Streit über das Kurdenproblem in Deutschland
Die Frage der Abschiebung im Blickfeld von Politik und Justiz
Nach den jüngsten kurdischen Ausschreitungen in Deutschland streiten die Bundesländer einmal mehr über die Abschiebung ausländischer Extremisten. Während Bayern und Baden- Württemberg Gesetzesverschärfungen fordern, lehnen dies die SPD-geführten Länder und Bundesinnenminister Schily ab. Dieser wandelt aber gleichwohl auf den Spuren seines Vorgängers Kanther. Auch die obersten Gerichte befassen sich derzeit mit der Materie.
eg. Berlin, 10. März
Die Krawalle von Anhängern der kurdischen PKK haben in Deutschland
die Diskussion über ein härteres Vorgehen gegen kurdische Gesetzesbrecher
belebt. Die Innenminister des Bundes und der Länder sind in dieser
Sache zu einer Sitzung zusammengekommen, wobei die bestehenden Meinungsunterschiede
deutlich hervortraten. Unterdessen wurden auch die ersten Personen, denen
die Beteiligung an den jüngsten Ausschreitungen zur Last gelegt wird,
in die Türkei abgeschoben. Baden-Württemberg schaffte drei Kurden
aus, Nordrhein-Westfalen einen. In weiteren Fällen prüfen die
Behörden die Möglichkeit einer Abschiebung kurdischer Gewalttäter.
Bayrische Gesetzesinitiativen
Eine einheitliche Linie der Bundesländer und des Bonner Innenministeriums
besteht in der Frage der Ausschaffungen nicht. Die sozialdemokratisch geführten
Länder lehnen eine Verschärfung der rechtlichen Bestimmungen
auch nach den letzten massiven Krawallen ab. Sie erachten die gesetzliche
Grundlage für einen Ausweisungsbescheid als ausreichend seit der Neufassung
des Ausländerrechts 1997 als Antwort auf die kurdischen Krawalle Mitte
der neunziger Jahre. Gleichzeitig sehen sie aber ein Vollzugsdefizit, da
eine Abschiebung in vielen Fällen wegen der drohenden Folter oder
einer Todesstrafe gemäss deutschem und internationalem Recht nicht
vollzogen werden kann. Bayern und Baden-Württemberg befürworten
hingegen eine Gesetzesnovelle. München hat im Bundesrat zwei 1995
bereits verworfene Gesetzesinitiativen zur Verschärfung des Straf-
und Ausländerrechts erneut eingebracht.
Ziel der bayrischen Initiativen ist es, zum einen härter als bisher
gegen die Parteikader der PKK vorzugehen. Zugleich will man die Strategie
der Organisation unterlaufen, wonach bei Aktionen bisher nicht straffällig
gewordene Sympathisanten mit einem gesicherten fremdenpolizeilichen Status
eingesetzt werden. Diese müssen auch nach einer Verurteilung als Ersttäter
meist wegen der existierenden rechtlichen Hürden nicht fürchten,
abgeschoben zu werden. So konnte Bayern von 1200 registrierten Teilnehmern
an einer Autobahnblockade im Jahr 1994 bisher 5 Personen ausschaffen. Selbst
in dem für seinen harten ausländerpolitischen Kurs bekannten
Bayern lässt sich nicht behaupten, dass Extremisten einem besonderen
Abschiebungsrisiko ausgesetzt sind.
Der Bonner Innenminister Schily lehnt zwar eine Gesetzesverschärfung
ebenfalls ab, tritt aber gleichwohl für ein resoluteres Vorgehen gegen
kurdische Gewalttäter ein. So verfolgt er ein Vorhaben seines konservativen
Amtsvorgängers Kanther weiter, das eine erleichterte Abschiebung zur
Folge hätte. Schily will mit der Türkei eine völkerrechtlich
verbindliche Abmachung schliessen, wonach sich Ankara verpflichten soll,
ausgeschaffte Kurden nicht zu foltern oder zum Tod zu verurteilen. Kanther
hatte eine gleichlautende briefliche Zusicherung seines türkischen
Amtskollegen erhalten, doch haben deutsche Gerichte bereits geurteilt,
die nur in einem Brief ausgesprochene Garantie biete keinen ausreichenden
Schutz für abgeschobene Kurden. Für einen Innenminister, der
auf die in ausländerpolitischen Fragen besonders sensiblen Grünen
Rücksicht nehmen muss, geht Schily an den Rand des ihm politisch Möglichen.
