERNK und Fotos von einer Domonstration
in Düsseldorf vom 21. 4. 97. Bei der Einreise in Izmir wurde die Familie
festgenommen. Nach zwei Tagen wurden die Ehefrau und Kinder freigelassen.
Ahmet Krakus wurde wegen „Unterstützung der PKK“ in U-Haft genommen
und in das Gefängnis von Nazilli eingewiesen. Am 2. Verhandlungstag,
dem 6. 11. 97, wurde Ahmet Karakus zu 3 Jahren, 9 Monaten Haft verurteilt.
Aligül Sahindal wandte sich am 6. August 1997 an den
Menschenrechtsverein in Istanbul. Er war am 13. Juni 1997 mit seiner
Tochter in Handschellen aus Deutschland abgeschoben worden und wurde nachts
gegen 2 Uhr der türkischen Polizei überstellt. Nach 7 Stunden
bei der Flughafenpolizei wurde er der Abteilung zur Bekämpfung des
Terrorismus überstellt. Seine Tochter wurde nach drei Tagen freigelassen.
Nach seinen Angaben wurde er in der Polizeihaft nicht „systematisch“ gefoltert.
Er sei Mißhandlungen wie beständigen Schlägen, Beschimpfungen,
Ziehen an den Haaren und Beleidigungen ausgesetzt gewesen. Man habe ihm
angeboten, für die Polizei als Spitzel zu arbeiten. Nach 21 Tagen
sei er freigelassen worden. Er bat um Rechtsbeistand. Herr Sahindal hat
am 14. 9. 1997 die Türkei erneut verlassen. Am 26. 1. 1998 entschied
das VG Saarlouis, daß der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 22. 12. 1997, mit dem die
Durchführung eines erneuten Asylverfahren abgelehnt wurde, aufzuheben
sei.
Habip und Hazar Demir wurden im September 1997 mit 6 Kindern aus Niedersachsen
abgeschoben. Nach Berichten der damaligen Landtagsabgeordneten von Bündnis
90/Die Grünen, Heidi Lippmann-Kasten, über ihren Besuch in Istanbul
hätten Verwandte die Kinder in Empfang genommen, während die
Eltern Habip und Hazar Demir auf dem Istanbuler Flughafen verhaftet worden
seien. Herr Demir sei dann gleich zu einer anderen Polizeidienststelle
gebracht und verhört worden. Dabei hätten Polizisten den Kurden
an den Füßen aufgehängt und auf die Fußsohlen geschlagen.
Frau Lippmann-Kasten selbst habe die Narben auf den Sohlen und an den Gelenken
gesehen. Nach zwei Tagen seien die Eheleute freigekommen, sie befürchteten
jedoch die neuerliche Festnahme.
Der Kurde Halil Ibrahim Ciþek (30) wurde am 31. 10. 97 von Hamburg
aus in die Türkei abgeschoben. Der Menschenrechtsverein in Istanbul
fand heraus, daß Herr Ciþek vom Flughafen der Abteilung zur
Bekämpfung des Terrorismus überstellt wurde. Hahil Ibrahim Ciþek
war zuletzt im Juli 1995 in die Bundesrepublik gekommen und hatte einen
Asylantrag gestellt. Aufgrund von erfolglosen Vorverfahren, Widersprüchen
im Vortrag und der Verstrickung in BTM Delikte hatte sich das mit seiner
Asylklage befaßte VG Dresden am 6. 10. 97 gegen eine einstweilige
Anordnung zur Aussetzung der Abschiebung ausgesprochen. Eine Stellungnahme
von amnesty international vom 24. 9. 97, in der es u. a. heißt:
„Er (Herr Ciþek) dürfte dem Verdacht der ,Unterstützung
einer bewaffneten Bande’ ausgesetzt sein . . . Aufgrund der konkret drohenden
Folter wendet ai sich gegen eine zwangsweise Rückführung“, hatte
das Gericht als „wenig überzeugend“ abgetan. Am 2. November wurde
Herr Ciþek zum SSG Istanbul gebracht und auf freien Fuß gesetzt.
Sein weiteres Schicksal bleibt ungewiß.
Der 1967 in der Provinz Bingöl geborene Abdurrahman Kiliþ
wurde am 29. November 1997 abgeschoben. Er wurde nach 4 Stunden Verhör
am Flughafen freigelassen und ging nach Diyarbakir. Als er dort am 6. Dezember
einen Bus nach Bingöl besteigen wollte, wurde er festgenommen und
bis zum 14. Dezember von der politischen Polizei in Bingöl verhört.
Abdurrahman Kiliþ schilderte seinem Anwalt, daß er bei den
Verhören splitternackt ausgezogen wurde, ihm wurden Stromstöße
(u. a. an seinen Genitalien) gegeben, er wurde geschlagen, beschimpft und
bedroht, daß nahe Angehörige (z. B. seine Ehefrau) gefoltert
würden, wenn er nicht Angaben zu (mindestens 6) PKK-Militanten in
Bingöl und/oder der Bundesrepublik Deutschland mache.
