Werden abgeschobene Kurden in der Türkei gefoltert?
junge Welt sprach mit Günter Burkhardt
(Günter Burkhardt ist Geschäftsführer der Flüchtlingshilfsorganisation
Pro Asyl)
F: Wie nun bekannt wurde, ist der am 5. März bei einer polizeilichen
Razzia im Büro der Zeitung Dayanisma in Istanbul festgenommene Süleymann
Yeter unter polizeilichem Verhör gestorben. Welche Erkenntnisse
zu den Todesumständen liegen Ihnen vor?
Der Bildungsbeauftragte der Hafenarbeitergewerkschaft und Redakteur
der Zeitung Dayanisma, Süleymann Yeter, ist am 7.März bei der
Vernehmung durch die Terrorismusabteilung des Polizeipräsidiums Istanbul
gefoltert und getötet worden. Entgegen der Behauptung des zuständigen
Staatsanwaltes haben zwei Rechtsanwälte Folterspuren am Körper
des Toten gefunden. Der Rechtsanwalt Keles Öztürk sagte, daß
Yeter bereits anläßlich einer früheren Festnahme im Februar
1997 schwer gefoltert worden sei. Gegen die Folterer war vor einer Strafkammer
in Istanbul ein Verfahren eingeleitet worden. In diesem hätte Yeter
sie nun am 9.April identifizieren sollen.
Dem türkischen Menschenrechtsverein IHD sind allein 1998 acht
Fälle bekannt, in denen Menschen unter der Folter in der Türkei
ums Leben kamen.
F: Liegen Ihnen Informationen über Fälle vor, in denen aus
Deutschland in die Türkei abgeschobene Kurden gefoltert wurden?
Es gibt eine Fülle von Beweisen, wonach aus der Bundesrepublik
abgeschobene Flüchtlinge nach ihrer Rückkehr in die Türkei
gefoltert wurden. Und es gibt eine Fülle von Indizien, daß in
der Türkei systematisch gefoltert wird.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat hat zum Beispiel eine
entsprechende Dokumentation erarbeitet, die wir dem Auswärtigen Amt
übergeben haben. Darin wird eine Reihe von Fällen aufgezeigt,
in denen es nach der Abschiebung zu Folter kam. Es ist uns jüngst
ein Fall bekanntgeworden, in dem ein im Asylverfahren abgelehnter Kurde
nach seiner Abschiebung aus Deutschland im Jahre 1996 zur Abteilung für
Terrorismusbekämpfung überstellt wurde. Während seiner 85tägigen
Haft wurde er mehrfach gefoltert. Danach wurde er zur Ableistung des Wehrdienstes
in die Osttürkei geschickt. 1998 floh er erneut nach Deutschland.
Im Februar 1999 wurde er hier als Flüchtling anerkannt.
Deshalb fordern wir einen grundlegenden Kurswechsel in der Türkeipolitik
der Bundesregierung. Und wir warnen eindringlich davor, den schwarz-gelben
Kurs in der Innen- und in der Außenpolitik in bezug auf die Kurdenfrage
fortzusetzen.
F: Aus Deutschland werden allerdings - unter Rot-Grün - weiterhin
Kurden abgeschoben, die sich an den Protesten gegen die Verschleppung Öcalans
beteiligt hatten.
Es geht langsam an die Identität einer rot-grünen Bundesregierung,
die von Menschenrechten redet, aber faktisch die Politik der alten Regierung
fortsetzt. Wir warnen davor, Kurden in die Türkei abzuschieben. Die
Türkei ist kein berechenbarer Partner für Abmachungen, in denen
rechtsstaatliche Verfahrensweisen und der Verzicht auf Folter zugesichert
werden. Die Bundesregierung trägt eine Mitschuld, wenn aus unserem
Land Abgeschobene nach ihrer Rückkehr gefoltert werden.
Wir erwarten daher vom Auswärtigen Amt, daß es in kürzester
Frist einen neuen Lagebericht vorlegt, der der tatsächlichen Situation
in der Türkei Rechnung trägt.
F: Wie erklären Sie sich die außenpolitische Ungleichbehandlung
der Problematik des Kosovo- Konflikts und der Problematik der Kurdenfrage?
Es gibt in der Außenpolitik eine Ungleichbehandlung. Man droht
Jugoslawien massiv mit militärischer Gewalt. Der Türkei bleibt
dies hingegen erspart. Offensichtlich ist für Deutschland der Flugzeugträger
Türkei in bezug auf den Nahen Osten wichtiger als der Einsatz für
die Einhaltung der Menschenrechte.
Interview: Ina Kaden