Wachstum - Touristikboom bereitet aber auch zunehmend Sorgen
Sonnenbranche mit Schattenseiten: Der Tourismus boomt allenthalben.
Doch er droht auch die Grundlagen des eigenen Erfolgs zu zerstören.
Das zeigt ein Besuch der ITB in Berlin, wo fünf Tage lang das größte
Reisebüro der Welt steht.
Von Thomas Wüpper, Berlin
Eine ¸¸Weltreise’’ in nur vier Stunden - seine Feuertaufe
bei der Reisebranche hat Werner Müller mit Bravour bestanden.
Gelassen und jovial, wie es seine Art ist, absolvierte der neue Bundeswirtschaftsminister
den gefürchteten Eröffnungsrundgang zur 33. Internationalen Tourismus-Börse
(ITB) in Berlin, der größten Dienstleistungsmesse der Welt.
Eine ¸¸Tour des Force’’, im Hetzschritt und unter großem
Medienrummel durch 160000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, mit kurzen
Stopps bei möglichst vielen der fast 7500 Aussteller aus 190 Ländern.
Die ITB: Spiegelbild einer weltweit prosperierenden Branche.
Allein im letzten Jahr besuchten 625 Millionen Menschen ein fremdes Land,
ein Plus von 2,4 Prozent. Die Reisenden gaben dabei 775 Milliarden Mark
aus, zwei Prozent mehr als im Vorjahr. Schon heute wird im Tourismus ein
Zehntel des Weltsozialprodukts abgewickelt. Experten schätzen, daß
2006 rund 385 Millionen in der Branche arbeiten werden. Die Zeichen stehen
auf weiteres rasantes Wachstum.
Doch der Urlauber ist ein scheues Wesen, der Ruhe und Erholung in intakter
und sicherer Umgebung sucht. Deshalb haben Krisen, Anschläge und politische
Spannungen manch traditionellem Reiseland die Bilanz kräftig verhagelt.
Ägypten mieden nach einer Serie grausiger Attentate viele, die Statistik
weist ein Minus von 500000 auf nur noch knapp 3,5 Millionen Besucher aus.
Auch in der Türkei stürzte der Fremdenverkehr wegen der Kämpfe
zwischen Regierung und PKK in eine Krise. Die bisher rasant wachsenden
Besucherströme stagnierten erstmals. Viele Hotels blieben fast leer,
Investoren legten neue Vorhaben auf Eis.
Die Besucher, die bis Mittwoch zur ITB strömen, bekommen ebenfalls
zu spüren, daß nicht überall die heile Reisewelt existiert,
wie sie die farbigen Prospekte verkünden. Die Sicherheitsmaßnahmen
Während der Touristikmesse sind streng wie nie, am Eingang müssen
Schleusen wie auf Flughäfen passiert werden. Die Veranstalter fürchten
nach den Todesschüssen vor der israelischen Botschaft in Berlin Anschläge
durch Kurden. Die Stände der Türkei und von Israel werden ständig
scharf bewacht.
Doch Touristen vergessen schnell. Schon ziehen die Buchungen für
die türkische Riviera wieder an, auch Ägypten zeigt sich optimistisch,
und Fernziele wie Florida, wo noch vor zwei Jahren eine Mordserie Urlauber
verschreckte, boomen längst wieder wie eh und je. Der Reisedrang,
angeheizt durch eine milliardenschwere Industrie, läßt sich
nicht bremsen. ¸¸Der Erlebnistourismus ist im Kommen’’, prognostiziert
Freizeitforscher Horst Opaschowski. Sport-, Kultur- und Städtereisen
sieht der Experte als ¸¸Massenbewegung des 21. Jahrhunderts’’.
Die Reiseindustrie müsse sich, so rät er, auf den spontanen Urlauber
mit hohem Anspruch an Erlebnis und Abenteuer einstellen.
Nichts ist dabei unmöglich. Ob Nepal oder Papua-Neuguinea:
Wer Pech hat, trifft schon dort heute seinen Nachbarn, lästert
ein Branchenmagazin. Schon in zwanzig Jahren soll ein Trip ins All und
Urlaub im Weltraumhotel möglich sein. Selbst tapferen Lobbyisten der
Branche wird es da bange. ¸¸Der Tourismus hat sich als große
Kraft erwiesen, die fähig ist, Menschen, Kulturen und gesellschaftliche
Strukturen zu ändern, doch er bedeutet auch eine Belastungsprobe,
bei der die besten wie die schlimmsten Seiten der Gesellschaft offenbar
werden’’, mahnte der Generalsekretär der Welttourismus-Organisation
(WTO), Francesco Frangialli, zur Eröffnung der ITB.
Frangialli scheut sich nicht, vor den 5000 hochrangigen Gästen
die Schattenseiten der Sonnenbranche zu nennen: ¸¸Der Tourismus
destabilisiert lokale Gemeinschaften, beeinträchtigt die Originalität
von Künsten, Handwerk und kulturellen Gütern, führt zu Ausbeutung
von Kindern und Prostitution. Hier und dort’’, so der WTO-Sekretär
sarkastisch, ¸¸gelingt es ihm sogar, die Natur zu zerstören,
also die eigentliche Lebensader des Tourismus selbst.’’
Nicht nur Frangialli, viele Experten auch aus der Branche mahnen eine
nachhaltigere Entwicklung an. Nicht ganz ohne Eigennutz: ¸¸Die
Branche hat erkannt, daß mit umweltfreundlichen Angeboten Geld verdient
werden kann’’, so Wirtschaftsminister Müller. Fördermittel aller
Art, die in den Tourismus fließen, könnten künftig stärker
an Umweltschutzauflagen geknüpft werden. Kein schlechter Ansatz, den
die zahlreichen Naturschutzverbände auf der Urlaubsmesse schon lange
fordern und deshalb begrüßen.