Frankfurter Rundschau, 03.03.1999

amnesty warnt vor Abschiebungen in die Türkei
Menschenrechtler registrieren seit Öcalan-Verhaftung verschärfte Kurdenverfolgung
Von Monika Kappus

BONN, 2. März. Die Menschenrechtsorganisation amnesty international (ai) hat die Bundesregierung aufgefordert, „angesichts der sich zuspitzenden Menschenrechtslage in der Türkei“ politisch engagierte Kurden nicht abzuschieben. Allein in den vergangenen Tagen seien mehr als 1400 mutmaßliche oder tatsächliche Mitglieder der prokurdischen Demokratie-Partei des Volkes (Hadep) Opfer einer Verhaftungswelle geworden, erklärte die Türkei-Expertin von ai, Barbara Neppert, am Dienstag in Bonn. Ankara unterdrücke die legale Opposition verstärkt. Seit der Inhaftierung des Chefs der verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, gerate auch der türkische Menschenrechtsverein IHD unter besonderen Druck. Zahlreiche Mitarbeiter des Vereins hätten Morddrohungen erhalten.
Der Flüchtlingsreferent von ai, Wolfgang Grenz wandte sich entschieden gegen Bestrebungungen der Innenminister von Bund und Ländern, vermehrt das deutsch-türkische Konsultationsverfahren anzuwenden, um gewalttätige Kurden aus Deutschland abschieben zu können. Auf Zusagen der Türkei, nicht zu foltern, sei kein Verlaß, sagte Grenz. Nach dem 1995 verabredeten Konsultationsverfahren soll die Türkei im Falle bevorstehender Abschiebung erklären, daß der ausgewiesenen Person keine Verfolgung wegen PKK-Aktivitäten drohe. Grenz forderte stattdessen, daß Kurden, die hierzulande bei Protesten gegen die Verhaftung Öcalans straffällig geworden seien, vor deutschen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden sollten.
Äußerungen von Politikern, wer das Gastrecht Deutschlands mißbrauche, müsse das Land sofort verlassen, erteilte Grenz eine klare Absage. Der Schutz der Grundrechte gelte für alle, egal ob sie straffällig geworden oder unbescholten seien. „Beim Menschenrechtsschutz gibt es keine Qualifizierung in zu schützende gute Menschen und in böse Menschen, die ruhig gefoltert werden können.“


Berliner Zeitung 03.03.1999
Amnesty gegen die Abschiebung von Kurden
Menschenrechtsorganisation befürchtet Folter / Kein Verlaß auf Zusicherungen türkischer Behörden
Von Sigrid Averesch

BERLIN/ISTANBUL, 2. März. Angesichts der „sich zuspitzenden Menschenrechtslage in der Türkei“ hat Amnesty International (ai) die Bundesregierung aufgefordert, „von der Abschiebung politisch engagierter Kurden abzusehen“. Es drohe ihnen Gefahr für Leib und Leben, teilte die Menschenrechtsorganisation am Dienstag in Bonn mit. Sie verwies darauf, daß allein in den vergangenen Tagen mehr als 1 400 mutmaßliche oder tatsächliche Mitglieder der legalen prokurdischen „Demokratiepartei des Volkes“ (Hadep) in der Türkei verhaftet worden sind.
Amnesty wandte sich gegen Überlegungen der Innenminister von Bund und Ländern, das sogenannte deutsch-türkische Konsulatsverfahren vermehrt anzuwenden. Dabei fragen deutsche Behörden nach, ob den Abgeschobenen eine Strafverfolgung in der Türkei drohe. „Sich auf die Zusicherungen der türkischen Behörden zu verlassen bedeutet, Folter in Kauf zu nehmen“, sagte Flüchtlingsreferent Wolfgang Grenz. Bereits mehr als einmal habe die Türkei ihre Zusagen, abgeschobene Kurden nicht zu foltern, nicht eingehalten.
1995 war das Verfahren zwischen dem damaligen Innenminister Manfred Kanther (CDU) und dessen türkischem Amtkollegen beschlossen worden. In 340 Fällen wurde es seither angewandt. Laut ai wurden 30 Personen abgeschoben. Mindest acht von ihnen seien danach in der Türkei gefoltert worden.
Grenz warf der Union und der FDP vor, mit ihrer Forderung nach einer erleichterten Abschiebung von Kurden „Populismus“ zu betreiben.
Kritik an Waffenlieferungen
Die Menschenrechtsorganisation rief zudem dazu auf, keine Waffen an die Türkei zu liefern. Hintergrund sind die Verhandlungen über die Lieferung von Kampfhubschraubern an die Türkei. Zu den Anbietern gehöre auch das deutsch-französische Konsortium Eurocopter. Deutsche Firmen möchten zudem Panzerfahrzeuge an die Türkei liefern und dort in Lizenz produzieren. Dies bestätigte die Bundesregierung auf eine Anfrage der PDS-Fraktion .
Die Türkei-Expertin von ai, Barbara Neppert, appellierte an die türkische Regierung, dem verhafteten Chef der Kurdischen Arbeiterpartei PKK, Abdullah Öcalan, ein faires Verfahren zu garantieren. Sie kritisierte, daß der Prozeß vor einem Staatssicherheitsgericht stattfinden soll, dem auch Militärrichter angehören.
Unterdessen sind am Dienstag erstmals ausländische Beobachter auf die Gefängnisinsel Imrali gelassen worden, auf der Öcalan inhaftiert ist. Wie die Nachrichtenagentur Anadolu meldete, wurde eine elfköpfige Delegation des Anti-Folter-Komitees des Europarates am Morgen nach Imrali gebracht. Das Anti-Folter-Komitee hat die Aufgabe, die Einhaltung der Europäischen Anti-Folter-Konvention zu überwachen.
Der Vize-Präsident des türkischen Parlaments, Uluc Gürkan, wies am Dienstag einen Bericht der norwegischen Zeitung „Aftenposten“ zurück, wonach das Parlament norwegische Abgeordnete einlud, an dem Prozeß gegen Öcalan teilzunehmen. Gürkan bekräftigte die Weigerung der türkischen Regierung, Beobachter zuzulassen. Dies hindere aber niemanden daran, das Verfahren zu verfolgen, da die Gerichte öffentlich seien. Die erste Anhörung im Öcalan-Prozeß soll am 24. März stattfinden. Sowohl der Europarat als auch die Europäische Union hatten die Türkei vergeblich aufgefordert, internationale Beobachter zuzulassen.
Schnellverfahren beendet
Am Dienstag hat das Stuttgarter Amtsgericht die Schnellverfahren gegen die 21 Besetzer des griechischen Generalkonsulats und einen Demonstranten abgeschlossen. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft wurden sie zu Strafen zwischen fünf Monaten auf Bewährung und acht Monaten Haft verurteilt. Damit sei das Ziel erreicht worden, die Strafe der Tat unmittelbar folgen zu lassen. Am Faschingsdienstag waren 21 Personen in das Generalkonsulat eingedrungen und hatten Räume verwüstet. Am Mittwoch wollen nach Angaben der Berliner Innenverwaltung in Bonn Vertreter des Bundeskriminalamtes und der Landeskriminalämter eine neue Lageanalyse nach den Krawallen erstellen. Es solle entschieden werden, auf welchem Niveau Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden müßten.(sav./AFP, Reuters, dpa)