Offensichtlich ist das unter diesen Bedingungen abgegebene Geständnis
eines der Beweismittel, das dem Verfahren mit der Anklageschrift vom 31.
12. 1997 zugrundeliegt. Herr Kiliþ wird als Organisationsmitglied
beschuldigt, während drei weiteren Angeklagten die „Gewährung
von Hilfe und Unterschlupf“ für die „bewaffnete Bande der illegalen
Terrororganisation PKK“ vorgeworfen wird. Herrn Kiliþ wird u. a.
zur Last gelegt, daß er in Berlin Bücher und Zeitschriften für
die PKK verkauft habe, sich an vier Veranstaltungen der Organisation beteiligt
und ihr dabei 3000,- DM an Unterstützung zukommen lassen habe. Gegen
Herrn Kiliþ wurde ein Prozeß eröffnet und der Haftbefehl
aufrechterhalten.
. . . aus dem Jahr 1998:
Mehmet Ali Akbas (32) aus Urfa/Viransehir wurde am 15. Januar 1998
aus Niedersachsen abgeschoben. Nach 9 Stunden bei der Flughafenpolizei
wurde er am Busbahnhof plötzlich in ein Auto mit drei zivil gekleideten
Personen gezerrt. Seine Augen wurden verbunden.
Nach Darstellung von Herrn Akbas wurden bis zu seiner Freilassung am
23. Januar folgende Foltermethoden angewandt: schwere Prügel, Schläge
mit Fäusten, Fußtritte, kaltes, unter Hochdruck gespritztes
Wasser, Elektroschocks und Nahrungsentzug. Die Verhöre bezogen sich
u. a. auf Fragen nach Verwandten und deren Aktivitäten für die
PKK und Fragen nach seiner Teilnahme an der „Besetzung“ des türkischen
Konsulats in Hannover im Juni 1993. Den Vernehmenden war der Vorfall bekannt,
obwohl das damals eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen ihn und weitere
33 Personen eingestellt worden war. Die Spuren der Folter wurden durch
Attest des Gesundheitsamtes in Viransehir vom 2. 2. 1998, durch Photoaufnahmen
und durch das Attest des Vertrauensarztes des Deutschen Konsulats Istanbul
vom 16. 3. 1998 belegt. Herr Akbas konnte mit Hilfe des deutschen Konsulats
in Istanbul wieder nach Deutschland kommen.
Imam Genlik, der aus dem Kreis Karakocan in der Provinz Elazig stammt,
wurde am 23. Februar 1998 aus Hamburg abgeschoben. Vor der Abschiebung
hatte auf Anfrage beim türkischen Konsulat in Hamburg die türkische
Botschaft in Bonn mitgeteilt, daß Herrn Genlik in der Türkei
keine Strafverfolgung drohe. Gleichzeitig erkundigte sich die Botschaft
aber nach dem geplanten Abschiebetermin. Ob eine Mitteilung erfolgte, ist
nicht bekannt. Allerdings soll laut Presseberichten seine Akte von der
deutschen Polizei an die türkische Polizei am Flughafen in Yesilköy
(Istanbul) übergeben worden sein. Dort wurde er drei Tage lang festgehalten
und zu seinen Verbindungen zu kurdischen Institutionen in Deutschland befragt.
Durch Schläge wurde ihm ein Zahn herausgebrochen und seine Lippe platzte
auf.
Nach seiner Freilassung versuchte Imam Genlik, in seinen Heimatort
Karakocan zu gelangen. Am 15. April 1998 wandte er sich an den IHD Istanbul
und berichtete, er sei am 19. März auf dem Weg nach Karakocan bei
einer Straßenkontrolle festgenommen und 6 Tage in Polizeihaft gehalten
worden. Bei verbundenen Augen wurde er gefoltert: Er erhielt Stromstöße,
man versuchte, ihn zu erdrosseln, er wurde der Bastonade (falaka) unterzogen,
verprügelt und ihm wurden die Hoden gequetscht. Infolge der
Folter hatte er Frakturen am Schädel und auch seine Hüfte war
in Mitleidenschaft gezogen. Daraufhin versuchte Imam Genlik erneut zu fliehen.
Am 29. Mai 1998 wurde er am Flughafen Adnan Menderes (Izmir) festgenommen
und sieben Tage lang bei der politischen Polizei festgehalten. Der zweite
Fluchtversuch brachte ihn bis nach Bukarest (Rumänien). Das Bundesministerium
des Inneren verweigert jedoch die rechtlich notwendige Genehmigung für
die Ausstellung eines Paßersatzpapieres. Nach monatelangem Aufenthalt
in Rumänien, was für Imam Genlik, der durch die Folter bereits
schwer traumatisiert war, eine weitere erhebliche psychische Belastung
darstellte, wurde er dort als politischer Flüchtling anerkannt. Mit
dem Konventionspaß konnte er in die Bundesrepublik einreisen und
erhielt in Hamburg eine Aufenthaltsbefugnis.
