Seit der Entführung Abdullah Öcalans gebe es einen »unerklärten
Ausnahmezustand auch in den türkischen Metropolen«, erklärte
der stellvertretende Vorsitzende der Demokratischen Volkspartei (HADEP)
der Provinz Istanbul, Veli Haydar Gülec, in einem Gespräch mit
einer Menschenrechtsdelegation aus der BRD, die sich seit Ende der Woche
in Istanbul aufhält. Schätzungen der HADEP zufolge hat es seither
etwa 10 000 Verhaftungen in der Türkei gegeben. Anlaß für
eine Verhaftung könne bereits ein kurdischer Geburtsort im Ausweis
sein, so Gülec.
In Istanbul gab es 63 Razzien gegen Vereine, Parteien und Kulturzentren,
dabei wurden mehr als 400 Personen verhaftet. Das Mesopotamische Kulturzentrum
(MKM) in Istanbul wurde geschlossen, die Schauspieler der kurdischen Theatergruppe
Jiyana Nu (Neues Leben) des MKM sind alle inhaftiert. Ebenso die Hauptdarsteller
des Filmes »Günese Yolculuk«, der auf der diesjährigen
Berlinale große Beachtung fand. Gegen die Parteizentrale der HADEP
in Istanbul gab es in den letzten zwei Monaten vier Razzien, andere Geschäftsstellen
wurden zehnmal überfallen. Anwesende Parteimitglieder und Sympathisanten
wurden mißhandelt und verhaftet. »Viele Kandidaten zu den Wahlen
sind in Haft«, sagt Veli Haydar Gülec: »Wir machen unseren
Wahlkampf derzeit bei der Anti-Terror-Polizei.« Am Montag wies das
Verfassungsgericht eine Klage der türkischen Regierung, die HADEP
nicht zu den Wahlen zuzulassen, zurück. »Auch wenn wir jetzt
offiziell zur Wahl zugelassen wurden, das Verbotsverfahren gegen unsere
Partei läuft trotzdem weiter«, so Gülec. »Durch die
ständigen Angriffe auf unsere Büros und die Verhaftungen der
Mitglieder finden für uns die Wahlen nicht unter demokratischen Bedingungen
statt. Und wir befinden uns auch nicht in einem gerechten Wettbewerb mit
den anderen Parteien.« Laut Bericht des türkischen Menschenrechtsvereins
Insan Haklari Dernegi (IHD) wurden 20 Radio- und TV-Sender sowie vier Zeitungen
vorübergehend geschlossen. Am 5. März wurden alle 43 Mitarbeiter
der Zeitung Dayanisma festgenommen und zur Anti-Terror-Abteilung des Istanbuler
Polizeipräsidiums gebracht. Einer von ihnen, der Gewerkschafter Süleyman
Yeter, wurde dort am 7. März während des Verhörs zu Tode
gefoltert. Die Anwälte der Familie bestanden auf einer Autopsie, bei
der eindeutig Folterspuren am Körper des Toten festgestellt wurden.
»Aufgrund der eindeutigen äußeren Spuren läßt
sich feststellen, daß Süleyman Yeter bei den Anti-Terror- Einheiten
gefoltert wurde«, heißt es in einer Erklärung, mit der
sich die Anwälte sich an die Öffentlichkeit wandten. »Er
hatte vor seiner Festnahme keinerlei gesundheitliche Probleme. Wenn wir
die häufigen Fälle von Folter und unsere Beobachtungen in Betracht
ziehen, müssen wir davon ausgehen, daß er in Polizeigewahrsam
durch Folter ermordet wurde.« Die Demokratische Plattform Diyarbakir
hat in einem Aufruf an die internationale Öffentlichkeit dazu eingeladen,
das Newroz-Fest 1999 gemeinsam mit dem kurdischen Volk zu feiern. Historisch
gesehen sei Newroz der Tag des Aufstandes gegen Unterdrückung und
Unrecht sowie ein Symbol für Frieden. Zugleich ein nationaler Feiertag,
der von den Völkern des Mittleren Ostens und dem kurdischen Volk begangen
wird. In den letzten Jahren jedoch sei die Bevölkerung während
der Feierlichkeiten vielfältigen Repressalien ausgesetzt worden, wobei
es auch zu sehr vielen Todesfällen gekommen sei. »Davon überzeugt,
daß es von existentieller Bedeutung sein wird, daß auch Sie
in die Siedlungsgebiete der kurdischen Bevölkerung, allen voran Diyarbakir,
kommen, möchten wir Ihnen mitteilen, daß es für uns eine
Ehre sein wird, Sie am 21. März zum Newroz-Fest unter uns zu sehen«,
so die Einladung der Demokratischen Plattform Diyarbakir, einem Zusammenschluß
von Gewerkschaftern, Politikern und Anwälten. Das Newroz-Delegationsbüro
in Troisdorf organisiert diese Delegationen. Infos unter der Telefonnr.:
02241/877349.
Birgit Gärtner