Bombenanschlag auf Gouverneur in der Türkei
Drei Tote und neun Verletzte bei Explosion. Linksradikale Gruppe bekennt
sich zu Attentat
Ankara/Diyarbakir (AFP/rtr) - Bei einem Bombenanschlag auf den Gouverneur
der türkischen Provinz Cankiri sind gestern drei Menschen getötet
worden. Gouverneur Ayhan Cevik und neun weitere Menschen wurden nach offiziellen
Angaben verletzt. Die Explosion erfolgte den Angaben nach gegen 8.30 Uhr
morgens, als der Wagen von Gouverneur Cevik ein Geschäft passierte,
das Gasflaschen verkauft. Bei dem Anschlag starben ein Leibwächter
Ceviks, ein Passant und ein Schulkind. Cevik wurde in ein Krankenhaus nach
Ankara gebracht.
Innenminister Cahit Bayar sprach in Istanbul von einem „furchtbaren
Anschlag“ und rief die Gouverneure zur Verstärkung der Sicherheit
in ihren Provinzen auf. Für den Anschlag habe die linksextreme Untergrundorganisation
Tikko die Verantwortung übernommen, teilte der Chef der türkischen
Polizei, Necati Bilican, in Ankara mit. Angaben darüber, wie sich
die Gruppe zu der Tat bekannte, machte er nicht. Die maoistische Tikko
ist seit Anfang der 70er Jahre in der Türkei bekannt. Der Schwerpunkt
ihrer Aktivitäten lag bislang in der östlichen Region Tunceli.
In dieser Gegend leben hauptsächlich alevitische Kurden.
Bereits am Donnerstag waren bei einem mutmaßlichen Selbstmordattentat
kurdischer Extremisten nach Angaben aus Sicherheitskreisen eine Frau getötet
und vier Personen verletzt worden. Die Bombe der mutmaßlichen Attentäterin
sei vorzeitig auf dem Hauptplatz der südöstlichen Stadt Batman
explodiert.
Der Anschlag habe eigentlich einer nahe gelegenen Polizeistation gegolten.
Vermutlich gehörte die Frau der Kurdischen Arbeiterpartei PKK des
inhaftierten Kurdenführers Abdullah Öcalan an. Es wäre das
vierte Selbstmordattentat in der Türkei seit November 1998.
Neue Zürcher Zeitung, 06.03.1999
Blutiger Bombenanschlag in der Türkei
Die PKK kündigt eine Verschärfung ihres Kriegs an
Ein blutiger Bombenanschlag hat am Freitag in der zentralanatolischen
Stadt Cankiri drei Todesopfer gefordert. In der Türkei ist die Angst
vor einer neuen Welle terroristischer Anschläge gestiegen. Einen Tag
zuvor hatte die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK ihre Mitglieder
aufgerufen, ihren Kampf auch in den Westen der Türkei zu verlegen.
it. Istanbul, 5. März
Ein Bombenanschlag hat am Freitag in der türkischen Stadt Cankiri
drei Todesopfer gefordert. Dabei hat das Attentat vor allem durch seine
professionelle Ausführung überrascht. Nach Angaben der Behörden
wurde der in einem parkierten Auto versteckte Sprengsatz per Fernsteuerung
gezündet, als der Wagen des Gouverneurs, der sich auf dem Weg zur
Arbeit befand, vorbeifuhr. Drei Personen, unter ihnen auch ein Schulkind,
kamen dabei ums Leben, der Gouverneur wurde mit schweren Verletzungen in
ein Spital in Ankara übergeführt. Der Anschlag, welcher keine
100 Kilometer von der Hauptstadt Ankara entfernt erfolgte, ist zudem von
einer brisanten symbolischen Aussagekraft. Die Täter wollten offenbar
beweisen, dass sie ihre Aktionen auch im «Herzen der Türkei»
austragen können, zudem noch in einer für die Waffenindustrie
wichtigen Stadt. In einer ersten Stellungnahme hat Ministerpräsident
Ecevit erklärt, die Täter seien unbekannt. Sein Aufruf an die
«Terroristen», sich zu ergeben, weist darauf hin, dass Ankara
die Täter in den Reihen der kurdischen PKK vermutet. Die Polizei liess
später verlauten, die Täter seien Mitglieder der kurdischen Organisation
Tikko. Die Tikko hat in den letzten Jahren eng mit der PKK zusammengearbeitet.
In der Bevölkerung wächst die Angst vor einer neuen Welle von
kurdischen Terroranschlägen.
