amnesty warnt vor Abschiebungen in die Türkei
Menschenrechtler registrieren seit Öcalan-Verhaftung verschärfte
Kurdenverfolgung
Von Monika Kappus
BONN, 2. März. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international
(ai) hat die Bundesregierung aufgefordert, „angesichts der sich zuspitzenden
Menschenrechtslage in der Türkei“ politisch engagierte Kurden nicht
abzuschieben. Allein in den vergangenen Tagen seien mehr als 1400 mutmaßliche
oder tatsächliche Mitglieder der prokurdischen Demokratie-Partei des
Volkes (Hadep) Opfer einer Verhaftungswelle geworden, erklärte die
Türkei-Expertin von ai, Barbara Neppert, am Dienstag in Bonn. Ankara
unterdrücke die legale Opposition verstärkt. Seit der Inhaftierung
des Chefs der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan,
gerate auch der türkische Menschenrechtsverein IHD unter besonderen
Druck. Zahlreiche Mitarbeiter des Vereins hätten Morddrohungen erhalten.
Der Flüchtlingsreferent von ai, Wolfgang Grenz wandte sich entschieden
gegen Bestrebungungen der Innenminister von Bund und Ländern, vermehrt
das deutsch-türkische Konsultationsverfahren anzuwenden, um gewalttätige
Kurden aus Deutschland abschieben zu können. Auf Zusagen der Türkei,
nicht zu foltern, sei kein Verlaß, sagte Grenz. Nach dem 1995 verabredeten
Konsultationsverfahren soll die Türkei im Falle bevorstehender Abschiebung
erklären, daß der ausgewiesenen Person keine Verfolgung wegen
PKK-Aktivitäten drohe. Grenz forderte stattdessen, daß Kurden,
die hierzulande bei Protesten gegen die Verhaftung Öcalans straffällig
geworden seien, vor deutschen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden
sollten.
Äußerungen von Politikern, wer das Gastrecht Deutschlands
mißbrauche, müsse das Land sofort verlassen, erteilte Grenz
eine klare Absage. Der Schutz der Grundrechte gelte für alle, egal
ob sie straffällig geworden oder unbescholten seien. „Beim Menschenrechtsschutz
gibt es keine Qualifizierung in zu schützende gute Menschen und in
böse Menschen, die ruhig gefoltert werden können.“
Berliner Zeitung 03.03.1999
Amnesty gegen die Abschiebung von Kurden
Menschenrechtsorganisation befürchtet Folter / Kein Verlaß
auf Zusicherungen türkischer Behörden
Von Sigrid Averesch
BERLIN/ISTANBUL, 2. März. Angesichts der „sich zuspitzenden Menschenrechtslage
in der Türkei“ hat Amnesty International (ai) die Bundesregierung
aufgefordert, „von der Abschiebung politisch engagierter Kurden abzusehen“.
Es drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben, teilte die Menschenrechtsorganisation
am Dienstag in Bonn mit. Sie verwies darauf, daß allein in den vergangenen
Tagen mehr als 1 400 mutmaßliche oder tatsächliche Mitglieder
der legalen prokurdischen „Demokratiepartei des Volkes“ (Hadep) in der
Türkei verhaftet worden sind.
Amnesty wandte sich gegen Überlegungen der Innenminister von Bund
und Ländern, das sogenannte deutsch-türkische Konsulatsverfahren
vermehrt anzuwenden. Dabei fragen deutsche Behörden nach, ob den Abgeschobenen
eine Strafverfolgung in der Türkei drohe. „Sich auf die Zusicherungen
der türkischen Behörden zu verlassen bedeutet, Folter in Kauf
zu nehmen“, sagte Flüchtlingsreferent Wolfgang Grenz. Bereits mehr
als einmal habe die Türkei ihre Zusagen, abgeschobene Kurden nicht
zu foltern, nicht eingehalten.
1995 war das Verfahren zwischen dem damaligen Innenminister Manfred
Kanther (CDU) und dessen türkischem Amtkollegen beschlossen worden.
In 340 Fällen wurde es seither angewandt. Laut ai wurden 30 Personen
abgeschoben. Mindest acht von ihnen seien danach in der Türkei gefoltert
worden.
Grenz warf der Union und der FDP vor, mit ihrer Forderung nach einer
erleichterten Abschiebung von Kurden „Populismus“ zu betreiben.
Kritik an Waffenlieferungen
Die Menschenrechtsorganisation rief zudem dazu auf, keine Waffen an
die Türkei zu liefern. Hintergrund sind die Verhandlungen über
die Lieferung von Kampfhubschraubern an die Türkei. Zu den Anbietern
gehöre auch das deutsch-französische Konsortium Eurocopter. Deutsche
Firmen möchten zudem Panzerfahrzeuge an die Türkei liefern und
dort in Lizenz produzieren. Dies bestätigte die Bundesregierung auf
eine Anfrage der PDS-Fraktion .
Die Türkei-Expertin von ai, Barbara Neppert, appellierte an die
türkische Regierung, dem verhafteten Chef der Kurdischen Arbeiterpartei
PKK, Abdullah Öcalan, ein faires Verfahren zu garantieren. Sie kritisierte,
daß der Prozeß vor einem Staatssicherheitsgericht stattfinden
soll, dem auch Militärrichter angehören.
Unterdessen sind am Dienstag erstmals ausländische Beobachter
auf die Gefängnisinsel Imrali gelassen worden, auf der Öcalan
inhaftiert ist. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, wurde eine
elfköpfige Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarates am
Morgen nach Imrali gebracht. Das Anti-Folter-Komitee hat die Aufgabe, die
Einhaltung der Europäischen Anti-Folter-Konvention zu überwachen.
Der Vize-Präsident des türkischen Parlaments, Uluc Gürkan,
wies am Dienstag einen Bericht der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ zurück,
wonach das Parlament norwegische Abgeordnete einlud, an dem Prozeß
gegen Öcalan teilzunehmen. Gürkan bekräftigte die Weigerung
der türkischen Regierung, Beobachter zuzulassen. Dies hindere aber
niemanden daran, das Verfahren zu verfolgen, da die Gerichte öffentlich
seien. Die erste Anhörung im Öcalan-Prozeß soll am 24.
März stattfinden. Sowohl der Europarat als auch die Europäische
Union hatten die Türkei vergeblich aufgefordert, internationale Beobachter
zuzulassen.
Schnellverfahren beendet
Am Dienstag hat das Stuttgarter Amtsgericht die Schnellverfahren gegen
die 21 Besetzer des griechischen Generalkonsulats und einen Demonstranten
abgeschlossen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden sie zu Strafen
zwischen fünf Monaten auf Bewährung und acht Monaten Haft verurteilt.
Damit sei das Ziel erreicht worden, die Strafe der Tat unmittelbar folgen
zu lassen. Am Faschingsdienstag waren 21 Personen in das Generalkonsulat
eingedrungen und hatten Räume verwüstet. Am Mittwoch wollen nach
Angaben der Berliner Innenverwaltung in Bonn Vertreter des Bundeskriminalamtes
und der Landeskriminalämter eine neue Lageanalyse nach den Krawallen
erstellen. Es solle entschieden werden, auf welchem Niveau Sicherheitsmaßnahmen
getroffen werden müßten.(sav./AFP, Reuters, dpa)