Süleyman Yadirgi, der erste Kurde, der Mitte März 1998 aus
einem Kirchenasyl abgeschoben wurde, soll nach Informationen des IHD Istanbul
nach seiner Ankunft drei Tage lang bei der Polizei festgehalten worden
sein. Er kam im Mai 1998 in die Bundesrepublik zurück und wurde bei
seiner erneuten Asylantragstellung am 25. Mai beim Bundesamt in Köln
sofort in Abschiebehaft genommen.
Der 16jährige Mehmet Huley Bat wurde am 26. März 1998 abgeschoben.
Verwandte, die ihn am Flughafen abholen wollten, sahen, daß er von
Zivilbeamten abgeführt wurde. Die Polizei verlangte später 5000,-
DM für die Freilassung, die die Familie aber nicht aufbringen konnte.
Deshalb haben sie nichts mehr von ihrem Sohn gehört (. . .)
Der 1980 geborene Osman Demir wurde am 13. 7. 98 von Frankfurt aus
nach Istanbul abgeschoben. Über Beziehungen und Bestechung soll ihm
eine unproblematische Einreise gelungen sein. Osman Demir, der vor seiner
Flucht im Jahre 1994 als Jugendlicher im Alter von 13-14 Jahren PKK-Kämpfer
gewesen sein soll, konnte sich nach der Rückkehr ein paar Wochen bei
Verwandten in Mersin und Mardin aufhalten, bevor er zu seinem Vater in
das Dorf Düzova (kurdisch: Hoser), ca. 10 km von Cizre (Provinz Sirnak)
entfernt, zurückkehrte. Schon nach 2 Tagen bekam der Vater Angst,
daß die Ankunft seines Sohnes zu einer Razzia in seinem Haus führen
könnte. Er ließ sich von dem Anführer der Dorfschützer
in Düzova, Tahir Güven, eine Garantieerklärung für
die Sicherheit seines Sohnes geben und übergab ihn den Sicherheitskräften.
Osman Demir wurde in Cizre und Sirnak verhört. Anfang September 1998
begann sein Prozeß vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir.
Hüzni Almaz kam 1994 nach Deutschland und kehrte am 5. Juni 1998
nach erfolglosem Asylverfahren und Androhung der Abschiebung in die Türkei
zurück. Er ging zu seiner Mutter und seinen zwei Geschwistern in einem
Dorf des Kreises Kiziltepe (Provinz Mardin). Herr Almaz besuchte nach eigenen
Angaben am 19. 7. 1998 das Grab seines Vaters in einem Dorf des Kreises
Derik und war bei einem Dorfschützer zu Gast. Dieser zeigte ihn bei
der Gendarmerie an.
Auf der Gendarmeriewache wurde Herr Almaz Verhören über seine
Aktivitäten in der Bundesrepublik unterzogen. In einem am 21. 7. 1998
im Gefängnis verfaßten Schreiben berichtete er, er sei „jeglicher
Form von unmenschlicher Behandlung“ unterworfen worden und habe seine Aussage
mit verbundenen Augen unterschreiben müssen. Nach dem Protokoll der
Staatsanwaltschaft vom 20. 7. 1998 räumte Herr Almaz ein, sich an
Aktivitäten der PKK in Deutschland beteiligt zu haben, um als asylberechtigt
anerkannt zu werden. Er habe an Demonstrationen, Plakatieraktionen, Autobahnbesetzungen
und Schulungen teilgenommen. Des weiteren habe er bei kurdischen
Unternehmern in der Bundesrepublik zusammen mit anderen Gelder für
die PKK gesammelt. Sowohl bei der Staatsanwaltschaft als auch vor dem Haftrichter
nannte Herr Almaz eine Reihe von Namen jener Personen, die als PKK-Aktivisten
ihn zu diesen Tätigkeiten angehalten haben sollen. Darunter ist auch
der Name seiner Frau Kinni Almaz.
Herr Almaz wurde in Untersuchungshaft genommen und befindet sich trotz
seiner Beschwerde gegen die Haftanordnung noch immer in Haft. In der Anklageschrift
vom 10. 8. 1998 wird Herrn Almaz Verstoß gegen 169 des
türkischen Strafgesetzes, d. h. die Unterstützung einer bewaffneten
Vereinigung, zur Last gelegt. Der Prozeß gegen Herrn Almaz hat am
29. September 1998 vor dem Staatssicherheitsgericht Diyarbakir begonnen.