Da er wegen seiner Haltung zur erleichterten Einbürgerung vom Koalitionspartner
kritisiert wurde, taktiert der Minister vorsichtig.
Grundsatzentscheide der Gerichte
Weil eine Verschärfung des Straf- und Ausländerrechts angesichts
der rot-grünen Mehrheit im Bundestag nicht zu erwarten ist, die Ausländerbehörden
aber auch in SPD-regierten Ländern unterdessen eine härtere Linie
gegen PKK- Aktivisten verfolgen, müssen die Gerichte den bestehenden
Spielraum abklären. Die Rechtslage führt zu der paradoxen Situation,
dass politisch motivierte Täter - sie stellen für die öffentliche
Sicherheit nach Auffassung aller Länder die eigentliche Bedrohung
dar - in der Regel schwieriger abzuschieben sind als Personen, die wegen
illegalen Aufenthalts oder gewöhnlicher Kriminalität des Landes
verwiesen werden sollen. So hat Baden-Württemberg im letzten Jahr
zwar 499 Kurden ausgeschafft und war damit Spitzenreiter aller Bundesländer,
doch meist erfolgten die Abschiebungen nicht nach exilpolitischen Straftaten.
Gemäss dem deutschen Ausländerrecht, das sich an die Genfer
Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention
anlehnt, kann nicht abgeschoben werden, wer in seinem Heimatstaat wegen
seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, sozialen Gruppe oder
politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Ausnahme von dieser Grundregel
ist möglich, wenn der Betroffene aus schwerwiegenden Gründen
eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik darstellt. So betonen
immer wieder Kurden, denen die Abschiebung droht, sie würden als PKK-Angehörige
in der Türkei verfolgt, schränken aber zugleich ein, sie seien
keine höheren Funktionäre und damit kein besonders schwerwiegendes
Sicherheitsrisiko. Das Bundesverwaltungsgericht in Berlin klärt seit
Dienstag, wie sehr sich ein Kurde für die PKK engagieren muss, um
den Anspruch auf Asyl oder anderen Abschiebeschutz zu verlieren.
Grosse Spannweite
Dem Prozess liegen drei, die ganze Spannweite aufzeigende Fälle
zugrunde: Ein Ehepaar, das für die PKK nur gespendet und an einer
Sitzblockade teilgenommen hat; ferner ein wegen versuchter gefährlicher
Körperverletzung verurteilter einfacher Aktivist und schliesslich
ein höherer Funktionär, der wegen schwerer Freiheitsberaubung
und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt ist.
Vor wenigen Tagen ist ein anderes Grundsatzurteil im Spannungsfeld von
Asylrecht und politisch motivierter Kriminalität ergangen. Das Bundesverfassungsgericht
hiess die Beschwerde eines Kurden gegen die Ablehnung seines Asylantrags
gut. Der Kurde war in der Türkei als angeblicher PKK-Anhänger
mehrfach inhaftiert und gefoltert worden. Ein deutsches Verwaltungsgericht
hatte jedoch befunden, die Massnahmen eines Staates zur Abwehr von Terroristen
seien keine staatliche Verfolgung und begründeten keinen Anspruch
auf Asyl. Demgegenüber entschied das Verfassungsgericht, auch eine
Person, der in ihrem Heimatstaat Terrorismus zur Last gelegt wird, könne
Asyl erhalten. Es sei nicht auszuschliessen, dass die Türkei den Kläger
unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung politisch verfolgt habe.