Aufruf zum totalen Krieg
Zwei Wochen nachdem die Festnahme des PKK-Chefs Öcalan das Ende
seines Experiments einer Politisierung der Kurdenfrage eingeleitet hatte,
scheint die PKK wieder auf das Mittel der Terroranschläge zurückzugreifen,
gegenüber denen der türkische Staat faktisch machtlos ist. Wie
am Donnerstag ein Vertreter der Partei in Wien ankündigte, soll der
Kampf der Kurden ab sofort auf die ganze Türkei sowie auf den Nordirak
ausgedehnt werden. Dies ist laut seinen Angaben vom unlängst an einem
geheimgehaltenen Ort abgehaltenen 6. PKK-Kongress beschlossen worden. Dieser
Kongress habe ferner einstimmig Abdullah Öcalan zum PKK-Vorsitzenden
wiedergewählt. Solange dieser aber in Haft sei, werde die Partei von
einem siebenköpfigen Vorsitz geleitet. Da sich dieser Rat in seiner
überwältigenden Mehrheit aus führenden Feldkommandanten
wie dem bei der PKK-Guerilla populären Kommandanten Cemil Bayik sowie
Öcalans Bruder Osman zusammensetzt, ist die neue Strategie entsprechend
militärisch. Nach den Angaben des Sprechers ist künftig im kurdischen
Südosten der Türkei und im türkischen Westen, wo grosse
kurdische Bevölkerungsgruppen wohnen, mit ständigen «Intifada-Aktionen»
zu rechnen. Kurdische Jugendliche wurden aufgerufen, ihren Kampf zu intensivieren,
wobei «alle Mittel» gegen den türkischen Staat legitim
seien. Ferner wurden die Kurden zum erstenmal in diesem Jahrzehnt wieder
aufgerufen, sich der Guerilla anzuschliessen.
Eine Serie von Fehlkalkulationen
Der 6. Kongress der PKK widerspiegelt deutlich, wie kläglich das
Projekt einer friedlichen Beilegung der Kurdenfrage in der Türkei
gescheitert ist. Als Abdullah Öcalan vor vier Monaten nach Europa
aufbrach, um die Kurdenfrage des Nahen Ostens zu internationalisieren und
seine PKK zu politisieren, hoffte er, dass der 6. Kongress diesen Politisierungsprozess
besiegeln würde. Wie er erklärte, würde der Kongress die
neuen Mitglieder des Exil-Parlaments sowie einer kurdischen Exil- Regierung
wählen und dem Krieg eine endgültige Absage erteilen. Dies war
eine Fehlkalkulation von ihm und dem gemässigten, zum Dialog mit Ankara
bereiten PKK-Flügel. Kein europäisches Land wollte ihn haben.
So kam es dazu, dass der 6. Kongress, anstatt die Politisierung zu besiegeln,
sich nun die palästinensische Organisation Hamas und deren blutige
Aktionen zum Beispiel genommen hat.
Doch auch Ankara scheint sich verkalkuliert zu haben. Die türkische
Regierung hat monatelang mit Nachdruck von den europäischen Staaten
die Auslieferung Öcalans gefordert, obwohl gemässigte Stimmen
immer wieder davor warnten, dass eine Haft Öcalans in der Türkei
das Land in seinen Fundamenten erschüttern würde. Die Regierung
Ecevit kalkulierte auch falsch, als sie nach der Festnahme Öcalans,
noch trunken vom Triumph, das Ende des «kurdischen Terrors»
ankündigte. Der Anschlag in Cankiri sowie das Selbstmordattentat einer
jungen Kurdin in der Stadt Batman am Donnerstag haben dies deutlich vor
Augen geführt.
Frankfurter Rundschau, 06.03.1999
Türkei
Mehrere Tote bei Anschlag auf Provinz-Gouverneur
öhl ATHEN, 5. März. Bei der Explosion einer Autobombe sind
am Freitag morgen in der zentralanatolischen Stadt Cankiri drei Menschen
getötet worden. Das Attentat galt offenbar dem Provinz-Gouverneur
Ayhan Cevik. Die in einem geparkten Auto versteckte Bombe detonierte,
vermutlich über Funk ferngezündet, als der Wagen des Gouverneurs
vorbeifuhr. Sein Leibwächter, ein zufällig vorbeikommendes 14
Jahre altes Mädchen und ein weiterer Passant waren sofort tot. Cevik
erlitt schwere Verletzungen und wurde in eine Klinik nach Ankara gebracht.
Auch sein Fahrer und weitere neun Menschen wurden verletzt.
Wer hinter dem Anschlag steckt, war zunächst unklar. Für
erste von der Polizei angestellte Mutmaßungen, das Attentat gehe
auf das Konto der PKK, gab es keine Anhaltspunkte, zumal die Organisation
bisher in dieser Region nie in Erscheinung getreten war. Am Freitag nachmittag
erklärte der Chef der türkischen Polizei, die linksextreme Untergrundorganisation
Tikko, die „Türkische Arbeiter- und Bauern-Befreiungsarmee“, habe
sich zu dem Attentat bekannt. Cevik soll Morddrohungen dieser in den siebziger
Jahren gegründeten maoistischen Gruppe erhalten haben, seit er als
Gouverneur in der nordanatolischen Stadt Tokat amtierte. Dort ist die Tikko
besonders aktiv.