Nach den Krawallen schiebt NRW den ersten Kurden ab Proteste von Hilfsorganisationen / Neues Urteil
aus Karlsruhe
Von Sigrid Averesch
KÖLN/BERLIN, 3. März. Nach den bundesweiten Protestaktionen
von Kurden gegen die Verschleppung des PKK-Chefs Abdullah Öcalan vor
zwei Wochen ist der erste Kurde in die Türkei abgeschoben worden.
Wie das nordrhein-westfälische Innenministerium am Mittwoch bestätigte,
hatte sich der 28jährige an der Besetzung der SPD-Zentrale in Köln
beteiligt und war wegen abgelaufener Papiere in Abschiebehaft genommen
worden. Die Aktion löste scharfe Proteste von Hilfsorganisationen
aus. Der „Kölner Flüchtlingsrat“ erklärte, die Abschiebung
von Kurden in die Türkei sei strafbar, weil ihnen dort „die konkrete
Gefahr der Folter“ drohe. Der Sprecher der Flüchtlingsorganisation
„Pro Asyl“, Heiko Kaufmann, sagte, mit „der völkerrechtswidrigen Abschiebung“
helfe Deutschland „dem Folterstaat Türkei“. Der Kurde müsse nun
fürchten, in der Türkei wegen „Separatismusverdachts“ verfolgt
zu werden.
Die Mißhandlung von PKK-Sympathisanten in der Türkei kann
nach einer am Mittwoch veröffentlichten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
einen Asylgrund darstellen. „Eine (angebliche) Terrorismusbekämpfung“
könne „staatlichen Gegenterror (...) nicht rechtfertigen“, heißt
es in dem Beschluß. Die erste Kammer des zweiten Senats gab damit
einer Klage eines Kurden gegen die Ablehnung seines Asylantrags statt.
(Aktenzeichen: 2 BvR 86/97)
Der 54jährige war in der Südost-Türkei fünfzehn
mal verhaftet und einmal gefoltert worden, weil er die PKK finanziell unterstützt
hatte. In Deutschland wurde sein Asylantrag abgelehnt. Diese Entscheidung
hatte das Lüneburger Verwaltungsgericht bestätigt. Die Folter
wertete es als strafrechtliche Sanktion.
Demgegenüber stellte das Bundesverfassungsgericht in dem im Januar
gefällten Beschluß klar, daß gerade politische Verfolgung
unter den Schutz des Asylgrundrechts fällt. Deshalb hätten die
Lüneburger Richter die Festnahmen und die Folter berücksichtigen
müssen. Beides könnte zum Ziel gehabt haben, die im Einzelfall
festgestellte oder generell bei allen Kurden in Südostanatolien vermutete
Sympathie mit der PKK „durch Anwendung menschenrechtswidriger Gewalt und
fortwährende Schikanen zu bekämpfen“. Nun muß das Verwaltungsgericht
Lüneburg erneut über den Asylantrag befinden. (sav./AFP)
Der Berliner Flüchtlingsrat hat erneut einen Abschiebestopp für
Kurden in die Türkei gefordert. Mit einer Abschiebung werde derzeit
Folter in Kauf genommen, teilte die Initiative am Mittwoch mit. Es seien
bereits mehrere Folter-Fälle von aus Deutschland ausgewiesenen politisch
verfolgten Kurden in der Türkei dokumentiert. Nach Angaben des Rates
befindet sich der kurdische Asylbewerber Recep Öz bereits seit 15
Tagen im Hungerstreik. Öz sei aus der Abschiebehaftanstalt Grünau
nach Büren in Nordrhein-Westfalen verlegt worden. Im Fall einer Abschiebung
sei wegen seines politischen Engagements sein Leben in Gefahr. (epd)